Umstrittener Sieger: Christopher Froome Foto: AFP

Deutschlands wichtigster Manager Jörg Werner kritisiert vor dem Start der Tour de France den Weltverband UCI, weil er für sein Urteil im Fall Froome keine Erklärung liefert – und er spricht über Gehälter, Ablösesummen sowie die Ziele seiner Stars Marcel Kittel und Tony Martin.

Stuttgart - Die Frankreich-Rundfahrt startet an diesem Samstag. Dann stehen auch die Fahrer von Jörg Werner im Fokus. „Siege bei der Tour“, sagt der Radsport-Manager, „sind besonders viel wert.“

Herr Werner, der Radsport-Weltverband UCI hat Christopher Froome vom Verdacht des Dopings freigesprochen. Der Titelverteidiger darf bei der Tour de France starten. Zurecht?
Es gibt ein Reglement. Wenn die UCI feststellt, dass Froome nichts falsch gemacht hat, ist es in Ordnung, dass er starten kann.
Alles bestens also?
Nein.
Nein?
Es wäre schön zu erfahren, was die UCI dazu bewegt hat, Froome freizusprechen.
Er ist bei der Spanien-Rundfahrt 2017 erwischt worden – wegen seines Asthmas darf er zwar Salbutamol nehmen, wies aber einen doppelt so hohen Wert auf wie erlaubt . . .
. . . und jetzt gibt die UCI keinerlei Erklärung oder Begründung dafür ab, wie es zu diesem Wert kam und warum kein Regelverstoß vorliegt. Von Transparenz fehlt hier jede Spur. Die UCI wollte immer vermeiden, dass ein Geschmäckle entsteht. Und jetzt? Bleibt ein sehr, sehr ungutes Gefühl zurück.
Wie sehr schadet dieser Fall dem Radsport?
Erheblich, und dieser Imageschaden wird sicher nicht kleiner, wenn keine Begründung geliefert wird. Und ich mache mir, ehrlich gesagt, auch Sorgen um Chris Froome.
Warum?
Wer nichts gemacht hat und trotzdem einen derart überhöhten Wert eines Asthmamittels aufweist, bei dem muss irgendetwas nicht in Ordnung sein.
Ist Chris Froome dennoch – oder gerade deshalb – der große Tour-Favorit?
Ja. Er hat schließlich oft genug bewiesen, dass er dieses Rennen gewinnen kann.
Sauber?
Das hoffe ich.
Sie gelten als wichtigster Berater im deutschen Radsport. Sehen Sie das auch so?
Das ist sicher zu viel der Ehre.
Immerhin sind Sie unter anderem Manager der Top-Stars Marcel Kittel und Tony Martin. Garantiert das nicht automatisch großen Einfluss? Im Fußball wäre es so.
Dass dieser Vergleich überhaupt existiert, macht mich unglücklich.
Weshalb?
Ich verstehe meinen Job anders als andere Manager. Mir geht es zuallererst um die sportliche Perspektive meiner Athleten. Natürlich wäre es gelogen, wenn ich sagen würden, dass finanzielle Aspekte keine Rolle spielen. Aber meine Philosophie ist, dass der Sport absolut im Mittelpunkt stehen muss. Sonst verdient man auch nicht lange genug gutes Geld, zumindest nicht im Radsport.
Im Fußball schon?
Dort geht es um ganz andere Summen, und auch die Wichtigkeit der Berater ist eine ganz andere – quer durch alle Ligen. Ich glaube allerdings, dass es für einen Sport nicht gut ist, wenn Außenstehende, die nur eine Dienstleistung für einen Sportler erbringen sollen, derart Einfluss aufs Tagesgeschäft nehmen wie im Fußball.
Gibt es im Radsport Ablösesummen?
Nein. Und ein Vertrag ist auch noch ein Vertrag, der gilt, bis er abgelaufen ist.
Wie viel kann ein Weltklasse-Athlet im Radsport aktuell verdienen?
Absolute Spitzenfahrer wie Chris Froome oder Peter Sagan können auf drei bis vier Millionen Euro pro Jahr kommen.
Und wie hoch ist das Gehalt eines Profis, der bei der Tour de France Helferdienste leistet?
Wenn er ein wertvoller Helfer ist, der das Zeug hat, mal eine Etappe zu gewinnen, liegt er zwischen 100 000 und 200 000 Euro.
Viele Fußballer verdienen mehr – pro Woche.
Damit beschäftige ich mich nicht, das würde nur frustrieren. Die Gehälter und Ablösesummen im Fußball kann kein Normalsterblicher mehr nachvollziehen. Ich wundere mich nur, dass die Fankultur unter diesen abstrusen Summen noch nicht leidet.
Wie faszinierend ist aus Ihrer Sicht die Tour?
Sie ist vom Profil her nicht die schwerste Rundfahrt, die es gibt, aber natürlich das wichtigste Ereignis im Radsport. Die Tour ist allerdings auch unglaublich anstrengend.
Inwiefern?
Wer die Tour fährt, muss nicht nur die sportliche Herausforderungen bestehen, sondern auch das Drumherum bewältigen, das einen unglaublichen Stress erzeugt. Medial prasselt enorm viel auf die Fahrer ein, dazu kommen der Druck aus dem Umfeld, lange Transfers, kurze Erholungszeiten. Und das drei Wochen lang. Wenn man dies alles miteinrechnet, ist die Tour eben doch das mit Abstand schwerste Rennen der Welt.
Und sie macht Namen.
Definitiv. Wer bei der Tour etwas gewinnt, der hat gezeigt, dass er sich gegen die Besten durchsetzen kann. Das ist für den Marktwert natürlich enorm wichtig.
Marcel Kittel hat 14 Tour-Etappen gewonnen, mehr als jeder andere deutsche Radprofi. Wie wertvoll wären für ihn weitere Erfolge?
Für einen Sprinter sind Tour-Etappensiege noch wichtiger als für einen Klassementfahrer. Jedes Jahr im Juli treffen sich in Frankreich die stärksten Sprinter der Welt, da ist jeder Sieg natürlich besonders viel wert.
2017 war Marcel Kittel gleich fünfmal der Schnellste. Kann das eine Bürde sein?
Er geht es nicht so an, auch wenn von außen großer Druck erzeugt wird. Doch er weiß: Erfolge sind nicht planbar. Man muss physisch und psychisch auf Top-Niveau sein, und dann gehört auch immer noch ein Momentum dazu.
Bisher lief die Saison bei Marcel Kittel mit nur zwei Siegen alles andere als optimal.
Trotzdem glaube ich, dass er bei der Tour in seiner besten Form sein wird und das Ziel, eine Etappe zu gewinnen, erreichen kann – je früher, desto besser. Der Rest wäre Zugabe.
Welche Rolle wird Tony Martin spielen?
Er dürfte in erster Linie Helferaufgaben haben, und vielleicht ergibt sich ja die Gelegenheit, hin und wieder eigene Ambitionen wahrnehmen zu können. Er hat ja schon bewiesen, dass er Etappen gewinnen kann.
Hat er seinen Zenit überschritten?
Nein. Er ist in der Lage und motiviert genug, weiter Leistungen auf höchstem Niveau zu zeigen. Nicht nur im Zeitfahren. Man sollte einen Tony Martin nie abschreiben.
Sie haben immer großen Wert darauf gelegt, Ihre Fahrer im passenden Team unterzubringen. Nun fahren Kittel und Martin aktuell für Katusha, das in der Vergangenheit nicht den besten Ruf hatte.
Das hat sich verändert, sonst wären die beiden nicht dort.
Was hat sich genau verändert?
Die gesamte Teamführung, und das neue Konzept ist überzeugend. Vor dem Jahr 2016 hätten wir ganz sicher nicht bei Katusha unterschrieben. Doch aktuell ist das Team auf dem absolut richtigen Weg.
Obwohl in José Azevedo ein General Manager an der Spitze steht, der einst bei US Postal und Dicovery an der Seite von Dopingbetrüger Lance Armstrong fuhr?
Meine Erfahrung ist, dass es Leute aus der Vergangenheit gibt, die nicht verstanden haben, dass sich der Radsport verändert hat und andere Werte leben muss. Aber es gibt mindestens genau so viele Leute, die genau dies kapiert haben. Weil wir im Radsport noch eine ganze Weile mit Leuten zu tun haben werden, die früher selbst Profis oder zumindest in die Organisation von Teams eingebunden waren, muss man vorsichtig sein. Und versuchen, für den Menschen, der vor einem steht, ein Gefühl zu entwickeln und genau zu beobachen, ob er glaubwürdig handelt. Das tun die Verantwortlichen beim Team Katusha aus meiner Sicht.
Wie glaubwürdig ist es, wenn der Radsport selbst eine neue Generationen ausruft, die sauberer arbeitet als die vorherige?
Bei den Fahrern, die ich betreue, ist das sehr glaubwürdig. Für andere kann und will ich keine Lanze brechen. Doch ich glaube, dass der Profiradsport in Deutschland für einen sehr glaubwürdigen Weg steht. Fakt ist aber auch, dass etwa in Italien, Spanien oder Südamerika ein anderes Umfeld wirkt. Deshalb wird der Radsport auch nie sauber sein. Das ist eine Illusion – auch wenn die meisten Teams mittlerweile sehr seriös arbeiten.
Wie gut ist das Kontrollsystem?
Es ist das beste im Sport. Nun muss sich nur noch die Denke ändern: Wenn ein Doper überführt wird, ist das gut. Und sicher kein Zeichen dafür, dass der Radsport immer noch so verseucht ist wie er es einmal war.
Sie sagen, der Radsport sei auf dem richtigen Weg. Wie sehen das die Sponsoren – haben sich die Vermarktungschancen verbessert?
Ich spüre eine positive Tendenz, aber der Radsport macht – vor allem in Deutschland – nur sehr kleine Schritte. Bis mal wieder ein ganz großes deutsches Unternehmen den Mut hat, in den Radsport zu investieren, wird es noch etwas dauern. Wer die Erde dermaßen verbrannt hat, gewinnt das Vertrauen nur sehr mühsam wieder zurück.