Kirill Serebrennikow hat sich mächtige Feinde gemacht. Foto: Ira Polyarnaya

Seit über zwei Jahren läuft ein Gerichtsverfahren gegen den Moskauer Theater- und Filmregisseur Kirill Serebrennikow. Nun zeigt eine TV-Dokumentation, warum die russische Politik Wladimir Putins ausgerechnet diesen Künstler mundtot machen will.

Moskau - Der Zuschauer bekommt ihn nicht zu sehen. Wenn an diesem Mittwoch im TV-Programm von Arte erstmals die Dokumentation „Kunst und Macht in Russland“ über den Moskauer Theater- und Filmregisseur Kirill Serebrennikow zu sehen ist, gibt es darin keine aktuelle Aufnahme des 49-Jährigen. Alles, was die deutschrussische Filmautorin Katja Fedulowa zeigt, ist das Haustor zum Hof seines Wohnhauses und ein Blick vom Erdgeschoss hinauf ins Treppenhaus. Serebrennikow bleibt abwesend. Und genau das ist wohl auch der Sinn jenes Gerichtsverfahrens, das jetzt seit über zwei Jahren in Russland gegen ihn geführt wird: ihn der Öffentlichkeit zu entziehen.

Vor nunmehr genau zwei Jahren, am 22. August 2017, wurde Serebrennikow verhaftet unter dem Vorwurf, staatliche Kunstzuschüsse für private Zwecke missbraucht zu haben, also korrupt zu sein. Eine Richterin milderte später die Gefängnishaft ab zu einem Hausarrest mit elektronischer Fußfessel, verbunden allerdings mit einer beinahe kompletten Kontaktsperre. Inzwischen ist der Hausarrest zwar gemildert und es gibt auch ein erstes Gutachten für das Gericht, demzufolge die Veruntreuungsvorwürfe haltlos sind. Das ändert nichts daran, dass der Fortgang des Gerichtsverfahrens vollkommen offen und ziellos ist. Es geht offenbar gerade nicht darum, die Lage irgendwie zu entscheiden, sondern sie in der Schwebe zu halten. Oder wie es Serebrennikows Anwalt Dmitri Charitonow im Film sagt: „Aus juristischer Sicht bleibt die Anklage gegen Kirill unkonkret und unverständlich. Das macht eine Verteidigung dagegen unmöglich“.

Auf den Kultur-Frühling folgte tiefster Winter

Die Stärke des Films ist, dass er den Zorn der staatlichen und religiösen Autoritäten gegen Serebrennikow in den Rahmen der russischen Kulturpolitik stellt und so erst verständlich macht. Serebrennikows Aufstieg als einflussreicher Intendant und Regisseur der Moskauer Off-Szene begann 2009, als der damalige Präsident Dmitri Medwedew eine kulturpolitische Öffnung verkündete: die Förderung kritischer Kunstprojekte, „offener Formen“, um die „Bildung einer Zivilgesellschaft“ zu unterstützen.

Unter diesen Vorzeichen bekommt Kirill Serebrennikow den Zuschlag zunächst für ein alternatives Theaterzentrum in einem alten Fabrikgebäude, später dann auch fürs traditionsreiche Gogol-Theater in Moskau – und macht beide zur Heimat für ein kritisches, vor allem junges und großstädtisches Publikum. Der Wind dreht aber radikal im Jahr 2012, als Wladimir Putin ins Präsidentenamt zurückkehrt. Er fordert eine „nationale Kultur der traditionellen Werte“ – und fortan muss sich Serebrennikow mit wachsendem Druck auseinandersetzen. Wobei es der Moskauer Politik relativ egal ist, was der Regisseur an Theatern oder in Opernhäusern des Auslands inszeniert. Entscheidend sind die Arbeiten im Land selbst, deren Beschreibung von offener und versteckter Gewalt im Land, von Repression, Obrigkeitshörigkeit, altem und neuem national-religiösem Wahn.

Die dichte TV-Doku belegt, wie scharf der Kulturkampf zwischen den politischen Lagern in Russland tobt. Und er unterstreicht die Dringlichkeit eines Appells, den Serebrennikow selbst jüngst über Umwege an sein Moskauer Publikum richtete: „Ich bin ein freier Mensch, und ich werde weiter kämpfen. Aber ihr müsst auch aufpassen. Haltet durch!“

Arte,
Mittwoch, 22.10 Uhr; bis zum 19. November ist der Film auch in der Mediathek des Senders abrufbar.