Albrecht Dürers Aquarell „Junger Feldhase“ von 1502 ist eines der berühmtsten Illustrationen von „Lepus europaeus“. Foto: StZ

Weder Nagetier noch Kaninchen: Der Hase ist eine ganz besondere zoologische und symbolträchtige Gattung. Er gilt als Symbol der Fruchtbarkeit und des Glücks. Doch wieso bringt er zu Ostern bunter Eier vorbei?

Stuttgart - Zwei Teenies kuscheln verliebt im Gras. Plötzlich raschelt es im Gebüsch und ein Hase steht vor ihnen. Der trällert wie in „Alice im Wunderland“ vor sich hin: „Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts! Ist hier was geschehen? Ich hab nichts gesehen! Nur Gras und Klee und im Winter viel Schnee.“

Chris Roberts: „Mein Name ist Hase“

Der Song – jugendfrei und porentief rein wie ein frisch gewaschenes Bettlaken – von Mädchenschwarm Chris Roberts (in den 1970ern einer der erfolgreichsten deutschen Schlagersänger) erschien 1971. Vom rosafarbenen Single-Cover lächelt Chrissie- Strahlemann mit der mächtigen Föhnwellen-Mähne beseelt auf seine Fans runter.


 

Niedliche Tiere haben im Schlager ihren festen Platz – Vögel vor allem (Anita „Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer“, Daliah Lavi „Wie die Schwalben“, Mireille Mathieu „Kleine Schwalbe“), Hasen dagegen sind eindeutig in der Minderheit. Gemeinsam ist den naiv-bräsigen Texten eine stupende Unkenntnis selbst des fundamentalsten zoologischen Grundwissens.

Peter Simon Pallas: „Lepus europaeus“

„Lepus europaeus“, der Feldhase, ist anders als Chris Roberts animalische Schlager-Karikatur nahelegt, eines der faszinierendsten Geschöpfe der heimischen Tierwelt. Der deutsche Naturforscher und Geograf Peter Simon Pallas (1741-1811) gab ihm in seiner „Naturgeschichte merkwürdiger Thiere“ von 1778 seinen wissenschaftlichen Namen.

Wer ist dieser „Lepus europaeus“? Was macht ihn so besonders? Und warum bringt er zu Ostern bemalte Eier? Zuerst zur zoologischen Einordnung: Feldhase und Kaninchen gehören beide zur Ordnung der Hasenartigen (Lagomorpha), die sich wiederum in die Familien der Pfeifhasen (Ochotonidae) und Hasen (Leporidae) mit zusammen 70 bis 80 Arten aufteilen.

Hase und Kaninchen

Obwohl beide Zweige große Übereinstimmungen aufweisen, gibt es einige Unterschiede. Beim Hasen fällt die systemische Einordnung leichter als beim Kaninchen, bei dem es sich nicht um eine systematische Gruppe handelt. Neben dem Wild- und Hauskaninchen existieren andere nicht nahe verwandte Arten – wie den Schwarzlippigen Pfeifhasen aus Tibet, den Rötlichen Pfeifhase aus Turkmenistan oder den Amerikanischen Pfeifhasen aus Kanada.

Weder Hase noch Karnickel sind Nagetiere (die mit 2300 Arten mehr als 40 Prozent aller Säugetierspezies die artenreichste Ordnung dieser Gruppe darstellen). Auch wenn sie früher fälschlicherweise diesen zugeordnet wurden, sehr nagefreudig sind und rein äußerlich Ähnlichkeiten (wie übergroße Schneidezähne) mit Meerschweinchen oder Hamstern haben.


 

Hauskaninchen stammen vom Wildkaninchen (Oryctolagus cuniculus) ab und gehören wie Hasen zur Ordnung der Hasenartigen (Lagomorpha), sind aber eine ganz andere zoologische Gattung. Die Unterschiede sind erheblich: Feldhasen (50 bis 76 Zentimeter Körperlänge, 2,5 bis 6,5 Kilogramm schwer) sind größer als Wildkaninchen (bis 40 Zentimeter; Gewicht: 1,1 bis 2,5 Kilogramm; Zuchtkaninchen wie der Deutsche Riese können bis zu 11,8 Kilogramm auf die Waage bringen). Hasen leben als Einzelgänger, bewohnen flache Mulden (Sassen) in lichten Wäldern, im Gebüsch oder auf Äckern, Kaninchen bevorzugen Kolonien, die weitverzweigte Tunnelsysteme graben.

Kaninchen entfernen sich selten mehr als 500 Meter von ihrem Bau, während Hasen Fluchttiere sind, die sich bei Gefahr regungslos an den Boden drücken, um im letzten Moment mit bis 70 Kilometern pro Stunde uneinholbar los zu sprinten und dabei wilde Haken zu schlagen.

Löffel und Lauscher

Noch ein wichtiger Unterschied: Hasen haben superlange Ohren (Löffel), Karnickel-Lauscher dagegen sind wesentlich kleiner. Beide Arten sind extrem fortpflanzungsfreudig. Hasenweibchen bekomment drei- bis vier-mal zwischen Januar und Oktober nach einer Tragzeit von 42 Tagen ein bis sechs Jungen. Ähnlich Kaninchen-Damen, nur das bei ihnen die Tragzeit circa 30 Tage beträgt. Die Redensart „sich wie die Karnickel vermehren“ verweist auf die Tatsache, dass die meisten Jungen sterben und Greif- und Rabenvögeln sowie Raubtieren wie Fuchs oder Marder zum Opfer fallen und die Population nur durch schiere Masse überlebt.

Anders als Kaninchen können Hasen doppelt befruchtet werden. Diese sogenannte Superfötation ist ein im Tierreich äußerst selten vorkommender genialer Trick der Evolution. Da die Tragzeit des Feldhasen relativ lange dauert, kann die Häsin wieder trächtig werden, noch während sie einen Wurf im Bauch trägt.

Nesthocker und Nestflüchter

Kaninchen-Kids werden als Nesthocker mit geschlossenen Augen und nackt geboren, die nur im geschützten Bau überleben können. Hasen-Kinder hingegen sind Nestflüchter. Sie werden behaart und sehend geboren. Sie verbringen den Tag über regungslos, mit angelegten Ohren in der Sasse. Die Häsin kehrt erst in der Abenddämmerung zu ihrem Nachwuchs zurück, um sie mit besonders fetthaltiger Milch zu säugen. Ansonsten hält sie sich vom Wurf fern, um keine Prädatoren – dass heißt Fressfeinde – anzulocken.

Anders als Kaninchen können Hasen nicht in engen, vergitterten Käfigen gezüchtet werden, weshalb auch der Name „Stallhase“ eine „Contradictio in adiecto“ – ein Widerspruch in sich ist.

Der Hase als Symboltier

Inbegriff der Fruchtbarkeit und des Glücks

Der Hase ist ein uraltes Symboltier. In der Antike galt er als Inbegriff der Fruchtbarkeit, Lebenskraft, des Glücks und der sexuellen Begierde. Seine enorme Vermehrungsrate machte ihn zum Jagdtier par excellence, dass nur dank seiner zahlreichen Nachkommenschaft überleben konnte. Die griechische Liebesgöttin Aphrodite wurde genauso mit einem Hasen dargestellt wie in der christlichen Kunst die Gottesmutter Maria. In der Ikonografie der Ostkirche und bei dem Mailänder Bischof und Kirchenlehrer Ambrosius (339-397) ist der Hase ein Symbol für den auferstandenen Christus, der im Tod Leben gebracht.


 

Ein im Mittelalter weit verbreitetes Motiv war die Darstellung dreier Hasen in einem Kreis. Ihre sechs Löffel bilden in der Mitte ein gleichseitiges Dreieck aus den drei sichtbaren Ohren. Diese „Drei-Hasen-Bilder“ finden sich etwa in einem Fenster im Kreuzgang des Paderborner Doms und im Dom zu Münster.

Symbol für die Auferweckung Christi

Da Hasen keine Augenlider haben, schlafen sie mit offenen Augen und schieben zum Schlaf die Pupillen nach oben. Schon die frühen Christen erwarteten – entsprechend dieser Allegorik – wachend in der Nacht von Karsamstag zum Sonntag die Auferstehung Christi, die sie „in heiligen Zeichen“ wie dem Osterfeuer und der Osterkerze feierten.

Ein anderer weit verbreiteter Osterbrauch ist das Verstecken von Eiern. Schon für die frühen Christen war das Ei ein Symbol für das Leben. Wie einem toten Gebilde – einer Art verschlossenem Grabmal – aus Calciumcarbonat (kohlensaurem Kalk) ein lebendiges Küken entschlüpfen kann, faszinierte die Menschen seit jeher. Sie gaben den Toten ein Ei mit ins Grab als Sinnbild des Lebens und der Auferstehung. Theologen sahen im Ei ein Zeichen für die Auferweckung Christi: Er, der tot im Grabe lag, kehrt als Lebender zurück. Der Kirchenlehrer Ephraim der Syrer (306-373) schreibt: „Gleich einem Ei springt das Grab auf.“ Im Mittelalter war rot die vorherrschende Farbe, mit der man Ostereier bepinselte – die Farbe des Blutes Christi und seines Sieges über Satan und den Tod.

Ostereier-Lieferant mit Prokura

Im volkstümlichen Brauchtum ist der Hase der populärste tierische Eierlieferant, wenn auch nicht der einzige mit Prokura. In der Schweiz übernimmt der Kuckuck den Botendienst, in Westfalen ist es der Osterfuchs Eierlieferant, in Thüringen der Storch und in Böhmen der Hahn.

Doch was hat ausgerechnet der Hase mit Ostereiern zu tun? Seine sprichwörtliche Fruchtbarkeit macht ihn zum Spezialisten fürs Eier-Verstecken. Georg Franck von Franckenau war der Erste, der 1682 in seiner Abhandlung „De Ovis Paschalibus“ („Von Oster-Eyern“) von dem Brauch berichtete, gefärbte Eier im Gras h zu verstecken und es Meister Lampe in die Schuhe zu schieben. Der Heidelberger Medizinprofessor nannte dies eine „Fabel, die man Simpeln und Kindern aufbindet“. Für Kinder seien die Flunkergeschichten vom Osterhasen pädagogisch sinnvoll, meinen Psychologen, weil sie die kindliche Fantasie anregten und die geistige Entwicklung förderten.

Tierkreiszeichen im chinesischen Horoskop

Im traditionellen chinesisch-japanischen Horoskop mit seinen zwölf Tierkreiszeichen („juni shi“) werden Stunden, Tage, Monate und Jahre jeweils einem Tierkreiszeichen zugeordnet. Der Hase symbolisiert das vierte Tierkreiszeichen und steht für Morgen (Tageszeit), den Frühling (Jahreszeit) und den Süden (Himmelsrichtung).

Dürer, Beuys und der Hase

Eines der bekanntesten Tierbilder in der abendländischen Kunstgeschichte ist der „Junge Feldhase“, ein Aquarell von Albrecht Dürer (1471-1528). Doch auch in der Moderne hat Meister Lampe seine Fans. 1965 erklärte der Aktionskünstler Joseph Beuys (1921-1986) in einer Düsseldorfer Galerie dem erstaunten Publikum „Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt.“ Für Beuys ist der Hase „das Symbol für die Inkarnation, Denn der Hase macht das ganz real, was der Mensch nur in Gedanken kann. Er gräbt sich ein, er gräbt sich einen Bau. Er inkarniert sich in die Erde, und das allein ist wichtig“.

Auf der Roten Liste

Nach Angaben des Deutschen Jagdschutzverbandes gibt es derzeit drei bis 3,5 Millionen Feldhasen in Deutschland. Im Jagdjahr 29014/15 wurden 236 106 Feldhasen (Baden-Württemberg: 7713) und 241 036 Wildkaninchen (Baden-Württemberg: 7195) zur Strecke gebracht. Es sind weniger die Jäger, die der Hasenpopulation zusetzen. Vor allem die Verknappung des Lebensraumes durch Intensivlandschaft und Monokulturen, der Einsatz von Maschinen, Dünger und Pestiziden führen dazu, dass der Bestand in Deutschland abnimmt.

Seit 2009 steht „Lepus europaeus“ auf der Roten Liste bedrohter Tierarten, wo er bundesweit als gefährdet eingestuft wird. Zumindest in Baden-Württemberg gilt sein Bestand als nicht gefährdet. Ein kleiner Trost.