Pellegrino Matarazzo hat den Durchblick. Der VfB-Trainer hat die gerade abgelaufene Saison analysiert, um seine Schlüsse für die kommende Spielzeit zu ziehen. Foto: Baumann

Der Trainer des VfB Stuttgart glaubt, dass sich der VfB nach dem Aufstieg leichter tun wird als in der zweiten Liga – unterliegt Pellegrino Matarazzo da einem Irrglauben?

Stuttgart - Der Glaube an das eigene Team ist stark. Wäre ja auch noch schöner, wenn der Cheftrainer nicht von den eigenen Leuten überzeugt wäre. „Wir verfügen über eine talentierte Mannschaft mit viel Potenzial“, sagt Pellegrino Matarazzo über den VfB Stuttgart. Das ist keine ganz neue Einschätzung und Matarazzo stand bisher auch nicht unter dem Verdacht, die Qualität seiner Spieler gering zu schätzen. Das ist nicht die Art des 42-jährigen Fußballlehrers – und daran hat sich nach dem Aufstieg und zwei Tagen akribischer Saisonanalyse nichts geändert.

Nach dem Feiern am Sonntagabend, den ersten Gesprächen am Montag, dem Familientag am Dienstag ging es für Matarazzo am Mittwoch und Donnerstag um die Mannschaft: Stärken und Schwächen, Hierarchie und Struktur, Potenziale und Perspektiven. All das auf Basis von dem, was in den Stuttgarter Beinen steckt und verbunden mit der Frage nach möglichen Verstärkungen. Wer jedoch denkt, dass Matarazzo mit der direkten Rückkehr in die Bundesliga eine Machtdemonstration verbunden hat, sieht sich getäuscht. „Ich befinde mich im ständigen Austausch mit Thomas Hitzlsperger und Sven Mislintat.“

Spieler X oder nix?

Zu den Sitzungen mit dem Sportvorstand und dem Sportdirektor erschien der Trainer mit klaren Vorstellungen, aber ohne einen Wunschzettel, auf dem in Guardiola-Manier steht: Spieler X oder nix. „Letztlich geht es ja auch um die finanziellen Möglichkeiten, die wir für eventuelle Verstärkungen zur Verfügung haben“, sagt Matarazzo. Über viel Geld verfügt der VfB in Corona-Zeiten nicht, und Sportdirektor Mislintat wird eher darüber nachdenken, die Kadergröße zu verkleinern, um den Etat zu entlasten. Der Trainer legt deshalb in erster Linie den Fokus auf die Spieler, die schon da sind. Denn am Grundgerüst der Mannschaft wird sich nach erfolgtem Umbruch im vergangenen Sommer nicht viel ändern. Wohl aber an der Spielweise.

Die Bundesliga ist die Bühne der Besten in Deutschland und sie bietet offenbar mehr Raum zur Entfaltung der weiß-roten Fähigkeiten als diese vermaledeite Spielklasse darunter. „In der Bundesliga werden wir unsere Matchpläne variabler ausrichten können als in der zweiten Liga“, sagt Matarazzo, mit dem wichtigen Zusatz: „Das kann uns zugutekommen.“ Vorbei also die bleiernen Partien, als es für die VfB-Elf darum ging, überhaupt erst Räume zum Spielen zu finden.

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Allzu oft fühlten sich die Stuttgarter in der abgelaufenen Saison, als müssten sie durch ein Nadelöhr kombinieren, und noch eins, und noch eins. Doch für dieses enge Spiel fehlte dem VfB häufig die Präzision. Jetzt soll es noch mehr um Tempo gehen und vor Augen haben die Verantwortlichen gerne eine Begegnung aus dem Februar. DFB-Pokal in Leverkusen. Der VfB verlor zwar, aber es gab schon ein paar schöne, schnelle Angriffe der Gäste gegen den Erstligisten zu bewundern.

Ob sich daraus jedoch eine spielstrategische Blaupause für die kommende Spielzeit ableiten lässt, ist eine ganz andere Frage. Schon häufiger erlagen die Stuttgarter dem Irrglauben, ihre Mannschaft werde sich leichter tun, wenn sie selbst nicht mehr das Spiel machen müsse. Aber leicht ist in der Bundesliga verdammt schwer, weil davon auszugehen ist, dass die meisten Abwehrspieler nicht so hölzern und langsam daherkommen wie der Nürnberger Georg Margreitter oder Sandhausens Gerrit Nauber.

Auch der Trainer lernt dazu

„Wir haben Spieler mit Speed in unseren Reihen und können große Räume vor uns gut überbrücken“, sagt Matarazzo. Auch spielerisch, meint der Trainer. Nicht allein durch Konter. Doch die Verteidiger sind ab jetzt wieder schneller, taktisch und technisch besser. Der umworbene Angreifer Nicolas Gonzalez weiß das aus seinem ersten Jahr in Stuttgart, und Silas Wamangituka wird es zu spüren bekommen.

Wie andere junge Spieler werden die wilden Kerle des VfB einen Lernprozess durchlaufen müssen – und Matarazzo wird versuchen, die Energie in die richtigen Bahnen zu lenken. Zumal er seine Entwicklung in den vergangenen Monaten nicht von der Mannschaft loslösen will. Für ihn bilden Team und Trainer eine Einheit. In diesem Fall eine Lerneinheit. Spiel für Spiel hat der Italoamerikaner seit Januar mehr und mehr über die Eigenheiten seiner Mannschaft gelernt.

Und gerade noch rechtzeitig gelang ihm der Kniff, der zum Aufstieg führte. „Gegen den SV Sandhausen und den 1. FC Nürnberg haben wir etwas anders und auch einen Tick mutiger gespielt als in manchen Begegnungen davor, und wir hatten uns nach den schweren Wochen auch vorgenommen, die Spiele trotz des großen Drucks mit der notwendigen Lockerheit anzugehen“, sagt der Coach rückblickend. Vorausschauend will er sich diesen neuen Mut bewahren: Der VfB wird in der Vorbereitung großen Wert auf die Defensive legen, verstecken will er sich auf dem Platz jedoch nicht. Dafür ist Matarazzos Glaube an das Team zu stark.