Zurück zur Einfachheit: der Sänger Dirk von Lowtzow Foto: dpa

Die Band Tocotronic gratuliert am Wochenende der Manufaktur in Schorndorf zum Fünfzigsten. Der Sänger Dirk von Lowtzow spricht übers Älterwerden und erzählt, warum seine Texte nicht mehr so verrätselt daherkommen.

Stuttgart - Feierstimmung in der Schorndorfer Manufaktur: Das Zentrum für Alternativkultur freut sich derzeit über sein fünfzigjähriges Bestehen. Am Samstag mit dabei: die Band Tocotronic, die Mitbegründer der Hamburger Schule, die auch schon 25 Jahre besteht. Im Interview spricht Sänger Dirk von Lowtzow über weiße Flecken auf der Tourneelandkarte, Gitarren und das Älterwerden.

Herr von Lowtzow, früher kamen Sie, um sich zu beschweren, heute kommen Sie, um zu gratulieren. Sind Sie altersmilde geworden?

Also, altersmilde würde ich uns noch nicht nennen. Wir beschweren uns immer noch ziemlich gerne und haben die Wut über bestimmte Verhältnisse längst nicht verloren. Was die Manufaktur betrifft, haben wir aber natürlich nicht den geringsten Grund zu klagen – wir waren ja noch nie dort.

Warum blieb Schorndorf bis jetzt ein weißer Fleck auf Ihrer Tourneelandkarte?

Unser erstes Konzert hier in der Gegend haben wir in einem Jugendzentrum in Bietigheim-Bissingen gegeben. Danach sind wir meist in Ludwigsburg hängengeblieben, erst in der „Kaserne“, dann im Scala; ab zirka 2002 im LKA in Stuttgart. Bis nach Schorndorf sind wir aus unerfindlichen Gründen nie vorgestoßen. Aber die Manufaktur ist eine Institution, dort wird großartige Kulturarbeit geleistet. Wir freuen uns sehr auf dieses Konzert.

Macht es einen Unterschied, ob Sie in einer Großstadt gastieren oder wie derzeit in eher kleineren Städten?

Was die Größe des Publikums betrifft, gibt es in einer Stadt wie Berlin sicherlich eine enorme Sogwirkung. In kleineren Städten gilt unsere Musik eher als etwas obskur. Neulich waren wir in Passau und haben dort einen unserer Konzertbesucher kennengelernt. Als er seinen Freunden erzählte, dass er zu Tocotronic geht, kannten die uns gar nicht. Er hingegen hatte sich schon monatelang auf unseren Auftritt gefreut.

Das Partymachen tritt in den Hintergrund

Was sagen Ihnen solche Begegnungen?

Wenn Menschen so von unserer Musik angesprochen werden, wenn wir damit offenbar so etwas wie Lebenshilfe geben können, dann ist das sehr bewegend. Ich habe das ja selbst erlebt in meiner Jugend – ohne Bands wie Hüsker Dü hätte ich meine Pubertät auch kaum überstanden.

Mit „Electric Guitar“ von Ihrem aktuellen Album „Die Unendlichkeit“ haben Sie einen Song über die Adoleszenz mit musikalischen Hilfsmitteln geschrieben, über Rock ’n’ Roll als Rettungsanker. Was war eigentlich die erste Gitarre in Ihrem Leben?

Das muss ein Nachbau einer Gibson gewesen sein. Sie war sehr schwarz – und sehr billig.

Was für ein Modell spielen Sie heute? Haben Sie eine Lieblingsgitarre?

Für einen Rockmusiker besitze ich ziemlich wenige Gitarren, nur drei Exemplare. Zu Hause arbeite ich gerne mit einer alten akustischen Martin. Auf der Bühne benütze ich zwei E-Gitarren des Berliner Instrumentenbauers Frank Deimel, der auch Leute wie Lee Ranaldo von Sonic Youth beliefert.

Sie und Ihre Bandkollegen gehen altersmäßig auf die Fünfzig zu – was macht das mit Ihnen als Mensch und als Musiker?

Das Partymachen, die Aufregung des Konzerterlebnisses tritt mehr und mehr in den Hintergrund. Wie man zusammenspielt, welchen Klang man als Gruppe erzeugt: Solche Aspekte werden umgekehrt immer wichtiger. Wir spielen heute viel gelassener und punktgenauer als früher. Privat ändert sich auch so manches – aber das würde ich gerne im Privaten belassen.

Keine Ader fürs Apokalyptische

Haben Sie Angst vor dem, was noch kommt? In „Unwiederbringlich“ singen Sie von Zeiten, in denen die Zukunft ausschließlich in Science-Fiction-Filmen stattfand. Heute scheint die Gesellschaft als kollektives Versuchskaninchen dafür zu dienen, wie viel Technik und Zukunft in welchem Tempo noch zu verkraften ist.

Die großen Zukunftsfragen der Menschheit sehe ich eher gelassen, für das Apokalyptische habe ich einfach keine Ader. Wobei ich das nicht als Tugend werten würde; vielleicht bin ich auch manchmal nur zu gedankenlos. Aber klar: Klimawandel, Nationalismus, der gesellschaftliche Rechtsruck – diese Entwicklungen sehe ich mit großem Unbehagen. Was individuelle Ängste betrifft, das Alleinsein etwa oder Versagensängste, bin ich übrigens keineswegs angstbefreit.

Ihre einst stark abstrahierenden Texte werden derzeit deutlich autobiografischer, vor allem auf „Die Unendlichkeit“. Haben Sie keine Angst, Ihr Publikum mit zu viel Privatheit zu belästigen?

Bei diesem Album war genau das die Herausforderung. Wenn man bei einem autobiografischen Werk nichts von sich preisgeben würde, wäre es ja wertlos. Aber gleichzeitig hatte ich Angst davor, die Hörer mit meinem Privatkram zu behelligen oder seltsam leutselig zu werden. So etwas kann ja auch sehr egozentrisch werden und zu einer Masche, um Nähe herzustellen. Ein Beispiel: Ob die Bücher von Karl Ove Knausgaard wirklich achttausend Seiten lang hätten sein müssen, darüber kann man wirklich diskutieren.

Beobachten Sie eine Entwicklung bei sich als Texter?

Früher habe ich oft versucht, meine Persönlichkeit in meinen Texten verschwinden zu lassen, mich in Abstraktion und Assoziation zu begeben. In den letzten Jahren sehe ich, dass ich zu einer fast klassischen Einfachheit zurückkehre.

Eine Portion „fuck you“

Der Verrätselungsfaktor Ihrer Musik geht wieder auf ein Normalmaß zurück?

Genau. Wobei ich uns nie so stark verrätselt fand. Mit Techniken aus der Bildenden Kunst oder der Poesie zu arbeiten, war in unseren Anfangsjahren einfach der richtige Weg, um uns auszudrücken. Zugleich wollten wir uns dadurch auch abgrenzen von einer bestimmten Kumpelei in der Rockmusik, von der man sich auch belästigt gefühlt hat.

Man hat bisweilen ganz schön zu kämpfen mit seinem Ego, wenn man künstlerisch arbeitet . . . 

Wenn man auf die Fünfzig zugeht, kommt man scheinbar doch in ein Alter, in dem man etwas einfacher arbeitet und bescheidener wird, uneitler. Vor zehn, fünfzehn Jahren war das aber genau richtig als Antihaltung zu einer Deutschpopszene, die sehr doof nationalistisch daherkam. Zu dieser Zeit in eine Art Elfenbeinturm zu klettern, sich auch in einen gewissen Dandyismus zurückzuziehen: Da war bestimmt auch eine Portion „fuck you“ mit drin. Das fand ich aber ganz reizvoll damals.

Info: Tocotronic gründeten sich 1993 in Hamburg und gehören mit Bands wie Blumfeld und Die Sterne zu den Mitbegründern der sogenannten Hamburger Schule. Erstmals in die deutsche Albumhitparade schaffte es das Trio 1996 mit der Platte „Wir kommen um uns zu beschweren“. Seit 2004 als vierter Mann an Bord: der amerikanische Keyboarder und Gitarrist Rick McPhail. Das Konzert in der Manufaktur beginnt um 20:30 Uhr, es gibt noch Eintrittskarten.