Der Wutbürger Pielcke (Thorsten Merten) triumphiert: Wahlsieg für die Populisten. Foto: ZDF/Martin Rottenkolber

Unsere Gesellschaft strebt auseinander. Die ZDF-Neo-Miniserie „Deutscher“ erzählt, wie sich Nachbarn entzweien: Die einen driften nach rechts, die anderen fassen es nicht.

Stuttgart - Nachbarn sind ein Gottesgeschenk. Oder eben auch nicht. Die Schneiders und die Pielckes wohnen schon lange nebeneinander, man hat sich arrangiert. Christoph Schneider ist Lehrer, Eva arbeitet in einer Apotheke. Frank Pielcke ist selbstständiger Installateur, seine Frau Ulrike kümmert sich um die Buchhaltung des Minibetriebs.

Die Schneiders (Meike Droste und Felix Knopp) sind zu den Pielckes schon deshalb freundlich, weil ihre Wasserhähne chronisch bocken und Frank (Thorsten Merten) immer sofort und umsonst schrauben kommt. Nur weltanschaulich liegt man weit auseinander: Die Schneiders sind klassisch linksliberal, Frank Pielcke entwickelt sich immer mehr zum rechten Wutbürger, und Ulrike (Milena Dreißig) hält im Zweifel zu ihrem Mann und ihrem Sohn Marvin (Johannes Geller), der in der Schule von Kids mit Migrationshintergrund gemobbt wird.

Rot und blau

Der Vierteiler „Deutscher“ des erfahrenen Autors Stefan Rogall („Wilsberg“) lässt keinen Zweifel daran, dass er auch überzeichnet, dass er nach Modellhaftem in einer auseinanderstrebenden Gesellschaft sucht. Das Haus der Schneiders etwa ist rot gestrichen, das fast identische der Pielckes blau: politische Signalfarben.

Im blauen Haus herrscht zu Beginn der bei ZDF Neo laufenden Miniserie Aufbruchstimmung, im roten Niedergeschlagenheit. Mit knapper Mehrheit kann gerade erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik eine rechtspopulistische Partei die Regierung stellen.

Verrohung auch in der Schule

Die Änderung ist sofort spürbar. Latente Spannungen gehen über in offene Konfrontation, Vorbehalte werden Rüpeleien, Rüpeleien kriminelle Übergriffe. Ein Mann mit dunkler Hautfarbe bremst ein wenig zu spät, es gibt einen Blechschaden, aber drei junge Männer aus dem Vorderauto schlagen ihn zusammen. Diese Verrohung der Erwachsenenwelt setzt sich an der Schule fort, tiefe Kluften tun sich auf in der Lehrer- wie der Schülerschaft. Auch über ihre Kinder, bislang gute Freunde, werden die Schneiders und Pielckes in die neue Reizbarkeit hineingezogen.

Viel zu plakativ, viel zu überzeichnet, viel zu platt, viel zu viel Zeigefinger, haben einige Kritiker über „Deutscher“ bereits gemault. Sie übersehen, dass für die zunehmende Spaltung der Gesellschaft eben nicht der differenzierte Diskurs prägend ist, sondern die schrille Polemik, das vereinfachte Weltbild, die blinde Gruppendynamik und das nicht hinterfragte Wir-Gefühl – vor allem das Wir-gegen-die-Gefühl. Und auch ein Blick in die USA lohnt: Da eskalierten bereits am Tag nach Trumps Wahl Alltagsbegegnungen, machten Teile des weißen Amerika aggressiv Front gegen andere, Motto: „Hau endlich dahin ab, wo Du hergekommen bist.“ Nein, „Deutscher“ ist nicht in jeder Sekunde überraschend ausdifferenziert – aber gerade wegen dieses Bekenntnisses zur Banalität des Alltags sehenswert.

ZDF Neo,
Dienstag, 28. April, und Mittwoch, 29. April 2020 als Doppelfolge ab 20.15 Uhr. Alle Teile bereits in der ZDF-Mediathek.