Der Anteil des öffentlichen Nahverkehrs in der Region Stuttgart liegt seit Jahren konstant bei rund 25 Prozent. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Die Weichen für Verbesserungen im öffentlichen Nahverkehr in Stuttgart sind zwar gestellt – doch der Ärger wird noch einige Jahre Mitfahrer sein, kommentiert unser Redakteur Thomas Durchdenwald.

Stuttgart - Licht und Schatten liegen in kaum einem Bereich so eng zusammen wie im öffentlichen Nahverkehr. Am Freitag verkündete der VVS einen neuen Fahrgastrekord, keine 24 Stunden zuvor hatte eine Weichenstörung jede zweite S-Bahn im abendlichen Berufsverkehr gestoppt. Kein Einzelfall: Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht S- und Stadtbahnen aus dem Takt geraten, Busse im dichten Stadtverkehr stecken bleiben oder ganz ausfallen. Andererseits transportieren der VVS und seine Verkehrsbetriebe von DB Regio über SSB bis zu den privaten Busunternehmen auch im vergangenen Jahr so viele Fahrgäste wie nie zuvor. Einerseits werden Klagen über verspätete und proppevolle Bahnen und Busse immer lauter, andererseits weist der VVS Zuwachsraten über dem Bundesschnitt auf.

Erfolg und Ärger – wie passt das zusammen? Ist der öffentliche Nahverkehr doch besser als sein Ruf? Oder profitiert er davon, dass wer mit dem Auto fährt, in unserer Region noch ungewisser sein Ziel in der angenommenen Zeit erreicht?

Wer dem Erfolg des VVS auf die Spur kommen will, muss über den Tellerrand der Verkehrspolitik blicken. Seit Herbst 2014 ist die Bevölkerung in der Region Stuttgart um fast 100 000 auf knapp 2,8 Millionen gewachsen – das entspricht einer Stadt von der Größe Ludwigsburgs oder Esslingens. Allein in Stuttgart nahm die Zahl der Einwohner in diesem Zeitraum um mehr als 20 000 zu. Ähnlich rasant entwickelte sich die Zahl der Beschäftigten in der wirtschaftsstarken Region mit einem Plus von 2,5 Prozent. Und wenn mehr Menschen in einer Region leben und arbeiten, fahren auch mehr Menschen mit Bussen und Bahn – und übrigens auch mit dem Auto, was Tag für Tag auf den Straßen zu beobachten ist.

Noch immer dominiert in der Region Stuttgart das Auto

Der Fahrgastrekord des VVS ist nicht nur, aber auch ein Ergebnis der Attraktivität und des wirtschaftlichen Erfolgs der Region Stuttgart. Dazu beigetragen haben ebenso dichtere Takte und neue Linien, attraktive Angebote wie Firmen- und Seniorenticket. Der VVS hat also vieles richtig gemacht, aber auch von günstigen Rahmenbedingungen profitiert.

Der Anteil des öffentlichen Nahverkehrs an der Mobilität in der Region Stuttgart liegt dennoch seit Jahren konstant bei rund 25 Prozent. Noch immer dominiert das Auto, mit dem mehr als zwei Drittel der Wege zurückgelegt werden. Daraus folgt: Wer Bus und Bahn fördern will, muss mehr tun als in den vergangenen Jahren. Das hat die Politik nach Jahren des internen Streits und der Untätigkeit erkannt. In den vergangenen Monaten sind zahlreiche Entscheidungen gefallen, die jede für sich schon als Meilenstein gelten, im Zusammenspiel aber zu einer großen Nahverkehrsoffensive werden: Land, Region, Kreise und Städte bauen das Angebot im Nahverkehr kontinuierlich aus.

Vieles ist Plan, wenig ist Realität

Die von April an geltende Tarifreform vereinfacht das System und lässt auf vielen, nicht allen Verbindungen die Preise sinken. Das war längst überfällig. Der Kreis Göppingen schlüpft – endlich – unters Dach des VVS. Der Kauf von 56 neuen S-Bahnen ist beschlossen, neue Signaltechnik kann Kapazitäten erhöhen und Verspätungen minimieren. Doch auch die Risiken begleiten die Fahrgäste: die störanfällige, weil jahrelang vernachlässigte Infrastruktur, die frühestens mit der Inbetriebnahme von S 21 besser wird, und die drohenden Personalengpässe im Schienenverkehr, für den bald neue Unternehmen zuständig sein werden.

Die Weichen für einen besseren Nahverkehr sind also gestellt. Doch ob der Zug Mitte des Jahrzehnts auch pünktlich ankommt, ist ungewiss. Vieles ist Plan, wenig Realität. Sicher ist nur: Erfolg und Ärger werden noch einige Jahre Mitfahrer sein.

thomas.durchdenwald@stzn.de