Im Prozess gegen die deutsch-türkische Journalistin Mesale Tolu könnte am Dienstag ein Urteil fallen. (Archivbild) Foto: dpa

Über 100 Deutsche sind in der Türkei im Visier der Justiz. Am Dienstag könnte das Urteil gegen die deutsch-türkische Journalistin Mesale Tolu fallen.

Istanbul - In der Türkei sitzen nach Angaben aus dem Auswärtigen Amt gegenwärtig insgesamt 67 Deutsche in Haft, dazu kommen 69 Bundesbürger, die mit einer Ausreisesperre belegt sind und das Land nicht verlassen dürfen. Manche müssen sich wegen krimineller Delikte wie Drogenschmuggels verantworten, bei anderen geht es um politische Vorwürfe, für die Haftstrafen von mehr als 40 Jahren gefordert werden.

Manchmal genügte eine kritische Äußerung in den sozialen Medien für eine Festnahme. Ein Ende der Verfolgungen und der Belastungen für die deutsch-türkischen Beziehungen ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Die türkische Regierung will künftig eigens Richter und Staatsanwälte an den Flughäfen postieren, um schnell über verdächtige Reisende entscheiden zu können.

An diesem Dienstag könnte im Prozess gegen die deutsch-türkische Journalistin Mesale Tolu in Istanbul ein Urteil fallen. Tolus Anwälte rechnen jedoch mit einer erneuten Vertagung des Prozesses, der vor mehr als zwei Jahren begonnen hatte. Die Staatsanwaltschaft wirft Tolu, ihrem Ehemann Suat Corlu und ihren Mitangeklagten die Unterstützung einer linksextremen Organisation vor und fordert bis zu 20 Jahre Haft für die Beschuldigten. Tolu saß nach ihrer Festnahme im Frühjahr 2017 ein halbes Jahr in Haft. Die Familie ist inzwischen wieder in Deutschland.

Anklage fordert 16 Jahre Haft für Deniz Yücel

Auch der ehemalige Türkei-Korrespondent der „Welt“, Deniz Yücel, ist nicht mehr in Istanbul gewesen, seitdem er nach einem Jahr im türkischen Gefängnis im Januar 2018 nach Deutschland heimkehren konnte. Der Prozess gegen den deutsch-türkischen Journalisten, dem Volksverhetzung und Propaganda für die kurdische Terrorgruppe PKK vorgeworfen wird, läuft ohne ihn weiter – obwohl das türkische Verfassungsgericht die Verhaftung des Reporters als verfassungswidrig gerügt hatte. Die Anklage fordert 16 Jahre Haft für Yücel; das Verfahren soll am 2. April fortgesetzt werden. Christian Mihr, Geschäftsführer der Organisation Reporter ohne Grenzen, wertet die Verfahren gegen die Journalisten Tolu und Yücel als bloße Schauveranstaltungen. „Auch rund zwei Jahre nach ihrer Freilassung bleiben Deniz Yücel und Mesale Tolu in den Augen der türkischen Justiz Kriminelle, obwohl sie nur ihre Arbeit gemacht haben“, erklärte Mihr kürzlich.

Der Berliner Menschenrechtler Peter Steudtner war im Sommer 2017 wegen der Teilnahme an einem Workshop bei Istanbul in Haft genommen worden, der von der Staatsanwaltschaft als subversives Treffen in staatsfeindlicher Absicht angesehen wird. Steudtner kam zu Prozessbeginn im Oktober 2017 frei, doch wie bei Tolu und Yücel läuft der Prozess gegen ihn weiter. Unter den Angeklagten sind auch der Ehrenvorsitzende von Amnesty International in der Türkei, Taner Kilic, und die ehemalige türkische Amnesty-Direktorin Idil Eser. Beim letzten Prozesstag vorige Woche vertagte das Gericht das Verfahren auf den 3. April.

Prozess von Kölner Sozialarbeiter wird im Juni fortgesetzt

Der deutsch-türkische Kölner Sozialarbeiter Adil Demirci war im Frühjahr 2018 zu einem Familienbesuch in die Türkei gekommen. Die Staatsanwaltschaft ließ ihn festnehmen, weil er – wie Tolu – für die linke Nachrichtenagentur Etha schrieb und angeblich Mitglied in einer linksextremen Gruppe war. Er konnte im Juni 2019 die Türkei verlassen. Sein Prozess wird am 16. Juni fortgesetzt.

Bereits seit Sommer 2017 sitzt der ehemalige türkische Geheimagent und Doppelstaatler Enver Altayli in türkischer Haft. Ihm wird vorgeworfen, die Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen unterstützt zu haben, die für den Putschversuch von 2016 verantwortlich gemacht wird. Die Anklage fordert bis zu 42 Jahre Haft für Altayli. Der Hesse Patrick Kraicker sitzt eine sechsjährige Haftstrafe wegen versuchter Unterstützung der Kurdenmiliz YPG ab. Die kurdischstämmige deutsche Sängerin Hozan Cane wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt, weil sie der PKK angehören soll.

Seit September sitzt zudem Yilmaz S., ein Vertrauensanwalt der deutschen Botschaft in Ankara, im Gefängnis. Er sollte für die deutschen Behörden die Angaben türkischer Asylbewerber überprüfen. Die Anklage wirft ihm Datenmissbrauch und Geheimnisverrat vor. Der Prozess gegen den Juristen beginnt am 12. März.