Manche Autofahrer verirren sich in die Feinstraße und müssen wieder zurück. Dabei gefährden sie manchmal Fahrradfahrer. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Für Autofahrer und Fahrradfahrer gelten vorübergehend neue Regeln. Der ADFC kritisiert sie in einigen Punkten. Er sieht darin kein taugliches Modell für die Zeit, wenn 2019 die Sanierung des Österreichischen Platzes in die zweite Runde geht.

Stuttgart - Cornelius Gruner steht an der Tübinger Straße und schüttelt den Kopf. „Da wird Sicherheit vorgegaukelt, aber das Sicherheitskonzept funktioniert nicht“, warnt der Kreisvorsitzende des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC). Gemeint ist die neue Verkehrsregelung auf der Tübinger Straße.

Nach allen Regeln der Kunst hat die Stadtverwaltung hier Stuttgarts wichtigste Fahrradstraße zerlegt. Sie installierte Schilder, markierte die Fahrbahn, ordnete den Verkehr darauf neu und führte Ampeln für Autofahrer und Radfahrer ein. Die Operation dient dem Zweck, dass das Einkaufszentrum Gerber für Lieferverkehr erreichbar bleibt und niemand gefährdet wird, wenn es am Österreichischen Platz wegen Bausanierungen Sperrungen gibt.

Sechs Wochen soll das währen. Die Verwaltung hatte es im April für unverzichtbar erklärt. Eine Minderheit im Gemeinderat und der ADFC protestierten vehement. Vergangenen Freitag ging es trotzdem los. Schon bis Montagabend zeigte sich Nachbesserungsbedarf – teilweise auch für die Stadtverwaltung. Sie beseitigte umgehend wieder Schwellen, die sie auf dem Stadtauswärts-Radstreifen in Höhe der Cottastraße mitten im Radweg platziert hatte – um alle Radler zu zwingen, mit den Autofahrern an einer neuen Ampel zu stoppen.

Außerdem im Video: Das neue Verkehrskonzept auf der Tübinger Straße ist nicht die einzige Veränderung im Gerberviertel. Kaum ein Quartier in Stuttgart hat sich in den letzten zehn Jahren so stark gewandelt. Welche Welten dort aufeinander prallen, sehen Sie in unserer Multimedia-Reportage. Den Link gibt’s am Ende des Videos:

Einmündung der Feinstraße ist eine problematische Stelle

Warum das auch jene Radler tun sollen, die geradeaus weiter wollen und keine Kreuzungsvorgänge mit den Autos hätten, erschließe sich den Betroffenen aber nicht, sagen ADFC-Chef Gruner und der Vize Frank Zühlke. Man könne es höchstens damit begründen, dass vom Brauereigelände manchmal Lkw ausfahren. Doch dort habe es bisher auch ohne Ampel geklappt. Zum Marienplatz strebende Radler könne man auf dem Radstreifen doch einfach weiterfahren lassen, notfalls mit einer ständig Grün zeigenden Fahrradampel oder einer Fahrradampel, die nur auf Rot wechselt, wenn ein Lkw bei der Brauerei Grün anfordert.

Die Schwellen sind weg, die Gefahren für Radler bestehen nach dem Urteil des ADFC an dieser Kreuzung aber fort, weil es in Fahrtrichtung Stadtzentrum zu Konflikten komme zwischen zwangsweise nach rechts auf die Cottastraße abbiegenden Autos und geradeaus fahrenden Radlern.

Besonders schwierig ist die Regelung an der Feinstraße. Da hinein müssen zurzeit alle Autofahrer zwingend steuern, wenn sie auf der Tübinger Straße vom Stadtzentrum ankommen. Besucher einer Tiefgarage und Schadenmelder einer Autoversicherung wollen dorthin, andere Fahrer möchten weiter. Eine Ausfahrt am anderen Ende gibt es aber nicht. Man muss zurück. Diejenigen, die das erkennen, wenden manchmal sogar schon auf der Tübinger Straße und gefährden so die Radfahrer. Nicht wenige Autos rollten am Montag in Höhe der Feinstraße auch stadtauswärts auf der Tübinger Straße weiter, was nicht erlaubt ist. Bis zum frühen Abend gab es hier freilich auch widersprüchliche Schilder. Der Kollaps an dieser Ecke war auch noch begünstigt worden. Wer nämlich aus der Gerber-Garage kommt, erhält an der Abfahrt zur Tübinger Straße keine Anweisung. Sinnvoll wäre es, ihm das Linksabbiegen zum Stadtzentrum vorzuschreiben, das Rechtsabbiegen zum Nadelöhr Feinstraße zu verbieten.

Die Straßenverkehrsbehörde verteidigt sich

Am besten hätte man die Fahrradstraße belassen, wie sie war, meint der ADFC. Man könne von Autofahrern verlangen, sich ohne Ampeln die Vorfahrt zu gewähren. Beim zweiten Bauabschnitt werde es gerade so weitergehen – freilich über eine lange Zeit von Mai bis September 2019. Das könne man der Fahrradstraße und rund 4000 Radfahrern pro Tag nicht antun. Die Fahrradbloggerin Christine Lehmann befürchtet einen Rückschlag. Durch solche Missstände verdränge man viele Radfahrer, und es dauere lang, bis sie zurückkämen.

Die Straßenverkehrsbehörde hält dagegen. Bei der Cottastraße habe man schnell eingegriffen, auch den Ampelmast versetzt, sagt Peter Koch. Die Kritiker seien getrieben von einer grundsätzlichen Unzufriedenheit, weil man in die Fahrradstraße eingriff und diese ihren Charakter für gewisse Zeit verloren habe. Der Österreichische Platz müsse aber saniert werden – und aus Sicherheitsgründen brauche man eine angepasste Regelung. Alle müssten sich an Regeln halten. Vielleicht bedürfe es einer Gewöhnungszeit. Man beobachte die Lage weiter und werde notfalls „Stellschrauben verändern“. Wenn sich die Regelung bewähre, werde man sie 2019 wiederbeleben.