Wolfgang Drexler, der Präsident des Schwäbischen Turnerbunds (re.), neben Ministerpräsident Winfried Kretschmann bei der Präsentation der Medaillen der Turn-WM. Foto: Baumann

Wie Wolfgang Drexler als Veranstalter der Turn-WM seine Rolle interpretiert – und warum das Urgestein noch lange nicht genug hat. Eine Annäherung an den Präsidenten des Schwäbischen Turnerbunds (STB).

Esslingen - Manchmal im Leben ergeben die Dinge einen tieferen Sinn. Wolfgang Drexler (73) also wählt ein Café am Esslinger Rathausplatz als Gesprächsort, was bei einem gebürtigen Esslinger und noch immer aktiven Urgestein des Stadtrats nicht überrascht. In diesen Wochen aber wird die Sache tiefgründiger, und gerne erzählt der Vollblutpolitiker und Vorsitzende des Schwäbischen Turnerbunds (STB) die Geschichte selbst: Am 1. Mai 1848 gründeten 32 Vereine den STB – in Esslingen. Heute umfasst der Verband 1800 Vereine mit 700 000 Mitgliedern und ist nun zusammen mit dem Deutschen Turnerbund (DTB) federführend verantwortlich für das Großereignis der Sportart schlechthin: die Turn-WM in Stuttgart (4. bis 13. Oktober). Wolfgang Drexler sagt: „Wir verbinden Tradition mit Moderne.“

Tradition und Moderne

Drexler meint damit, zumindest ein bisschen, auch sich selbst. Denn dass ein Esslinger dem in Esslingen gegründeten STB rund um dieses Großereignis vorsteht, das passt. Und Drexler selbst ist dabei, wenn man so will, genau das: Tradition und Moderne. Dieser Mann ist kein Urgestein, er ist eher ein Ur-Ur-Ur-Gestein, das noch immer gestaltet und anpackt, als befände es sich in seiner ersten Legislaturperiode mit Mitte 20.

30 Jahre lang saß Drexler im baden-württembergischen Landtag für die SPD (bis 2018), dazu ist er noch immer Kreisrat, Stadtrat und Stimmenkönig in Esslingen, er war Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses, Sprecher von Stuttgart 21, Generalsekretär der baden-württembergischen SPD. Und, und, und.

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Und: Seit 2012 ist er Vorsitzender des Schwäbischen Turnerbunds, der jetzt die WM ausrichtet. Es ist der Höhepunkt, na klar. Auch für Wolfgang Drexler. „Es war eine große innere Befriedigung, als wir den Zuschlag 2015 erhalten haben“, sagt er: „Wir haben extrem viel Energie reingesteckt in diese Bewerbung, uns ist ein Riesenstein vom Herzen gefallen.“

Mit Maultaschen bestochen

In Melbourne gab es damals den Zuschlag gegen den Mitbewerber Rotterdam. Was am Ende der entscheidende Grund gewesen war, das betont Drexler gerne: „Wir haben die Leute vor Ort bestochen – mit schwäbischen Maultaschen.“

Gut geschmeckt haben den Entscheidungsträgern aber auch der Neckarpark mit seinen kurzen Fußwegen zwischen den Hallen – und die Stuttgarter Tradition als Turn-Hochburg. WM 1989 und WM 2007, dazu das alljährliche Traditionsturnier DTB-Pokal: die Landeshauptstadt kann den Salto, und das Publikum macht mit.

„Hier wird bei jedem Athleten geklatscht, egal, woher er kommt“, sagt Drexler: „Und wenn einer vom Gerät fällt, hilft man ihm mit Applaus wieder hoch.“ Das ist es, was Drexler antreibt rund um die WM. Nach wie vor. Mehr denn je. Tradition und Moderne: Stuttgart soll den Menschen in guter Erinnerung bleiben.

So wie er selbst in guter Erinnerung bleiben will.

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„Viele Menschen“, sagt Wolfgang Drexler, „kümmern sich nicht mehr um die Gesellschaft.“ Er will es tun, weshalb der Begriff der Ämterhäufung bei ihm keinen negativen Klang hat. Verantwortung übernehmen, entscheiden, auf Menschen zugehen, das ist ihm noch nie schwergefallen, im Gegenteil. Ob Einfluss zu nehmen und zu gestalten für ihn eine Droge ist? „Ich bin von klein auf so geprägt, mich nicht nur um mich selbst zu kümmern“, sagt Drexler und erzählt die Geschichte von den Pfadfindern, bei denen er im Winter zusammen mit anderen Jungs die Kohle getragen habe für die alten Leute.

Starker innerer Antrieb

Heute packt Drexler beim Zusammenhalt der Gesellschaft mit an. Wenn er Verantwortung übernimmt. So sieht er das. Der Macher macht, weil er es qua inneren Antriebs machen muss.

Seit 2012 ist er der STB-Chef und betont ohne Umschweife, dass er sich nächstes Jahr zur Wiederwahl stellt. Es wäre die dritte Amtszeit. Er will weitermachen und weitergestalten, auch wenn er sich nicht mehr so fühle wie mit 40 – „höchstens noch eine halbe Stunde am Tag“.

Frischer Wind

Der alte Hase ist jung geblieben – auch im Umgang. Zum Amtsantritt 2012 führte er beim STB das „Du“ ein. Auf allen Ebenen. Über alle Hierarchien. „Unter Sportlern duzt man sich“, sagt Drexler, der bei einigen neuen Praktikanten für offene Münder und große Augen sorgte, als er sie mit einem zünftigen „Ich bin der Wolfgang“ begrüßte. Wer sich umhört beim STB und seinen Mitarbeitern, der stellt schnell fest, dass das gut ankommt. Das Urgestein hat frischen Wind reingebracht – und macht seinen Einfluss als jahrzehntelanger Netzwerker geltend.

Ganz der Netzwerker

Denn den Drexler, den kennt man überall. Auch an den wichtigen Stellen. Er kann die Entscheidungsträger in Politik oder Wirtschaft direkt anrufen und muss um keinen Termin bitten, um die Dinge im Sinne seines STB anzugehen. „Der schnelle Zugang ist ein Riesenvorteil“, sagt Drexler, ganz der Netzwerker – und der Mann, der stets in Bewegung ist. Auch im übertragenen Sinn.

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Denn Bewegung, das ist nicht nur sein Zauberwort, was die politischen Aktivitäten angeht – es ist ein Antrieb Drexlers. Im Staccato-Takt zählt er die Missstände auf: Nur 30 Prozent der Deutschen wissen laut einer Studie, dass sie täglich aktiv sein und sich bewegen sollen. Viele Kinder bekommen keine Rolle rückwärts mehr hin. Zwei Drittel der Deutschen haben Rückenschmerzen. Und so weiter.

Enge Kooperation mit Vereinen

Wolfgang Drexler will schon im Kindergarten ansetzen, er fordert engere Kooperationen mit Vereinen. Die Trainer sollen zu den ganz Kleinen in die Kita und auch in die Schulen. Solche Dinge. „Wer sich als Kind nicht bewegt, der tut sich später auch schwer damit“, sagt Drexler, der betont, dass es eine Hauptaufgabe für ihn und den STB sei, die Gesellschaft in Bewegung zu halten.

Stillstand ist Rückschritt

Zum Schluss gibt es dazu einen ebenso prägnanten wie provokativen Satz: „Die Kultur ist auch wichtig, keine Frage. Aber wenn ich irgendwann mit meinen Armen und Fingern keine Gitarre mehr halten kann, bringt das auch nichts.“

Stillstand ist Rückschritt. Oder anders: Wolfgang Drexler bleibt auf Achse.