Teile werden vor der Wiederaufbereitung mit allen denkbaren Verfahren überprüft – dazu gehören auch Lichttest, Ultraschall oder Röntgen Foto: Herrenknecht AG

Was passiert mit millionenschweren Tunnelbohrmaschinen, wenn die Baustellen beendet sind? Stammen sie vom Hersteller Herrenknecht, reisen sie meistens zurück in die Ortenau – und beginnen dort ein neues Leben.

Kehl - Sibylle hat abgespeckt. Sie wirkt ein bisschen verloren und glanzlos. Im tristen Nebelgrau steht sie auf einem riesigen Gelände direkt am Rhein. Frankreich ist nur einen Steinwurf entfernt. Genau genommen handelt es sich aber nur um einen Teil von Sibylle, nämlich um die Förderschnecke der einst riesigen Tunnelbohrmaschine. Allein die ist aber immer noch beeindruckend groß.

Noch vor wenigen Monaten hat Sibylle eine Röhre des Albvorlandtunnels zwischen Kirchheim/Teck und Wendlingen (Kreis Esslingen) vorangetrieben. Dort sollen künftig Züge auf der Neubaustrecke von Stuttgart nach Ulm rollen. Jetzt ist ihr Auftrag erledigt. Am Vortag hat die Förderschnecke das Gelände im badischen Kehl erreicht. Und wartet nun zwischen zigtausend anderen Teilen auf den Beginn ihrer Zukunft.

„Das zweite Leben“, sagt Olaf Kortz und schmunzelt. Der Ingenieur leitet das sogenannte Remanufacturing-Werk der Herrenknecht AG. Das Unternehmen aus der Ortenau sitzt im nahen Schwanau und gilt als weltweiter Marktführer beim Bau von Tunnelbohrmaschinen jeder Größe. Auch für Stuttgart 21 und die Neubaustrecke hat es vier gewaltige Maschinen für Filder-, Albvorland- und Boßlertunnel geliefert, jede rund 1500 Tonnen schwer. Ihre Arbeit ist beendet. Und wie bei vielen anderen Projekten stellt sich die Frage: Was passiert mit Kolossen, die ganz speziell für eine bestimmte Baustelle konstruiert worden sind und zweistellige Millionenbeträge gekostet haben, wenn man sie nicht mehr braucht?

Viele Teile haben eine lange Lebensdauer

Remanufacturing, das ist ein Wort, das selbst Bauexperten nicht immer flüssig über die Lippen kommt. Auf Deutsch bedeutet es: Wiederaufbereitung. Denn viele Teile lassen sich erneut verwenden. „Unsere Tunnelvortriebsmaschinen sind technisch und qualitativ hochwertige, projektspezifisch optimierte Maschinenlösungen. Komponenten, Bauteile sowie komplette Anlagen können grundsätzlich mehrmals eingesetzt werden“, sagt Martin Herrenknecht, Gründer und Vorstandsvorsitzender der Firma. Man garantiere, dass die systematisch aufbereiteten Teile „eine vollwertige Alternative zu neuem Equipment sind“.

Werkleiter Kortz geht sogar noch einen Schritt weiter. „In mancherlei Hinsicht sind die aufbereiteten Teile besser als neue“, sagt er. Denn sie haben sich schon im Einsatz bewährt. Grundlegende Kinderkrankheiten, die eher am Anfang auftreten können, sind praktisch ausgeschlossen. Er tritt hinaus auf die Terrasse vor seinem Büro. Von dort überblickt man ein rund zehn Hektar großes Gelände mit mehreren Hallen. Im Außenlager reiht sich Bauteil an Bauteil, so weit das Auge blickt. 150 Menschen arbeiten hier etwa 15 000 Komponenten pro Jahr auf. „Alles Experten“, betont Kortz, denn die Herausforderungen der Aufgabe sind enorm.

Etwa 300 große Tunnelbohrmaschinen von Herrenknecht sind derzeit weltweit im Einsatz, dazu noch Hunderte kleinere mit einem Durchmesser von maximal 4,50 Meter. Die kleineren bleiben meist dauerhaft beim Auftraggeber, weil damit zum Beispiel die Tunnel für Kanäle gebaut werden. Sie sind nicht so spezifisch wie die großen und können häufig mit einigen Anpassungen mehrfach verwendet werden. Doch die großen Kolosse sind so auf den Auftrag zugeschnitten, dass ein Wiedereinsatz eins zu eins ausgeschlossen ist.

Hersteller kauft zurück

Deshalb vereinbaren die Baufirmen häufig mit dem Hersteller eine Rücknahme. Der zahlt eine Summe weit unterhalb des Verkaufspreises und macht sich dann daran, die Maschinen in Einzelteile zu zerlegen. Die meisten Komponenten der Giganten werden in der Regel wiederverwertet – alles was noch brauchbar und kein Verschleißteil ist. Die Vorteile liegen auf der Hand. Zwar ist der Aufwand erheblich, aber eine zum Großteil aus wiederaufbereiteten Komponenten aufgebaute Maschine ist nicht teurer als eine neue, dafür braucht sie bei der Produktion 99 Prozent weniger Materialeinsatz und spart dazu 65 Prozent an Treibhausemissionen und 80 Prozent an Strom. In Skandinavien und Neuseeland sind wiederaufbereitete Teile inzwischen vorgeschrieben, im restlichen Europa hält man sich noch zurück.

„Viele Komponenten sind für eine lange Lebensdauer ausgelegt. Es wäre schade und unökologisch, sie wegzuschmeißen“, sagt David Salameh. Als Teamleiter im Projektmanagement hat er die vier Maschinen für Stuttgart 21 und die Neubaustrecke während des jahrelangen Einsatzes begleitet. Mit allen Schwierigkeiten vor allem im engen Fildertunnel. „Es braucht eine hochintensive Zusammenarbeit mit dem Kunden. Sobald die Planung für die Montage der Maschinen abgeschlossen ist, geht man schon an die Demontageplanung“, erzählt er.

Beim Fildertunnel hat der Auseinanderbau des Tunnelbohrers Suse zweieinhalb Monate gedauert. 50 bis 60 Schwertransporte und zig weitere Lkw-Fahrten braucht es, bis alle Komponenten in Kehl sind. Manches wird auch per Schiff gebracht. Die meisten Teile von den Fildern sind inzwischen am Rhein angekommen, dasselbe gilt für Sibylle und Wanda vom Albvorlandtunnel. Käthchen von der Albhochfläche ist schon seit längerem komplett in Kehl und inzwischen zu zwei Drittel aufbereitet.

Untersuchung mit Ultraschall

Zu erkennen ist die Herkunft der Teile auf dem riesigen Gelände an Schildern und Aufschriften. Nummern benennen die jeweilige Baustelle, oft ist zusätzlich das Gewicht vermerkt. „30 Tonnen“ steht auf einem Erektorring, der einst im Fildertunnel im Einsatz gewesen ist und die Innenauskleidung des Tunnels aufgetragen hat. „Wir zerlegen immer alles bis auf die Grundstruktur. Zerlegen, befunden, aufarbeiten“, erläutert Kortz bei einem Rundgang die Vorgehensweise.

Wenn der Werkleiter von den Untersuchungsmethoden spricht, klingt das fast wie beim Arzt. Sichtbefund, Ultraschall, Röntgenstrahlen. In einer Halle prüfen Mitarbeiter ein Antriebsritzel. Sind mit bloßem Auge keine Fehler zu erkennen, folgen diverse weitere Untersuchungen inklusive einem Farbtest unter Schwarzlicht und Ultraschall, um auch innere Beschädigungen zu erkennen. „Wenn ein Bauteil hier durch kommt, ist es wie neu“, sagt Kortz. In einem anderen Gebäude stehen Betonpumpen – eine benutzte, die eben frisch angeliefert wurde und noch völlig verdreckt ist, eine demontierte und eine neu hergerichtete mit glänzendem Lack – der Unterschied ist frappierend. Ein grüner Freigabezettel zeigt an: Dieses Teil kann in eine neue Maschine eingebaut werden.

Einbau in neue Maschinen

Das passiert im Schwanauer Werk. Wohin die aufbereiteten Komponenten gehen, entscheidet sich dort. Zuletzt sind mehrere riesige Maschinen für Metroprojekte in europäischen Großstädten auf diese Weise entstanden. Dass ein kompletter Tunnelbohrer aus wiederaufbereiteten Teilen besteht, kommt zwar vor, ist aber die Ausnahme. Meist handelt es sich um eine Mischung – der Anteil der aufbereiteten Teile liegt normalerweise zwischen zehn und 70 Prozent.

Dass das funktioniert, überrascht manche Kunden. „Viele kommen erst einmal her, um sich die Wiederaufbereitung selbst anzuschauen“, weiß Kortz. Das Thema liege aber im Trend, denn der ökologische Aspekt werde wichtiger. Und die Aufgabe ist für den Werkleiter faszinierend: „Vom filigranen Elektroteil bis hin zu massiven Bohrschilden mit ursprünglich mehr als zehn Meter Durchmesser – bei uns landet alles.“ Auch die Teile der vier Maschinen aus der Region Stuttgart. Wohin es Sibylles Komponenten wohl verschlägt? Das weiß bisher noch keiner. Doch sie werden wieder glänzen.