Sergio (Sergio Chamy, re.) macht sich in Diensten von Rómulo an seine Aufgabe als Schnüffler. Foto: SWR/Maite Alberdi

Der Doku-Spielfilm-Mix „Der Maulwurf“ im Ersten erzählt großartig vom Leben im Altersheim.

Stuttgart - Der Videochat klappt noch nicht wirklich. Er solle ihn jetzt mal über Facetime anrufen, fordert der Privatdetektiv Rómulo den 83-jährigen Sergio auf, den er als Undercover-Schnüffler einsetzen will. Sergio hält brav das Smartphone hoch, aber weil er Rómulo direkt gegenüber sitzt, genügt es ihm, ihn durch die Kameralinse anzuschauen und über das Gerät hinweg mit ihm zu sprechen. Er sei doch mit ihm verbunden, beteuert Sergio, während Rómulo immer dringlicher fleht, er möge jetzt mal anrufen: ein ulkiger Dialog von Verzweiflung und Genervtsein.

Alt, aber keine Witzfigur

Wie feinfühlig und respektvoll die Regisseurin Maite Alberdi in ihrem außergewöhnlichen Film „Der Maulwurf – Ein Detektiv im Altersheim“ vorgeht, zeigt sich schon daran, dass Sergio bei der Telefoniepanne nicht der skurrile Alte ist, die Witzfigur, die mit dem Lauf der Welt nicht mehr mithalten kann. Ja, seine Grenzen werden deutlich. Aber immer steht auch die Frage im Raum, ob es denn diese Technik braucht. Oder ob sich in Sergios Ungeschick nicht auch der nötige Kampf für direktere Formen des Umgangs versteckt.

Das hat viel mit dem Hauptthema dieser internationalen SWR-Koproduktion zu tun. Eine Klientin von Rómulo hat Sorge, ihre Mutter werde in einem Altersheim nicht gut behandelt. Also schleust der Detektiv Sergio als neuen Bewohner ein. Der soll sich umschauen, aushorchen, fotografieren und täglich Rapport via Whatsapp erstatten. Aber was er vor Ort findet, ist anders als erwartet.

Echte Gespräche und Menschen

„Der Maulwurf“ ist eine kuriose Mischung aus Spielfilm und Dokumentation. Die Bewohner und das Personal des Altenheims sind authentisch, die Gespräche sind echt. Alberdi nutzt die Fiktion des Detektivauftrags als Sonde zur Erkundung der realen Verhältnisse. Dass die Geschichte in Chile spielt, tut dabei nichts zur Sache. Dieses Heim könnte auch in Deutschland stehen.

Die Pflegefälle, die nur noch verwahrt werden, man sieht sie am Rande und ahnt ihr Schicksal. Einmal schleicht sich Sergio in ein Zimmer, in dem eine völlig reaktionslose Frau liegt und eine, die eingesponnen ist in persönlichen Horror, die sich lallend windet, zurückgeworfen aufs Unwohlsein eines verlassenen Kleinkinds. Der greise Detektiv vermerkt die Verhältnisse, dann schließt er die Tür und wird sie nie mehr öffnen. Er beschrankt seinen Umgang auf jene, die wie er noch gehen, sprechen, Entscheidungen treffen können. Auch wenn nicht alle so viel Vernunft und Freiraum wie er bewahren konnten.

Draußen und drinnen

Dieses Nicht-Beobachten der schlimmeren Schicksale ist keine vorsätzliche Beschönigung, Alberdi will sich auf etwas anderes konzentrieren: Auf das Leiden derer, die es scheinbar noch gut haben. Sie erzählt von Eintönigkeit und Kontaktschwierigkeiten, von Heimweh und Erinnerungen, vom Abbau an Überblick, der zu gut gemeinten, aber schmerzhaften Beschränkungen der Freiheit führt. Ihr geht es um das Gefühl der Jüngeren, die draußen ihr Leben leben, im Heim gebe es zwei Arten Menschen: Diejenigen, die leider nicht mehr selbstständig sind, denen also auch draußen nicht zu helfen wäre. Und diejenigen, die noch Verantwortung für sich tragen, die sich also auch im Heim wohl gut einrichten könnten. Letzteren Glauben will Alberdi erschüttern.

Sergio ist ein unglaublich anrührender Sucher, stoisch, aber empfindsam. Manchmal wirkt er wie ein alt gewordener Buster Keaton. Er bewegt sich durch die halb geschlossene Welt des Heims mit dem stillen Eifer, seine Aufgabe getreulich zu erfüllen, und einem wachsenden Widerwillen, seine Umgebung bloß durch die Brille seines Auftrags zu sehen.

Wehmut und Wegwollen

Wer Heime aus eigener Anschauung kennt, wird im Film „Der Maulwurf“ vieles wiederkennen. Das Heimleben wird mit skandalisierungsfreier, aber durchdringender Wahrhaftigkeit gezeigt, die durch melancholischen Humor erträglich wird. Die Mischform aus Doku und Spielfilm ist dabei kein Gag, sondern bietet echten Mehrwert. Die ständige Frage, was wir da vor uns haben, wie diese oder jene Szene gedreht wurde, was sich die Protagonisten zusammengereimt haben mögen, lässt uns wissbegieriger und konzentrierter schauen.

Sergio findet Flirts, Freundschaft, Unmut, klammernde Bedürftigkeit und schroffe Zurückweisung. Immer sind es Leben mit Leerstellen. Die sozialen Strukturen des Heims können die früheren Beziehungen nicht ersetzen. So geht Sergio mit Wehmut und ist doch froh, wieder wegzukommen. Das letzte Bild zeigt die Zurückbleibenden, die hinter einer schmiedeisernen Gittertür aufs Draußen schauen, das so nah und so unerreichbar ist wie das Leben, das sie bis vor kurzem geführt haben.

ARD,
Mittwoch, 23.35 Uhr. In der Mediathek des Senders ist der Film bereits abrufbar – bis zum 7. August 2020 einschließlich.