Die alleinerziehende Nele (Laura Tonke) erkennt ihren eigenen Sohn Jakob (David Ali Rashed) kaum wieder. Foto: ZDF/Christiane Pausch

Es sind drei sehr ordentliche Familien, von denen das außerordentliche ZDF-Drama „Totgeschwiegen“ erzählt. Aber irgendwann wird den Eltern klar: Die drei Kids, nach denen die Polizei im Fall des gewaltsamen Todes eines Obdachlosen fahndet, das sind ihre Kids. Wie denn das? Und was nun?

Stuttgart - Brigitte hängt an der Idee, alles sei in Ordnung: in ihrer Familie, in ihrem Umfeld, in jenem kleinen Teil der Welt, durch den sie und ihre Lieben sich bewegen. Das merkt man an ihrem tapferen, aber völlig verrutschten Lächeln, fast schon einer Schmerzgrimasse, wenn sie wieder mal so tun muss, alle seien glücklich, sie vornweg. Dabei wird ihr schickes Heim doch von einer Mischung aus muffiger Gleichgültigkeit und gereizter Unzufriedenheit beherrscht. Brigitte (Katharina Marie Schubert) verdrängt das – so wie die Ahnung, dass ihr Mann Volker, der erfolgreiche Patentanwalt, nicht unbedingt länger arbeiten muss, wenn er sagt, er müsse länger arbeiten. Sondern eine andere Frau trifft.

Die Mutter als Komplizin

Wann begreift Brigitte also, dass diesmal mehr als die Laune entgleist ist? Als ihr Sohn Fabian ohne Jacke aus dem Haus geht? Als das vermeintlich vergessene Kleidungsstück nicht an der Garderobe hängt? Als sie die Jacke im Mülleimer findet? Als sie Blutflecken an der Jacke entdeckt? Als Fabian etwas von Nasenbluten redet, aber so wirkt, wie man sich einen verkrampften Lügner vorstellt? Als die Polizei um Mithilfe bei der Aufklärung des gewaltsamen Todes eines Obdachlosen bittet und die Bilder einer Überwachungskamera die unscharfe Rückenansicht dreier davonrennender Teenager zeigen, zweifelt Brigitte nicht mehr. Da wird sie zur Komplizin. Aber darf sie das und kann sie das bleiben, über den ersten Schutzimpuls hinaus?

„Totgeschwiegen“ ist kein handelsüblicher TV-Krimi. Es geht weder um die polizeiliche Aufklärung eines Verbrechens noch um das Gerichtsdrama danach. Der Film der Regisseurin Franziska Schlotterer, die wie bei „Ende der Schonzeit“ zusammen mit Gwendolyn Bellmann das Drehbuch geschrieben hat, schaut hin, was in drei Familien passiert. Zwei und Jungs und ein Mädchen waren am Tod des Obdachlosen beteiligt. Und auch wenn es zwischen den drei Elternhäusern ein soziales Gefälle gibt, so kommen doch alle aus Milieus, die sich selbst als ordentlich begreifen.

Keine Leben ruinieren

Wie leben mit dem Verdacht? Wie damit umgehen, dass die Kinder schweigen, trotzen, lügen, aber fraglos am Tod eines Mannes Verantwortung tragen? Volker weiß so wenig wie die anderen, was genau los war, aber er drängt alle Eltern auf den eigenen Kurs. Was geschehen sei, sei nun mal geschehen: Solle man nun drei junge Leben ruinieren? Volkers Linie: nicht zur Polizei gehen, aussitzen, den Kindern notfalls bei der Vertuschung helfen.

Ganz leicht könnte „Totgeschwiegen“ ein überkonstruierter Laborversuch werden, mit dem schlau, aber leblos der Konflikt zwischen elterlichem Schutzwillen und gesellschaftlicher Verantwortung, zwischen Gefühl und Intellekt abgehandelt wird – mit von Familie zu Familie leicht verschobener Ausgangslage. Aber das Drehbuch spielt eben nicht jeden denkbaren Aspekt mit eindeutigen Dialogen durch, sondern lässt den Schauspielern viel Raum: für Mimik, Gesten, Schweigen – vor allem für letzteres. Dass den Jugendlichen wie den Erwachsenen hier meist die Worte fehlen, und dass alles, was doch aus dem Mund kommt, nicht fasst, worum es geht, gibt „Totgeschwiegen“ seine Kraft. Vor allem die Schauspielerinnen der überforderten Mütter – neben Schubert noch Laura Tonkeund Claudia Michelsen – rühren an, wie sie großartig Panik, Wut, Verzweiflung und Entsetzen fest in ihre Mundwinkel fesseln wie Sturmgeister, die auf keinen Fall freikommen dürfen.

Ausstrahlung: ZDF, Montag, 21. September 2020, 20.15 Uhr. Bereits vorab und bis 13. September 2021 auch hier in der ZDF-Mediathek abrufbar.