Ein Anwalt klärt auf: Gesetzlich haben Reisende das Recht, einen Angehörigen zu kontaktieren und ihr Konsulat einzuschalten, wenn sie festgehalten werden. Die Praxis sieht aber oft anders aus. Foto:dpa/Jens Kalaene Foto:  

Touristen berichten von stundenlangen Verhören an türkischen Flughäfen. Auch Menschen, die keine türkischen Wurzeln haben, sind betroffen.

Istanbul - Dila Wiedemann war nach der Landung in der Türkei noch auf dem Weg zur Passkontrolle, als sie von Zivilpolizisten aufgehalten und weggeführt wurde. Quälende Stunden der Angst verbrachte die 47-jährige Bundesbürgerin im Polizeiverhör, bis sie schließlich ohne weitere Erklärung freigelassen wurde und einreisen durfte, wie sie unserer Zeitung berichtete. In Wirklichkeit heißt Wiedemann anders, aber ihren echten Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen. Ihre Erfahrung war kein Einzelfall.

Die Öffentlichkeit erfährt meist nur davon, wenn Bundesbürgern nach dem Verhör die Einreise verweigert wird, wie zuletzt dem Hamburger Mahmut Canbay, oder wenn sie gar bei der Einreise festgenommen werden, wie kürzlich Osman B. aus Hessen. Berichte von Betroffenen legen aber nahe, dass stundenlange Verhöre von deutschen Urlaubern an türkischen Flughäfen nicht selten sind und Reisende auf alles vorbereitet sein sollten.

Vermutung: Wegen Aussehens festgehalten

Wiedemann vermutet, dass sie wegen ihres dunklen Teints und „ostanatolischen“ Aussehens aufgehalten wurde, denn ihre Eltern stammen aus der Osttürkei. Die meisten Reisenden, die mit ihr im Polizeigewahrsam waren, hätten kurdisch ausgesehen, berichtet sie – bis auf ein deutsches Mädchen mit einem arabischen Freund, das offenbar schon sehr viel länger festgehalten wurde und außer sich war vor Angst.

Wo ihre Eltern geboren seien, verlangten die Beamten von Wiedemann zu wissen, warum sie keine türkische Staatsbürgerschaft habe und ob ihre grauen Haare echt seien. Grob und unhöflich seien sie gewesen, hätten sie geduzt und angeblafft, erzählt die Datenerfasserin aus dem hessischen Langen – und dann durfte sie plötzlich gehen.

Auch Deutsche ohne türkische Wurzeln betroffen

Auch Bundesbürger ohne türkische Wurzeln kann es treffen. So berichtete die Bremer Lehrerin Maria Meyer* der „taz“ vor einigen Monaten von einer Nacht in Polizeigewahrsam am Istanbuler Flughafen. Warum, das könne sie sich nicht erklären, sagte die 56-jährige – sie nutze weder Facebook noch Twitter und sei in keiner politischen Gruppe aktiv.

Dennoch holten Zivilpolizisten sie aus der Schlange vor der Passkontrolle, beschlagnahmten ihr Telefon und durchsuchten ihre Kamera. “Auf einem Foto war ein Raum im Kulturzentrum Lagerhaus zu sehen, in dem ich manchmal Deutsch unterrichte“, berichtete die Lehrerin. „Dort haben sie im Hintergrund eine kurdische Fahne entdeckt und gleich darauf gezeigt.“ Die Einreise wurde ihr verweigert.

Das empfiehlt ein Anwalt

Innenminister Süleyman Soylu, ein Hardliner in der Regierung von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, erklärte im März das Vorgehen der türkischen Behörden, als er über Aktivitäten der Terrororganisation PKK in Deutschland sprach: „Es gibt ja Leute, die in Europa oder in Deutschland an Kundgebungen so einer Terrororganisation teilnehmen und dann nach Antalya, Bodrum oder Mugla kommen, um Urlaub zu machen“, sagte Soylu damals. „Für die haben wir Maßnahmen getroffen: Die sollen ruhig kommen, dann werden sie bei der Einreise am Flughafen festgenommen.“

Der Terrorbegriff wird in der Türkei anders ausgelegt als in Deutschland. Schon Nichtigkeiten können deshalb zu schlimmen Scherereien bei der Einreise führen, warnt Rechtsanwalt Murat Deha Boduroglu, der den deutschen Menschenrechter Peter Steudtner bei seiner Odyssee durch die türkische Justiz verteidigte. Steudtner saß 2017 monatelang in einem türkischen Gefängnis. Die Vorwürfe in dem Verfahren stützten sich unter anderem auf eine Landkarte, die auf dem Laptop seines Kollegen gefunden wurde: Sie zeigte die Sprachen im Nahen Osten – und wurde vom Staatsanwalt als Plan zum Umsturz des türkischen Staates interpretiert. Am besten lösche man Inhalte auf Smartphone und Laptop vor der Einreise in die Türkei, empfiehlt Boduroglu deshalb.

Diese Rechte haben Reisende

Gesetzlich haben Reisende das Recht, einen Angehörigen zu benachrichtigen und ihr Konsulat einzuschalten, wenn sie von der Polizei festgehalten werden, betont Boduroglu. Reisende sind auch nicht verpflichtet, ihre Telefone zu entsperren oder soziale Medien offenzulegen, bevor ein Gerichtsbeschluss vorliegt und ein Anwalt dabei ist.

In der Praxis geht es auf den Flughäfen erfahrungsgemäß anders zu, wie Betroffene berichten: Festgesetzte Reisende werden am Telefonieren gehindert und genötigt, ihre Smartphones zu entsperren und durchsuchen zu lassen, wenn sie wieder freigelassen werden wollen. Wer sich wehrt und auf seine Rechte besteht, muss mit „praktischen Konsequenzen“ rechnen, wie Boduroglu einräumt: Untersuchungshaft von bis zu 15 Tagen ist in der Türkei bei Terrorverdacht möglich – und dafür kann ein unglückliches Foto oder eine Landkarte schon ausreichen.