Jennifer (Emma Bading) taucht mit VR-Brille ins Fantasy-Reich ab. Foto:ARD Degeto/BR/Alexander Fischerkoesen Foto:  

Das vorzügliche Jugenddrama „Play“ erzählt von einer 17-Jährigen, die lieber online als in Schule und Elternhaus lebt. In der virtuellen Welt kann sie ganz anders kämpfen – aber der Spaß hat Folgen.

Stuttgart - Vor drei Jahren hat sich in der ARD im Film „Das weiße Kaninchen“, einem Krimidrama über düstere Verführer und Abgründe im Internet, ein erwachsener Mann im Chat das Vertrauen einer Dreizehnjährigen erschlichen. In „Play“ geht es nun um ein ungleich alltäglicheres Phänomen, über das sich Eltern Sorgen machen: Ein Mädchen verliert sich in der Welt eines Computerspiels.

Dem bescheidenen Titel zum Trotz ist „Play“ bemerkenswert. Die Inszenierung konzentriert sich auf die zentrale Rolle, Hauptdarstellerin Emma Bading ist in jeder Szene präsent; das ist schon mal ziemlich mutig. Andererseits besteht am Talent der jungen Schauspielerin nicht zuletzt dank der „Usedom-Krimis“ (dort spielt sie die Enkelin der von Katrin Sass verkörperten ehemaligen Staatsanwältin) kein Zweifel.

Das Computerverbot umgehen

Badings Figur Jennifer ist keine Schulhofschönheit. Sie ist 17, neu auf der Schule, findet nicht so recht Anschluss und hat nicht gerade das beste Selbstvertrauen. Als sich ihre Mitschülerinnen über ein hässliches Mädchen unterhalten, bezieht sie die Aussagen prompt auf sich. Das ändert sich, als sie auf Avalonia stößt.

Im Online-Spiel erschaffen die Teilnehmer einen Avatar, also ein virtuelles Alter Ego, und bestreiten Kämpfe in einer Fantasy-Welt. Dank VR-Brille fühlt sich das zweite Leben fast so echt an wie die Wirklichkeit, in der sich Jennifer immer weniger zurechtfindet. Es kommt, wie es kommen muss: Ihre schulischen Leistungen lassen rapide nach, sie hat immer öfter Ärger mit ihren Eltern (Oliver Masucci, Victoria Mayer) und denkt sich ständig neue Raffinessen aus, um das Computerverbot zu umgehen. Die Grenzen zwischen virtueller Realität und Wirklichkeit verschwimmen.

Kühle, dunkle Realität

Philip Koch hat sich den Elan und den Mut seiner Anfangsjahre bewahrt; den meisten Regisseuren werden die Ideale im Fernsehalltag ausgetrieben. Kochs Debüt, „Picco“ (2011), war ein Gefängnisfilm, in der Satire „Outside the Box“ (2016) lief ein Wochenendseminar grotesk aus dem Ruder. Seither hat er vier „Tatort“-Beiträge gedreht, die völlig unterschiedlich, aber ausnahmslos sehenswert waren. „Play“ ist erneut ein völlig anderer Film.

Die Spielweltbilder mögen nicht die Qualität großer Hollywood-Produktionen haben, weil das Budget eines Fernsehfilms im Vergleich lächerlich winzig ist. Aber sie erfüllen nicht bloß ihren Zweck, sondern sind durchaus eindrucksvoll. Ein simpler Kniff lässt unmittelbar nachvollziehen, warum Jennifer die Online-Welt der Wirklichkeit vorzieht: Während Koch und der erfahrene Kameramann Alexander Fischerkoesen den Alltag in eine kühle dunkle Atmosphäre getaucht halten, erstrahlt Avalonia in satten, hellen und freundlichen Farben.

Anmutiges Ballett

Neben der Arbeit mit seiner jungen Hauptdarstellerin liegt das größte Verdienst des Regisseurs womöglich im Verzicht auf jegliche Didaktik: Die Botschaft von „Play“ ist offenkundig, aber Koch vermeidet es geschickt, dass die Geschichte unter dem Motto „Achtung, Gaming kann süchtig machen!“ steht. „Play“ verhehlt nicht welche Magie von solchen Spielen ausgehen kann, die Musik von Michael Kadelbach unterstreicht das. Anstelle des Avatars von Jennifer zeigt der Film in den entsprechenden Szenen meist die junge Frau, die in ihrem Zimmer ein anmutiges Ballett aufführt, während sie sich in der virtuellen Realität gegen Angreifer wehrt oder Pfeile verschießt.

Dank Badings intensivem Spiel ist im Grunde eine erklärende Nebenebene überflüssig: Im Gespräch mit einer Psychiaterin (Ulrike C. Tscharre) schildert Jennifer, wie die virtuelle Realität für sie immer mehr zur Wirklichkeit geworden ist. Ungleich stärker ist der Film, wenn er Bilder sprechen lässt. Höhepunkt von „Play“ ist die Verschmelzung beider Welten, als sich Jenny und ihr Avatar von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen und für den vermutlich ungewöhnlichsten Kuss der deutschen Fernsehfilmgeschichte sorgen.

Ausstrahlung: ARD, 11. September 2019, 20.15 Uhr