Auch Charlotte (Lavinia Wilson) darf vorerst nur Plüschtiere umarmen. Foto: ZDF/btf gmbH

Gleich zwei witzige, lebensnahe Serien erzählen von Lockdown, Homeoffice und Monitorflirts. „Drinnen“ und „Liebe. Jetzt!“ sind beide in der ZDF-Mediathek zu sehen.

Stuttgart - Lockdown, das erinnert als Wort schon ein bisschen an Kerkerwelten. Eine Tür fällt ins Schloss, ein Schlüssel dreht sich, der Wärter stapft davon, und nun sitzt man gefangen allein im Dunkeln, ohne Kontakt, ohne Anregungen, ganz gewiss aber ohne neue Flirts. Für manche trifft diese dramatische Zuspitzung der Corona-Vorsichtsmaßnahmen gewiss zu. Aber in Zeiten sozialer Netzwerke, vielfältiger Onlinebeziehungen und ständig losbimmelnder Kontaktmelder an Privat- und Bürorechnern, an Smartphones und intelligenten Lautsprechern sieht der Lockdown für viele, vor allem für etwas jüngere Menschen dann doch ganz anders aus.

Frisch und originell

Mit verblüffender Geschwindigkeit hat das ZDF auf die neue Lage reagiert. Von öffentlich-rechtlichen Sendern befürchtet man ja gern mal jahrelanges Zaudern, Bedenkenkauen, Besserwissen und Ideenverwässern. Aber im Nu sind bei ZDF Neo gleich zwei Serien zur aktuellen Situation verfügbar geworden. Und beide wirken nicht in Hast und Eile irgendwie gut gemeint zusammengeschustert – sondern stimmiger, frischer origineller, authentischer, beschwingter als vieles, was in aller Ruhe durch die Redaktionsschleudergänge und die Nachbesserungsmühlen gelaufen ist.

„Drinnen – Im Internet sind alle gleich“ nach einem Konzept von Philipp Käßbohrer („How to sell Drugs online (fast)“) ist die frechere, wildere, bösere, direkt auf den Homeoffice-Wahnsinn zielende Serie. Eine ganz und gar großartige Lavinia Wilson („Schoßgebete“, „Andere Eltern“) spielt die 35-jährige Werberin Charlotte, die nun vom heimischen PC aus arbeiten muss. Schlimmer noch: Charlottes Chefin, in chronisch wackliger, krächzender, einfrierender und sich in Chaos verzerrender Bildtelefonie kaum verständlich, hustet ihr vor, sie solle vorübergehend bitte die ganze Agentur leiten. Und gleich auch jemanden feuern.

Nur mal kurz was anderes tun

Ja, hier werden die ganzen Beschwerlichkeiten und Tücken des Homeoffice auf die Spitze getrieben, das Ineinander von Privatem und Dienstlichem, die Unsicherheit, wie weit das Legere der Kommunikation nun Hierarchien auflösen und Entscheidungen beeinflussen darf, vor allem auch die Verführung, nur mal kurz nebenher etwas anderes zu tun.

Aber „Drinnen“, dessen fünfzehn jeweils zehnminütige Folgen in der ZDF-Mediathek abrufbar sind, untersucht nicht nur die Ausnahmesituation Lockdown, sondern die Regel moderner Beziehungsführung, Freundschaftspflege und Kitzelsuche. Skype, Tinder, Twitter, alle Arten Chatprogramme und schrillen Poesiealben im Netz wie Facebook und Instagram erziehen uns zum Dauermarketing für uns selbst und zu einem mindestens forschen, manchmal ruinösen Anspruchsdenken gegenüber anderen.

Zärtlichsein und Eifersüchteln

So wie hier die Ideen zu diesen Phänomenen sprudeln, wird klar: Die Serienautoren Max Bierhals, Tarkan Bagci, Giulia Becker und Patrick Stenzel reizt es wohl schon länger, dazu mal etwas Zeitgemäßes zu machen. Die Apps, Programme und Verhältnisse werden nicht lange erklärt. Die Serie geht davon aus, dass man sie kennt. Es gibt übrigens nur zwei Perspektiven: das, was die Webcam von Charlotte sehen kann, und das, was Charlotte auf ihrem Rechner sieht. Dies ist die TV- und Skypevariante eines Briefromans.

Die zweite Serie, „Liebe. Jetzt!“, deren sechs Folgen in der ZDF-Mediathek liegen, ist nicht immer ganz so konsequent in ihrer Bildsprache. Die Kamera bewegt sich auch mal durch die Wohnungen der Figuren und schaut von der Seite auf sie drauf. Aber auch diese Menschen kommunizieren beständig mit elektronischen Hilfsmitteln. Es geht nicht ums Homeoffice, es geht ums Kennenlernen, Eifersüchteln, Zärtlichsein, Streiten, Tändeln, Erkunden und Zweifeln in Zeiten des Social Distancing.

Flirt oder Attacke?

In jeder der von Jane Ainscough, Luisa Hardenberg, Lena Krumkamp, Malte Welding, Alexander Lindh und Annette Lober geschriebenen Folgen lernen wir ein neues Paar oder Grüppchen kennen. Immer steht zwanzig Minuten lang ein anderer Aspekt menschlicher Flirtspiele im Vordergrund. In einer Folge etwa die gigantische Herausforderung, wenn der verheiratete Kollege von der Kollegin die Chatnachricht „Ich vermisse Dich" bekommt.

Ist das noch Nettigkeit, bereits heftiger Flirt oder doch schon die emotionale Nuklearattacke? „Liebe. Jetzt!“ weist im Titel auf Aktualität – und auf Ungeduld. Aber ein bisschen ist da auch Hoffnung im Spiel. Die Serie ist nicht bloß kulturpessimistisch, sie zeigt auch, dass im Einzelfall das elektronische Wirrwarr auch mal Herzen zueinander führen kann. Glückssache war Liebe sowieso schon immer.

ZDF-Mediathek,
beide Serien sind komplett verfügbar. „Liebe. Jetzt!“ auch am Sonntag, 3. Mai 2020, ab 21.45 bei ZDF Neo.