Traumpaar des Dschungels: Maureen O’Sullivan als Jane und Johnny Weissmuller als Tarzan Foto: KirchMedia

Arte zeigt im Rahmen einer Wald-Reihe den Spielfilm „Tarzan und sein Sohn“ aus dem Jahr 1939. Der extrem maskuline König des Dschungels ist nämlich auch eine frühe schizophrene Ökofigur.

Stuttgart - Eine Jungfrauengeburt ist fast noch normal dagegen: Tarzan, der Herr des Dschungels, kommt durch einen kräftigen Wurf zu einem Sohn. Den führt Cheetah aus, Tarzans schlaue Schimpansengefährtin, die mit einem weinenden Bündelchen Mensch im Arm durch die Baumwipfel klettert und es dann mit Zuversicht und Schmackes, als sei es bloß das Geschoss einer Kissenschlacht, von oben herab dem Dschungelmenschen in die Arme wirft.

Tarzan ist anfangs ein bisschen überfordert mit dem weinenden Würmchen, bringt es erst mal in sein Baumhaus und bietet ihm, recht wirkungslos, eine sauber durchgebratene Antilopenhaxe als Snack an. Gut, dass Tarzans Lebensgefährtin Jane nicht weit ist und tiefere Einblicke in frühkindliche Ernährungsgewohnheiten hat. So erzählt es der 1939 von Richard Thorpe gedrehte Spielfilm „Tarzan finds a Son – Tarzan und sein Sohn“, den Arte aus dem Archiv gekramt hat.

Freiheit fern der Zivilisation

Der Klassiker läuft aber nicht im Rahmen eines Themenabends zum Adoptionsrecht, was auch möglich wäre, sondern als Teil des frisch gestarteten, bis 25. Januar laufenden Programmblocks „Winter of Forests“, der aus vielen Blickwinkeln das Phänomen Wald betrachten will: als mythischen Zufluchtsort, Ursprung von Sagen, bedrohte grüne Lunge des Planeten oder die Lösung aller Klimaprobleme, wie Arte selbst das auflistet.

Tatsächlich ist der 1912 in die Popkultur eingetretene Tarzan einerseits der Inbegriff robuster Maskulinität, ein archaischer Instinktmensch, der sich auf das Tier im Mann verlässt und dadurch unbezwingbar wird. Der Herr des Dschungels lebt also den Traum vor, man könne die Zivilisation einfach hinter sich lassen und frei von ihren Fesseln glücklicher leben.

Wut auf Gewehre

Andererseits ist Tarzan ein Wächter und Hüter der Wildnis, dem das Vordringen der Zivilisation zuwider ist. Dieser darwinistische Prachtkerl, der es mit Löwen, Krokodilen und Nashörnern aufnimmt, wird wütend beim Anblick von Gewehren. Der erfolgreiche Olympiaschwimmer Johnny Weissmuller, der Tarzan hier zum vierten mal spielt, war kein großer Charaktermime, aber zwei Dinge machte ihm in Hollywood keiner nach: eine die Kamera mitreißende Freude am eigenen Körper und einen düsteren, angewiderten Blick, wenn es um die Zivilisation ging. Weissmuller kam mit Hollywood, mit dem Geschäftsleben, mit seinen Ehen und den Fallstricken der Marken- und Imagewelt nie zurecht. Er war am glücklichsten, wenn er vor der Kamera der Naturbursche sein konnte.

Erfunden hatte Tarzan der Groschenautor Edgar Rice Burroughs. Der fabulierte sich sein Afrika anfangs wild und ohne nähere Kenntnisse von Kultur und Politik, Fauna und Flora zurecht. Ihm genügten zunächst Freude an handfesten Abenteuern und der eingefleischte Rassismus, den er mit vielen weißen Westlern jener Tage teilte. Tarzan ist der weiße Mann, der nicht nur selbstverständlich über die Tiere des Dschungels herrscht, sondern auch über die diversen „Wilden“, die dort hausen.

Leuchtende Nacktheit

All die Widersprüche der Tarzan-Mythologie zeigt das Kino noch offener als Burroughs’ Romane. Weissmuller, 1939 noch gut in Form, was sich in späteren Tarzan-Filmen ändern sollte, steht in seiner nur von einem Lendenschurz gebrochenen Nacktheit fast leuchtend vor der Kamera. Dieser Mann der Wildnis ist nicht gebräunt, seine Haut zeigt keine Spuren seiner vielen Kämpfe, keine Narben, nicht einmal Kratzer. Dieser von der Wildnis geprägte, von Affen aufgezogene Kämpfer ist nun für die Wildnis unberührbar, sein Weiß-Sein hält ihn auf Abstand – eine erstaunlich schillernde frühe Öko-Figur, eingetaucht in die geliebte Natur und doch ewig abgehoben von ihr.

Weissmuller ist, wie er da ragt, auch pure männliche Erotik. Schon er alleine hätte die Zensoren aufgebracht. Zusammen mit der von Maureen O’Sullivan gespielten Jane stellte er für die Sittenwächter eine enorme Provokation dar. Nach drei Jahren Tarzan-Pause und den vorherigen Protesten der Moralapostel wollte das Studio MGM also eine familienfreundlichere Variante seines Helden präsentieren. Aber Jane durfte allen Ernstes im Dschungel keinen Sohn zur Welt bringen: Sie und Tarzan waren einander ja nicht christlich angetraut. Also musste Cheetah ein überlebendes Baby aus einem abgestürzten Flugzeug retten und Tarzan zuwerfen.

Wildnis mit Komfort

„Tarzan und sein Sohn“ springt dann einige Jahre voran, der von Johnny Sheffield gespielte Sohn schwimmt in nahezu poetischen Unterwasseraufnahmen mit seinem Vater. Die Wildnis erscheint ein Paradies, in dem allerlei Basteleien. hölzerne Apparate und tierische Hilfen ein wenig Vorstadtleben und Komfort nachahmen. Unsere schizophrenen Erwartungen an komfortable Wildnis sind selten schöner offen gelegt worden.

Die auf den Spielfilm folgende Dokumentation „Der einzig wahre Tarzan“ über Johnny Weissmuller aber geht leider nicht diesen Widersprüchen nach. Sie macht die Geschichte von Weissmuller und Tarzan mit vielen nassforschen Vereinfachungen zum simplen Hollywood-Absturz.

Ausstrahlung: Arte, Montag, 13. Januar 2020, 20.15 Uhr, Mittwoch, 15. Januar 2020, 13.45 Uhr; Sonntag, 26. Januar 2020, 09.35 Uhr; Montag, 3. Februar 2020; 13.45 Uhr