Das Nationalteam feiert mit Olympia-Silber den größten Erfolg der deutschen Eishockey-Geschichte. Foto: dpa

Nach dem Silber-Coup bei den Olympischen Winterspielen ist im deutschen Eishockey die Hoffnung auf einen nachhaltigen Schub für die Sportart groß. Das ist ein normaler, ein automatischer Reflex nach einem großen Erfolg – doch die Wirklichkeit sieht anders aus.

Stuttgart - Deutschland ist ein Fußball-Land. So ist das, und so wird das immer sein. Trotzdem gibt es immer wieder Momente, in denen sich andere Mannschaftssportarten die Hoffnung machen, zumindest ein wenig aus dem Schatten des allmächtigen Dominators zu treten.

Jetzt also Eishockey. Olympia-Silber in Pyeongchang, der größte Erfolg in der Geschichte der deutschen Kufencracks. Plötzlich werden selbst die Fußball-Rekordmeister des FC Bayern München nach dem Spiel zu ihrem Eishockey-Bezug befragt. Stars aus anderen Sportarten wünschen viel Glück für die Partien, es ist enorme Beachtung bei allen sportinteressierten Menschen in Deutschland da. Eishockey ist Gesprächsthema. „Hoffentlich gibt es einen Boom“, sagt Bundestrainer Marco Sturm. Und Nationalverteidiger Moritz Müller von den Kölner Haien meint: „Wir mögen schon auch alle Fußball, aber wir glauben, dass Deutschland ein Land ist, wo mehr Platz ist als für eine große Sportart. Oft ist Eishockey ja ein bisschen verrufen als Holzfäller-, Hacker-Sport. Ich glaube, man hat gesehen, dass Eishockey ein ganz toller, technischer, taktisch geprägter Sport ist.“

DEB-Präsident Franz Reindl glaubt an einen Schub

Vor acht Jahren gab es die Hoffnung auf einen nachhaltigen Aufschwung schon einmal, nach dem vierten Platz bei der Heimweltmeisterschaft 2010 mit dem Zuschauerweltrekord im Eröffnungsspiel. Der Hype verpuffte jedoch seinerzeit so schnell, wie er entstanden war. Das soll diesmal nicht passieren. „Wir wollen besser werden, wir wollen wachsen, größer werden“, sagt der Präsident Franz Reindl, der den Deutschen Eishockey-Bund (DEB) seit 2014 konsolidiert hat. „Ich glaube schon an einen Schub. Wir sind vorbereitet. Wir sind auf einem ganz anderen Weg als 2010.“

Die Hoffnung auf einen Schub für die Sportart nach einem großen Erfolg ist der normale, automatische Reflex. Die Parolen, die danach zu hören sind, sind immer die gleichen. Aufmerksamkeit nutzen, Nachhaltigkeit schaffen et cetera. So weit der Wunsch. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Weder im Eishockey noch im Handball oder Basketball – den drei Kandidaten auf den Platz als Kronprinz nach König Fußball – hat sich dies in den vergangenen Jahren nach sportlichen Erfolgen materialisiert.

Kurzer, heftiger Ausschlag in der öffentlichen Wahrnehmung

Der (Fernseh-)Zuschauer sieht gerne deutsche Mannschaften siegen, egal ob mit Ball oder Puck oder alle vier Jahre bei Olympia mit Hockeyschläger. Doch nach einem kurzen, heftigen Ausschlag in der öffentlichen Wahrnehmung bei einem WM-, EM- oder Olympia-Coup löst sich das Interesse in der Regel schnell wieder auf. „Die Frage ist, wie man den sportlichen Erfolg verstetigen kann. Das ist die Grundvoraussetzung zur Vermarktung, aber sehr schwierig“, sagt André Bühler, Professor für Marketing an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen sowie Direktor des Deutschen Instituts für Sportmarketing: „Man kann den sportlichen Erfolg bei Großereignissen nicht planen. Was geht: Man kann sich ein Stück weit vom sportlichen Erfolg unabhängig machen mit Marketingstrategien, mit denen man der Sportart ein Gesicht gibt.“

Brillante Individualisten, die aus der Mannschaft herausragen, lassen sich besser vermarkten als eine Masse an Spielern. Einzelne Akteure wie der Handballer Andreas Wolff haben es so geschafft, mit dem Erfolg ins Rampenlicht rücken – die Kunst ist es, dort zu bleiben. Schon der erste Schritt ist im Eishockey per se schwierig, weil die Protagonisten ihr Tagwerk mit Helmen auf dem Kopf verrichten und so die Wiedererkennbarkeit nicht so leicht ist.

Wer würde auch nur einen Eishockey-Nationalspieler auf der Straße erkennen?

Wer würde auch nur einen deutschen Nationalspieler auf der Straße erkennen? Oder wer kann spontan mehr als fünf Spieler aus dem Olympia-Aufgebot samt zugehörigem Verein nennen? „Die Eishockeyspieler haben eine große Sensation geschafft, viele David-gegen-Goliath-Duelle gewonnen. Das sind Geschichten, die man gut erzählen kann“, sagt Bühler. „Auch in der Sportvermarktung geht es immer mehr um das Storytelling.“

Die Basis ist und bleibt der sportliche Erfolg – anhaltender sportlicher Erfolg. Sollte die Eishockey-Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft im Mai in Dänemark enttäuschen, wird das mediale Interesse so rasch wieder verebben, wie es hochgeschnellt ist. Und Mitgliederzuwächse sind eh noch einmal ein ganz anderes Thema. „Kinder zu Sportarten zu führen ist ein langfristiger Prozess. Man muss mit den Schulen zusammenarbeiten, den Nachwuchs fördern, da liegt bei uns in Deutschland einiges im Argen“, sagt Bühler. Der Experte warnt auch davor, dass die anderen Mannschaftssportarten sich am Fußball orientieren und an ihm messen: „Im Vergleich mit Fußball verliert jede Sportart. Wir haben in Deutschland eine Monokultur des Fußballs, das wird kurz- oder mittelfristig nicht aufzubrechen sein.“

Beispiel Handball: Deutschland sucht den Superstar

Auf das Sommermärchen 2006 folgte sogleich das Wintermärchen 2007. Anders als die deutschen Fußballer konnten die deutschen Handballer um Michael Kraus und Markus Baur bei ihrer Heim-Weltmeisterschaft sogar den Titel gewinnen. Die Mitgliederzahlen stiegen von 819 544 (2007) auf 847 406 (2009), seitdem sind sie aber im steilen Sinkflug bis auf 756 907 (2017). Auch die Tatsache, dass die Bundesliga als beste Liga der Welt gilt, und der Europameistertitel 2016 konnten daran nichts ändern. Immerhin schauten sich das EM-Finale vor zwei Jahren gegen Spanien fast 13 Millionen Menschen im TV an – es war abgesehen von Fußballübertragungen die beste Sport-Fernsehquote jenes Jahres. Der EM-Held Andreas Wolff war anschließend omnipräsent im TV, tingelte von einer Sendung zur nächsten. Doch als sportartenübergreifender Star hat der DHB-Torwart sich nicht etablieren können – also als ein Gesicht vom Schlage eines Stefan Kretzschmar (Karriereende im Nationalteam nach Olympia-Silber 2004). Die „Bad Boys“ haben es mit dem EM-Titel und Olympia-Bronze 2016 zu Beliebtheit gebracht, aber es danach verpasst nachzulegen. Bei der WM 2017 scheiterten sie im Achtelfinale an Katar, und bei der EM 2018 (Hauptrunden-Aus) beherrschten vor allem die Probleme mit dem neuen Bundestrainer Christian Prokop die Schlagzeilen.

Beispiel Basketball: Der Trend ist positiv

Der Basketball in Deutschland hat das, wonach alle anderen Teamsportarten lechzen: einen veritablen Superstar – Dirk Nowitzki (39). Der beste Europäer in der Geschichte seiner Sportart hat mit den Dallas Mavericks in der nordamerikanischen Eliteliga NBA den Titel gewonnen (2011) und wurde anschließend als erster Mannschaftssportler zum „Sportler des Jahres“ gewählt. Bis 2015 stellte der 2,13-Meter-Mann sich auch ganz unprätentiös in den Dienst des Nationalteams. Bronze bei der Weltmeisterschaft 2002 in den USA und Silber bei der Europameisterschaft 2005 in Serbien und Montenegro sprangen heraus. Mehr war nicht drin, weil nicht genug Qualität um Dirk Nowitzki herum war. Allerdings hat der Würzburger mit seiner Popularität durchaus dafür sorgen können, dass Basketball in diesem Jahrtausend einen Aufschwung erlebt hat, nachdem im Anschluss an den EM-Titel 1993 eine Durststrecke angesagt war. Bei der EM 2017 erreichte die Mannschaft, angeführt von NBA-Jungstar Dennis Schröder, nach einem Überraschungssieg im Achtelfinale gegen Frankreich das Viertelfinale. Während Handballer und Volleyballer in den vergangenen Jahren an Mitgliedern verloren haben, haben die Basketballer welche dazugewonnen – 2017 übersprangen sie erstmals seit 2005 wieder die Marke von 200 000. Der Trend ist positiv.

Beispiel Volleyball: Hinten anstellen ist angesagt

Olympia-Fünfter 2012, WM-Dritter 2014, EM-Zweiter 2017 – die Erfolge der deutschen Volleyballer in der jüngeren Vergangenheit können sich sehen lassen. In dem Haudrauf Georg Grozer junior gibt es auch einen herausragenden Individualisten. Doch abgesehen von den Höhepunkten mit dem Nationalteam ist von dem 33-Jährigen nichts zu hören und zu sehen. Warum, lässt sich an seinen Stationen seit 2010 ablesen: Asseco Resovia Rzeszow, Lokomotiv Belgorod, Daejeon Samsung Bluefangs, Fudan University Shanghai und VK Lokomotiv Nowosibirsk. Das zeigt ein Problem auf: Gute Volleyballer müssen in die Ferne schweifen, wenn sie an die großen Geldtöpfe ranwollen. Die Bundesliga kann da nicht mithalten. Sie muss sich hinten anstellen, auch was die Zuschauerzahlen und Medienpräsenz im Vergleich mit Handball, Basketball oder Eishockey angeht. In dieser Saison werden nach dem EM-Coup 2017 immerhin sieben Spiele der Volleyball-Bundesliga im Free-TV bei Sport 1 gezeigt (ansonsten Online-Übertragung auf Sportdeutschland.tv). Von der Basketball-Bundesliga zeigt der Spartensender 48 Partien und von der Deutschen Eishockey-Liga 40 Partien aus Hauptrunde und Play-offs (Rest ist jeweils im Bezahlangebot der Telekom verfügbar). Die Handball-Bundesliga setzt neuerdings auf den Pay-TV-Sender Sky (Zweitverwertung ARD/ZDF).

Beispiel Hockey: Regelmäßge Erfolge helfen

Wenn es nach den Erfolgen der Männer-Nationalmannschaft geht, müsste sich der Hockeysport in der öffentlichen Wahrnehmung auf Augenhöhe mit dem Fußball befinden. Mindestens. Zweimal Olympiasieger (2008 und 2012), zweimal Dritter bei den Olympischen Spielen (2004 und 2016), dazu zweimal Weltmeister (2002 und 2006) und einmal Vizeweltmeister (2010). In die Sphären der Kicker sind die Hockeyspieler dennoch nicht aufgestiegen – aber immerhin: Der Trend zeigt nach oben. Die Mitgliederzahlen des Deutschen Hockey-Bundes (DHB) entwickeln sich stetig positiv. 2002 waren es noch rund 61 000, 2017 beinahe 85 000 Mitglieder. „Die regelmäßigen Erfolge der Nationalmannschaft haben der Sportart geholfen“, sagt Christoph Wüterich, einst DHB-Präsident und heute Clubchef beim HTC Stuttgarter Kickers, „und es wurde jeweils ordentlich nachgearbeitet.“ Zum Beispiel mit der erfolgreichen Bewerbung um die WM 2006, die in Mönchengladbach stattfand. Um TV-Zeiten muss der Hockeysport weiter kämpfen, nutzt im Internet aber längst entsprechende Plattformen. Die Hallen-WM in Berlin wurde kürzlich bei Sport 1 live übertragen. In Moritz Fürste, Welt-Hockeyspieler 2012, hat der Sport einen prominenten Fürsprecher, der sich immer wieder öffentlichkeitswirksam für eine Sportvielfalt in den deutschen Medien einsetzt.