Die Stadtbibliothek ist eines der beliebtesten Stuttgarter Instagram-Motive. Das stellt die Institution durchaus vor Herausforderungen. Foto: dpa

Viele Menschen nutzen Instagram als ihr Fotoalbum, eines, das sich jeder anschauen kann – und das dadurch anderen als Reiseführer dient. Die Stadtbibliothek steht als Instagram-Hotspot vor Herausforderungen.

Stuttgart - Ein Bügelbrett, ein Bügeleisen und ein Mensch, der – ja, genau: bügelt. Nichts besonderes, mag man meinen. An einem Ort, an dem man ansonsten aber Bücherregale, Bücher und Menschen, die lesen, antrifft, ist der Anblick aber durchaus ungewöhnlich. „Wir hatten das alles schon: Menschen, die bügeln, ein Catering auffahren oder sogar in einem Raum die Lamellenvorhänge abnehmen“, sagt Meike Jung, die Pressesprecherin der Stadtbibliothek Stuttgart. Sinn und Zweck dieser Aktionen: Das perfekte Foto zu bekommen.

Auf diese neue Situation sei die Bibliothek nicht vorbereitet gewesen, sagt Jung. Sie entstand durch zwei völlig voneinander unabhängige Ereignisse, die fast zeitgleich stattfanden: 2010 erschien Instagram, 2011 zog die Stadtbibliothek vom Wilhelmpalais an den Mailänder Platz, in das neu errichtete Gebäude des koreanischen Architekten Eun Young Yi. „Wir waren zunächst ziemlich blauäugig, was das Fotografieren im Gebäude anbelangt – vom Wilhelmpalais kannten wir das nicht“, sagt Jung. „Doch dann merkten wir, dass wir in Zusammenhängen erschienen, die nicht gehen: Sei es, dass wir mit bestimmten Produkten oder bestimmten Weltanschauungen in Verbindung gebracht wurden.“

In der Bibliothek braucht es eine Erlaubnis

Darum zog die Bibliothek die Reißleine – und formulierte Richtlinien für Fotografen. Sogar Personal musste abgestellt werden, das sich stundenweise nur um die Foto- und Filmaufnahmen kümmert. „Wir wollen zwar offen sein für alle, aber wir müssen auch vorsichtig sein. Wir lehnen viel ab. Wenn, dann darf nur zu bestimmten Zeiten und nicht zu den Stoßzeiten fotografiert werden – und bei Veröffentlichung der Aufnahmen muss man mit unserer Direktion Rücksprache halten“, so Jung.

Freilich gab es auch schon vor Instagram Fotografen, doch durch die sozialen Plattform konnte plötzlich jeder seine Fotos einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen. Und das wollten viele: 15 Millionen Menschen verwenden Instagram in Deutschland, zumindest laut der letzten offiziellen deutschen Nutzerzahlen von Instagram, die im August 2017 kommuniziert wurden. Laut Jung sind die sozialen Medien und speziell Instagram Fluch und Segen zugleich – Segen, weil sie die Stadtbibliothek natürlich auch bekannt machen.

„Die Stadtbibliothek ist ein typisches Beispiel dafür, wie Instagram den Tourismus verändert: Wenn sich Touristen über unsere oder eine andere Homepage über Stuttgart informieren, kommen sie nicht unbedingt auf die Stadtbibliothek. Aber auf Instagram taucht diese eben ganz massiv auf“, sagt Carolyn Hayes von Stuttgart Marketing.

Stuttgart Marketing ist auf allen wichtigen Plattformen unterwegs

Sie bestätigt, dass die digitale Kommunikation und die sozialen Medien längst eine relevante Rolle im Marketing spielen – „aber immer im positiven Sinne“. „Wir merken, dass sich die Anfragen häufen: Die Leute wollen etwa wissen, wo es den besten Ausblick für ein Instagram-Foto gibt. Zugleich gibt es auch immer mehr Leute, die sich durch Instagram über Stuttgart informieren“, sagt Hayes. Deshalb ist Stuttgart Marketing auf allen wichtigen Plattformen unterwegs – das wichtigste Tool sei aber Instagram, und dort speziell das Storytelling. Mit den sogenannten Instagram Stories können Nutzer Fotos und Videos für eine Art Diashow zusammenstellen, die 24 Stunden lang sichtbar bleibt. „Damit kann man super zeigen, wenn es gerade schneit oder wenn ein Stadtteilfest stattfindet“, sagt Hayes.

Stuttgarter Instawalks

Frank Hörner von den Instagramers Stuttgart meint gar, die Stories hätten die Bilder längst in den Hintergrund gedrängt: „Durch die Stories bekommt man noch viel mehr Aufmerksamkeit“. Und Aufmerksamkeit, also Likes, danach strebe man eben als Instagramer. Deswegen sei man auch immer auf der Suche nach neuen Motiven, neuen Blickwinkeln. Eine gute Möglichkeit, solch besondere Momente einzufangen, seien die Instawalks: Die Instagramers Stuttgart gehen immer wieder auf solche Foto-Touren, aber auch Stuttgart Marketing bietet diese seit 2015, mittlerweile sind es zehn im Jahr. „Wir gehen immer an exklusive Locations, etwa in den Park der Villa Reitzenstein oder bei Sonnenaufgang auf den Fernsehturm“, sagt Hayes, „das sind schon besondere Erlebnisse“. 20 Teilnehmer werden dafür ausgelost – oft bewerbe sich die vierfache Menge. „Wichtig ist für mich dabei auch das Netzwerken, der Austausch mit anderen Instagramern aus ganz Deutschland“, so Hörner, dessen Stuttgarter Lieblingsmotive der Fernsehturm und die Aussichten auf die Stadt sind.

Die Suche nach dem Kick

Doch manchen Instagramern reichen solche Walks nicht: Für das nicht nur perfekte, sondern das so noch nie dagewesene Foto scheuen manche auch das Verbotene nicht: „Ich kenne Stuttgarter, die gehen illegal auf Dächer rauf oder in S-21-Tunnel rein. Da hat sich sogar ein Tourismus drum entwickelt: Sogar aus Russland kommen Leute her, um die S-21-Tunnel zu fotografieren und zu posten“, sagt Hörner.

Die meisten der durchaus vielen Instagramer, die die S-21-Baustelle fotografieren, wählen dafür einen legalen Ort. Die frei zugängliche Dachterrasse der Stadtbibliothek etwa bietet sich dafür an. Bei der Veröffentlichung der Bilder muss man sich denn nicht einmal die Genehmigung des Architekten einholen. Das sieht anders aus, wenn man das Innere der Stadtbibliothek ablichtet. „Wir haben aber natürlich keine Scouts, die das überprüfen – vieles bekommen wir nicht mit“, sagt Meike Jung – und lacht: „Wenn der Architekt aber mal Geld braucht, hätte er da gute Chancen.“