Die Plutonium-Bombe „Fat Man“: Sie wurde am 9. August 1945 über Nagasaki abgeworfen. Foto: Arte

Die Dokumentation „The Bomb“ auf Arte erzählt, wie im Zweiten Weltkrieg in den USA die Atombombe entwickelt wurde. Und wie diese Waffe die Nachkriegswelt formte. Auf moralisierende Vereinfachungen wird zum Glück verzichtet.

Los Alamos - „Ich habe keine Schuldgefühle. Hätten nicht wir sie entwickelt, dann ein anderer. Wir hätten die Bombe so oder so.“ Das sagt Lilli Hornig, einst eine von ganz wenigen Frauen im Entwicklungsteam der ersten Atomwaffen, im US-Dokumentarfilm „The Bomb“ aus dem Jahre 2015. In Europa gibt es mittlerweile eine reflexhafte Empörung über solche Äußerungen, eine Verächtlichkeit, die den Eintritt in die Atompilz-Ära als Schurkenstück amerikanischer Machtpolitik sieht. Immer weiter sickert die Einschätzung durch, die Bombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki seien militärisch sinnlos gewesen: Muskelspiele, um der Nachkriegswelt die amerikanische Dominanz vorzuführen.

„The Bomb“ von Regisseur Rushmore DeNooyer ist angenehm weit entfernt von solch unhistorischen Vereinfachungen. Der Film geht nicht von heutigem Denken aus, sondern von den subjektiven Perspektiven der damals Handelnden. Er verknüpft den ausgerechnet im Deutschland des Jahres 1938 erzielten wissenschaftlichen Durchbruch der Kernspaltung mit der grausigen politischen Dynamik des Nazireichs.

Wettlauf gegen die Nazis

Dass sich aus der Kernspaltung eine Waffe ableiten ließe, ist Fachleuten schnell klar. So stellt sich, während Hitlers Truppen durch Europa marschieren, nur eine Frage: Möchte man eine Welt, in der die Nazis als erste Atomwaffen haben? Oder will man diese Waffen selbst entwickeln, um Hitler zu stoppen? Lilli Hornig, die 2017 im Alter von 96 Jahren gestorben ist, kam übrigens 1933 in die USA, als ihre jüdische Familie vor den Nazis aus Berlin floh. Sie wusste, gegen wen sie da eine Bombe baute.

Es waren amerikanische Wissenschaftler, darunter Albert Einstein, die den US-Präsidenten Franklin D. Rossevelt 1939 nach Bekanntwerden des Kernspaltungs-Cops der Deutschen im Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie in Berlin in einem gemeinsamen Brief bedrängten, den Auftrag zur Erforschung von Atomwaffen zu erteilen, bevor andere Mächte solche Waffen besäßen. Tatsächlich versuchten im Krieg Deutschland, Japan und die Sowjetunion, einsatzfähige Atombomben zu entwickeln.

Rausch der Herausforderung

Stringent, ohne Heroisierung und Dämonisierung, schildert „The Bomb“ jenes große Geheimprojekt der Amerikaner, aus dem die Bombe dann hervorging. Das Gefühl der Verlierbarkeit des Weltkriegs, purer Forscherdrang, Karrierismus, Eifersüchteleien von Institutionen, der Rausch der logistischen Herausforderung, die Profitmöglichkeiten eines neuen Industriezweigs: Vieles vermengte sich zu jenem „Manhattan Project“, so der Codename, aus dessen Innerem gleich zwei Spione Forschungsergebnisse an die Sowjetunion lieferten.

Die Bomben auf Hiroshima und auf Nagasaki waren von grundverschiedener Bauart. Dass man beide Varianten im Einsatz erproben wollte, an diesem Wunsch von Militärs und Ingenieuren zweifelt „The Bomb“ gar nicht. Der Film macht nur klar, dass das nicht ausschlaggebend für den Start der Bomber war. Es gab die realistische Erwartung eines zähen Invasionskampfs auf Japans Hauptinseln mit noch größeren Opfern unter der Zivilbevölkerung.

Beinahe schiefgegangen

Man bekommt hier ein gutes Gefühl für die Eigenlogik der Nachkriegsentwicklung, für das Ineinander nuklearer Abschreckung und konventioneller Stellvertreterkriege. Wer deutlich vor Augen geführt haben möchte, wie leicht das System hätte scheitern können, kann nach „The Bomb“ um 22.45 auf Arte die Dokumentation „Der Mann, der die Welt rettete“ sehen: Die erzählt von jenem Fehlalarm im Jahr 1983, der in der Sowjetunion meldete, amerikanische Atomraketen seien im Anflug.

Ausstrahlung: Arte, Dienstag, 7. August 2018, 20.15 Uhr, sowie Mittwoch, 5. September 2018 um 09.40 Uhr. In der Arte-Mediathek abrufbar vom 7. August bis zum 12. September 2018.