Unser Autor Christoph Meyer im Tabakentzug-Selbstversuch Foto: Kovalenko

Hilft die Turbo-Therapie des Stuttgarter Zentrums für Tabakentwöhnung gegen die Sucht? Ein Selbstversuch.

Stuttgart - Immer wieder fährt Alexander Rupp, der Arzt, der mir beim Rauchstopp helfen soll, mit den Fingernägeln über eine große, mit Paketpapier bespannte Pinnwand. Bei dem Geräusch stellen sich mir die Nackenhaare auf. Es steht für das „Craving“, das unbändige Verlangen nach Zigaretten.

Mit sieben anderen Aufhörwilligen sitze ich an einem Mittwochabend in der Kaffeeküche einer Praxis für Lungenheilkunde am Rotebühlplatz. Alexander Rupp ist Lungenfacharzt. Er führt in Stuttgart eine groß angelegte Studie zur Tabakentwöhnung durch.

Die sogenannte Bisquits-Studie soll zeigen, ob es möglich ist, Raucher in einer Schnelltherapie von ihrer Sucht zu kurieren. Statt in sechs Sitzungen sollen die Abhängigen nach nur zwei Sitzungen vom Glimmstängel loskommen.

Opfer der Werbeindustrie

„Wir wollen die Hemmschwelle für die Raucher senken, überhaupt mit der Therapie zu beginnen“, sagt Dr. Rupp   Meine letzte Zigarette habe ich schnell noch vor der Sitzung geraucht. Vielleicht war es die letzte meines Lebens. Richtig genießen konnte ich sie bei den Minustemperaturen vor der Tür nicht.

Jetzt sitzen wir im Warmen – im Halbkreis um die Pinnwand herum. Alexander Rupp ist ein großer, sportlicher Typ mit kurz geschorenen schwarzen Haaren. „Was gefällt Ihnen am Rauchen?“, fragt er in die Runde. Uns fallen spontan knapp zwei Dutzend Gründe ein. Alexander Rupp notiert sie stichwortartig an der Pinnwand.

„Ich muss immer an Paris denken, wenn ich rauche“, sagt eine Frau. „Ich denke an Freiheit und Abenteuer“, sagt ein Mann. Rupp lässt kaum einen Beitrag unkommentiert: „Sie rauchen Gauloises“, sagt er zu der Frau. „Und Sie Marlboro“, zu dem Mann. „Sie sind Opfer der Werbeindustrie geworden.“ Die beiden schauen betreten zu Boden.

Im freien Fall auf der Sympathieskala

  Dann bin ich an der Reihe: „Es macht mir Spaß, etwas Unvernünftiges zu tun“, sage ich. „Das fällt in die Kategorie, sich gegen die Eltern aufzulehnen, pubertäres Verhalten also“, sagt Rupp.

Auf meiner Sympathieskala befindet sich Alexander Rupp im freien Fall. „So ein Streber“, denke ich. „Der hat sicher keinen Spaß.“ Ich fühle mich von ihm ertappt.

Dann notiert der Arzt die Gründe, die für das Aufhören sprechen. Jeder ist einmal dran. Wir sind eine gut gemischte Gruppe, der Jüngste ist gerade mal 19 Jahre alt, die Älteste ist 67, vier Frauen, vier Männer. Alle haben ein Ziel: Wir wollen nie mehr rauchen. Die Motive sind unterschiedlich. Mal ist es der Partner, der den Geruch nicht ausstehen kann, mal sind es Sorgen um die Gesundheit, oder der Wunsch, Kindern ein besseres Vorbild zu sein.

Die Lust auf eine Zigarette

Bei mir ist es ein bisschen von allem. Den Versuch haben hier alle schon gemacht – immer vergeblich. Hier war es ein familiärer Schicksalsschlag, dort der verführerische Gedanke: „Nur diese eine.“ Die verführerischen Gedanken nennt Alexander Rupp Rauchimpulse. „Die werden Sie Ihr ganzes Leben lang haben“, sagt er. „Ich habe vor neun Jahren mit dem Rauchen aufgehört, noch heute habe ich Rauchimpulse“, gesteht er. Rupps Sympathiewerte steigen wieder. „Also doch kein Streber, er ist einer von uns“, denke ich.

„Sie können dann entweder abwarten, bis es vorbeigeht, sich ablenken, sich der Situation entziehen oder eine Atemübung machen.“ In den folgenden Tagen bemerke ich, dass ich viel öfter Rauchimpulse habe, als ich gedacht hätte. Die Lust auf eine Zigarette kommt beinahe stündlich auf.

Die besten Gesprächspartner gehen vor die Tür

Ein paar Tage später sind meine Lippen so gut gepflegt wie noch nie. Sonst sind sie im Winter oft spröde und aufgeplatzt, jetzt greife ich regelmäßig zu meinem Labello. Die Personenwaage habe ich aus dem Badezimmer verbannt. Ich will nicht wissen, wie sich die vielen Schokoriegel auf mein Gewicht auswirken.

Kritisch wird es, als ich eines Abends bei guten Freunden zu Besuch bin. „So, jetzt gehen wir mal kurz eine rauchen“, sagt der Hausherr. Ich suche nach Ausflüchten. „Es ist doch scheußlich kalt draußen“, sage ich. „Na gut, hast auch wieder recht“, erwidert er. Im Haus wird zum Glück nicht geraucht. „Gerettet“, denke ich und halte mich an meinem Bierglas fest.

Richtig schlimm wird es, als ich ein paar Tage später in einer Kneipe sitze. Ich bin mit dem Auto gekommen und nippe deswegen an einer Spezi statt an einem Bier. Ausgerechnet die besten Gesprächspartner gehen regelmäßig vor die Tür – rauchen.

Gar nicht mehr ans Rauchen denken

Schließlich bin ich froh, als ich endlich zu Hause bin. Ich nehme mir vor, in den nächsten Wochen nicht mehr in die Kneipe zu gehen.

Bei der nächsten Sitzung im Zentrum für Tabakentwöhnung am Rotebühlplatz bin ich beinahe euphorisch. Stolz erzähle ich meinen Mitstreitern, dass ich eine ganze Woche nicht geraucht habe, wie die Hälfte der Teilnehmer. Statistisch gesehen wird es nur ein Viertel schaffen, ganz vom Nikotin weg zukommen. Weitere Therapiesitzungen wird es für uns nicht mehr geben.

Die starken Raucher können sich von Rupp ein Medikament verschreiben lassen. Ich zähle mich nicht dazu. Zum Schluss sagt er: „Bevor Sie zur Zigarette greifen, rufen Sie mich an. Ich werde es Ihnen ausreden.“ Jetzt ist er mir richtig sympathisch. Anrufen werde ich ihn nicht, aber jedes Mal, wenn ich Lust auf eine Zigarette bekomme, werde ich daran denken, wie er mit den Fingernägeln über das Paketpapier fährt. Ein scheußliches Geräusch – ich will gar nicht mehr ans Rauchen denken.