Zwischen 800 000 bis eine Million Schüler in Deutschland sind regelmäßig von Mobbing betroffen. Foto: dpa

Ein Berliner Grundschülerin stirbt. Der Verdacht steht im Raum, dass sie sich wegen Mobbings in der Schule das Leben genommen hat. Fragen und Antworten zu einem heiklen Thema.

Stuttgart/Berlin - Nach dem Suizid einer elfjährigen Grundschülerin in Berlin will nun auch das Abgeordnetenhaus und der Berliner Senat den Mobbingvorwürfen nachgehen. Darin sei auch die Schulaufsicht eingebunden, sagte ein Sprecher der Bildungsverwaltung. Elternvertreter hatten der Hausotter-Grundschule im Berliner Bezirk Reinickendorf vorgeworfen, Hinweise nicht ernst genommen zu haben.

Was ist in Berlin passiert?

Laut dem „Tagesspiegel“ soll die Elfjährige vor einigen Tagen einen Suizidversuch unternommen haben und später an den Folgen im Krankenhaus gestorben sein. Als möglicher Hintergrund steht der Verdacht von Mobbing an ihrer Schule im Raum. Bislang gibt es aber weder eine offizielle Bestätigung für den Suizid, noch ist der genaue Hintergrund geklärt.

Was ist über die Situation an der Berliner Grundschule bekannt?

Medienberichten zufolge fiel die Schule bei einer Kontrolle der Berliner Schulinspektion 2013 wegen mangelnder pädagogischer Fähigkeiten durch. Auch eine erneute Inspektion 2105/16 endete negativ.

Was sagt die Schulleitung dazu?

Die Leiterin der Grundschule berichtete, die Elfjährige habe im vergangenen Jahr Konflikte mit anderen Kindern gehabt, wobei es aber zu keinen körperlichen Angriffen gekommen sei. Daraufhin habe die Schulleitung mit den Eltern und der Klasse gesprochen. Die Mädchen, mit denen es die Konflikte gegeben habe, seien nicht mehr in der Klasse, seitdem herrsche Ruhe. Natürlich gebe es Vorfälle, sagte die Schulleiterin, etwa auf dem Pausenhof. Aber: „Wir haben Konfliktlotsen an Bord.“ Darüber hinaus existiere eine „sehr gut ausgestattete Schulsozialarbeit“. Nichts werde vertuscht oder unter den Teppich gekehrt.

Wie verbreitet ist Mobbing an Schulen?

„Prinzipiell kann Mobbing jeden treffen“, sagt der Entwicklungspsychologe Herbert Scheithauer von der Freien Universität Berlin. Unter dem klassischen Schulhofmobbing – Hänseln, Schubsen, sozialer Ausschluss – leiden nach seinen Worten zehn bis zwölf Prozent der Schüler. „Damit sind 800 000 bis eine Million Schüler in Deutschland regelmäßig betroffen.“ Wenn man Cybermobbing dazunimmt, sei die Zahl der Betroffenen noch höher. Scheithauer: „Zwischen 17 und 19 Prozent der Schüler berichten, dass ihnen so etwas schon passiert ist oder sie Täter waren.“

Wie erkennt man Mobbing?

„Damit ein Mobbingprozess möglichst früh erkannt wird, sollten Eltern, Erzieherinnen und Lehrer auf ganz alltägliche Dinge achten“, erklärt der Göttinger Pädagoge Karl Gebauer. Kommt das Kind nicht mehr mit dem Taschengeld aus? Fehlt Schulmaterial im Ranzen? Oder kommt das Kind mehrfach mit zerrissenen Klamotten nach Hause? All das können neben blauen Flecken, häufigem Bauch- und Kopfweh und fehlender Motivation die Warnsignale sein. Betroffene Kinder haben meist keine Lust mehr, in die Schule zu gehen. Ihnen ist ihre frühere Fröhlichkeit abhandengekommen, und sie lassen plötzlich den Ehrgeiz vermissen.

Welche Rolle spielen soziale Medien?

Durch die sozialen Netzwerke habe Mobbing, das es auf Schulhöfen schon immer gegeben habe, eine ganz neue Dimension bekommen. Lehrkräfte hätten kaum Möglichkeiten, dagegen vorzugehen, betont der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Hans-Peter Meidinger. Deshalb sei es eine gemeinschaftliche Aufgabe aller, dagegen vorzugehen. „Die beste Prävention gegen Mobbing ist eine funktionierende Schulgemeinschaft. Man darf nicht zuschauen, wenn andere gequält werden.“

Wie wird das Mobbing unter Schülern von den Erwachsenen wahrgenommen?

Lehrer oder Eltern bekommen solche Attacken gerade über das Netz oft überhaupt nicht mit. Viele haben keinen Einblick in die digitalen Parallelwelten, in denen sich die Kinder und Jugendlichen bewegen. „Es gibt viele Gründe, da genauer hinzuschauen“, mahnt Norman Heise, der in Berlin den Landeselternausschuss leitet. Und er sieht dabei nicht zuletzt die Eltern in der Pflicht: „Es kann nicht sein, dass sie ihren Kindern ein Smartphone schenken und den Rest dann der Schule überlassen.“

Was kann man dagegen tun?

Bemerken Eltern, dass ihr Kind in der Schule gemobbt wird, sollten sie zunächst mit dem Kind reden und konkrete Fragen stellen – noch bevor sie Polizei oder Anwalt einschalten oder Gespräche mit Schulsozialarbeitern, Erziehern, Lehrkräften und Schulleitung führen. Gebauer rät Eltern, dass sie mit Interesse die Entwicklung ihrer Kinder begleiten, ein waches Auge und ein offenes Ohr für ihre Signale haben sollten. „Gibt es eine solche Vermutung, dann sollte umgehend in vertrauensvollen Gesprächen mit anderen Eltern, den Lehrerinnen und Lehrern versucht werden, die Situation zu klären.“

Welche Hilfen für Betroffenen gibt es?

Für Mobbingopfer und ihre Angehörigen gibt es eine ganze Reihe von Hilfen – etwa das Kinder- und Jugendtelefon „Nummer gegen Kummer“ (0800/1110333, www.nummergegenkummer.de). Es gibt außerdem Beratungsstellen der Schulämter und Kirchen und Anti-Mobbing-Programme wie beispielsweise Fairplayer.Manual und Medienhelden.