Halima, Mutter von zwei Kindern, sucht in Deutschland Frieden und Sicherheit. Trotzdem hat sie Heimweh nach Syrien. Foto: SWR

Hass, Misstrauen, Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft: Das kleine Golzow in Brandenburg hat Flüchtlingen alles zu bieten. Die aus Stuttgart stammende Filmemacherin Simone Catharina Gaul hat zwei Jahre lang beobachtet, wie eine syrische Familie hier zurechtkommt.

Golzow - Auch im größten Saal des Dörfchens wäre die Luft zu stickig für alle, die Wut, Angst und Hass aus sich herauslassen wollen. Also wird die Bürgerversammlung von Golzow, einem etwas über 800 Seelen starken Kaff zwischen Nichts und Nirgendwo im märkischen Oderland, ins Freie verlegt. Das ist keine so gute Idee.

Zum Thema Flüchtlingsunterbringung in der Mehrzweckhalle wird aufgeregt herumgezetert, dass man hier keine jungen Männer aus Syrien haben wolle, die „eigentlich ihr Vaterland verteidigen sollten“, dass die Sicherheit dahin sei, weil IS-Kämpfer kämen, dass die deutschen Kinder später in Turnhallen leben müssten, weil „die unsere Wohnungen besetzen“.

Durch die Abendstunde im Freien und die etwas flackernde Beleuchtung bekommt das einen Horrorkinobezug. In Verfilmungen des Frankenstein-Stoffs ist das nämlich eines der wiederkehrenden Motive: wie die zornigen einfachen Leute mit Fackeln und Mistgabeln zum Haus des Forschers ziehen, dessen Treiben sie nicht verstehen, aber fürchten, um in Selbstjustiz ein Monster zu töten.

Kleine Schritte

Was in dieser konfrontativen Szene nicht gleich offenbar wird, wohl aber im Rest des Dokumentarfilms „Ferne Heimat – Die neuen Kinder von Golzow“: Niemand hat mehr Angst vor IS-Anhängern, die nach Deutschland nachsickern könnten, als die Familie Sayed Ahmad, als Mutter Halima, Vater Fadi und die Kinder Kamala, Bourhan und Hamza. Und keinesfalls bejubelt die Dorfgemeinschaft geschlossen jede Hetzparole gegen diese Flüchtlinge aus Syrien. Über zwei Jahre hinweg hat die in Stuttgart geborene Filmemacherin Simone Catharina Gaul lieber die kleinen Schritte der Integration beobachtet als die großen Abstoßungsreaktionen.

Golzow scheint auf den ersten Blick eine jener im Niedergang befindlichen Gemeinden im Osten zu sein, die über Nacht mit Mann, Maus und Trinkbude von der Landkarte gestohlen werden könnten, ohne dass das jemandem groß auffiele. Für alle, die sich etwas intensiver für die Geschichte der DDR oder des Dokumentarfilms interessieren, hat der Namen Golzow aber Metropolenklang. Hier entstand zwischen 1961 und 2007 das längste Dokumentarfilmprojekt der Welt, die Langzeitbeobachtung „Die Kinder von Golzow“.

Ground Zero

Das Filmemacherpaar Barbara und Winfried Junge hat zunächst den Alltag einer Dorfschulklasse gezeigt und dann die Lebenswege von 18 Protagonisten verfolgt. Die DDR-Kulturbürokratie war anfangs stolz auf das Vorhaben, wollte man doch zeigen, wie der neue sozialistische Mensch entsteht und dann tatkräftig und stolz in eine wunderbare Zukunft schreitet. Weder der Sozialismus noch die Zukunft kamen diesem schönen Plan hinterher.

Gaul filmt also gar nicht im Nirgendwo, sondern am Ground Zero eines gescheiterten Gesellschaftsmodells. Ohne dass sie Worte machen muss, einfach, indem sie immer wieder mal das kleine, von Westtouristen kaum je besuchte „Kinder von Golzow“-Museum zeigt, erinnert sie daran, dass hier ganz generell Zurücksetzungs- und Revanchegefühle gären könnten.

Sie hat viele fast schon zu nette Bilder zu bieten: Wie Kamala und Bourhan bei der Freiwilligen Feuerwehr mitmachen, wie ein Dorfbewohner den Kindern das Angeln beibringt, wie Halima und Fadi vom Bürgermeister den Pachtvertrag für einen Kleingarten überreicht bekommen. Für Kinder, sagt Halima, sei das Dorfleben doch eine prima Sache. Man hört heraus, dass sie sich nach mehr Stadtleben sehnt. Und immer klarer spricht sie aus: Sie will zurück nach Syrien. Irgendwann, fürchtet man, könnte sie auf ein Amnestieversprechen Assads wohl hereinfallen.

Die großen Widersprüche

Vielleicht zeigt Gaul, sieht man von der abendlichen Bürgerversammlung ab, zu wenig von den Widerständen und Anfeindungen, mit denen die Neuankömmlinge zu kämpfen haben. Aber eines wird sehr deutlich: Viele Hände strecken sich der syrischen Familie entgegen, eben weil sie eine Familie ist.

Die Widersprüche der großen Politik offenbaren sich im Kleinen: Auch besorgte Bürger in Golzow loben die Sayed Ahmads, weil sie doch als Familie hier seien und der Vater arbeite. Es sind die gleichen Leute, die gegen Familiennachzug sind und glauben, den Deutschen würden Arbeitsplätze weggenommen. Der Bürgermeister von Golzow hat zwei syrische Flüchtlingsfamilien übrigens auch ihrer Kinder wegen aufgenommen: Er musste fürchten, der Kindermangel werde dazu führen, das der Ort seine Schule verliert.

Ausstrahlung: SWR, 18. Oktober, 23.45 Uhr