Der Film als realistische Doppelung der Bühnenhandlung: Szene aus dem ersten Akt von „La forza del destino“ (auf der Szene vorne: Franz-Josef Selig als Marchese, Michelle Bradley als Leonora, Nina Tarandek als Curra; im Film Hartmut Volle als Marchese, Laura Tashina als Leonora) und Dela Dabulamanzi als Curra) Foto: Monika Rittershaus

Ein Mann, der aus Versehen getötet wird. Reihenweise Menschen, die einander zufällig begegnen, verlieren und wiederfinden. Giuseppe Verdis Oper „La forza del destino“ („Die Macht des Schicksals“), die jetzt Tobias Kratzer an der Oper Frankfurt inszenierte, ist reine Kolportage, ein schlechtes Stück, geadelt nur durch wunderschöne Musik. Oder?

Frankfurt - Stimmt nicht!, findet Tobias Kratzer. Der 39-jährige, schon vielfach ausgezeichnete Regisseur, der in diesem Jahr sein Debüt mit Wagners „Tannhäuser“ bei den Bayreuther Festspielen geben wird, hat in Verdis 1862 in St. Petersburg uraufgeführtem Werk einen Kern gefunden, aus dem heraus das Geschehen glaubhaft wirken kann. „La forza del destino“: Das ist am Sonntagabend an der Oper Frankfurt kein Stück über die Macht des Schicksals. Sondern eines über Rassismus, Ausgrenzung und Fremdenhass. Dabei nimmt Kratzer die Tatsache, dass der junge Alvaro vom Vater seiner Geliebten Leonora vor allem deshalb nicht akzeptiert wird, weil er eine dunkle Hautfarbe hat, zum Anlass, die Handlung in die USA zu verlegen. Dort führt er die Figuren durch die Historie des Landes und der Konflikte zwischen Schwarz und Weiß - von der Sklaverei bis hin zu Donald Trump. Dem Collage-Charakter der Oper, den die Wahl der schrofferen Urfassung noch verstärkt, entsprechen dabei die – auch im engen Zusammenwirken mit den Bühnenbildern von Rainer Sellmaier – betont unterschiedlich angelegten Szenen.

Das hat treffende Momente. Und vor allem der Anfang ist stark: Da zeigt, während vorne der Vater der Braut aus Versehen umgebracht wird, ein Film (Manuel Braun) im Hintergrund dieselbe Handlung in einen großbürgerlichen Südstaaten-Salon, also mit farbiger Bedienung und einem ebensolchen Liebhaber. „Zu groß ist mein Elend“, singt auf der Bühne live Leonora – hinter ihr, im Film, zoomt die Kamera auf das Gesicht der Sklavin, und man ahnt, wo das wahre Unglück zu Hause ist.

Kratzer arbeitet mit Reibungen, Ironisierungen und harten Schnitten

Derlei bildliche Reibungen gibt es viele. Man spürt sie, wenn die Leonora im Film dem Geliebten über die Striemen auf dem Rücken streichelt, und man sieht sie auch im darauffolgenden Bild, das vollkommen anders ist: eine Massenszene, die zur Karikatur gerinnt, bevölkert von kriegslüsternen Soldaten. Chor und Solisten tragen Masken, und der harte musikalische Schnitt beim plötzlichen Einbruch der Pilgerchöre (einer der zahlreichen Kontraste, die den Theaterkomponisten Verdi an diesem Stoff reizten) könnte wirkungsvoller und unwirklicher als hier kaum wirken. Auch die anschließende Klosterszene wirkt ebenso schlüssig wie packend: Da stößt die verzweifelte Leonora auf Mönche, die hier eine ziemlich bigotte, verdeckt lüsterne Hornbrillen-Männertruppe sind – und sich schließlich als Anhänger des Ku-Klux-Klans um ein brennendes Kreuz scharen.

Dass der Faden der Inszenierung danach ein wenig reißt, spricht nicht nur gegen den Regisseur. Kratzer will sich nicht gegen die Dramaturgie des Stücks stellen, auch nicht zweiten Teil, der mächtig durchhängt. Wirklich viel will ihm hier aber nicht einfallen, und so sehen wir eine Szene aus dem Vietnamkrieg, in der Soldaten in einen Eimer pinkeln, in der die männlichen Antagonisten vor Palmen auf Feldbetten sitzen und singend die Hände ringen wie in der schlechten alten Rampeninszenierungszeit.

Einen lichten, klugen Moment gibt es, als eine historische Filmsequenz den Auftritt des wetternden Mönchs Melitone mit einer Rede von Martin Luther King hinterlegt. Ein weiterer, vielleicht noch stärkerer, ist still, eine Pietà: Vor einem toten Vietnamesen, um den sich sonst keiner kümmert, kniet ein Schwarzer. Er weiß, was Leiden ist. Er leidet mit. Und am Ende, nachdem Polizisten den dunkelhäutigen Liebhaber zur dritten Leiche auf der Szene gemacht und ihm danach die Mordwaffe in die Hand gedrückt haben, zeigen Filmbilder Demonstranten mit Schildern: „Black lives matter“.

Michelle Bradley ist eine exzellente Leonora mit feinen, leisen Spitzentönen

Gesungen wird gut, in einem Fall sogar sehr gut: nämlich von Michelle Bradley, die als Leonora zu sehr feinen, oft auch sehr leisen Tönen selbst in der Höhe findet. Neben ihr glänzen vor allem Franz-Josef Selig als Marchese und Fra Guardiano sowie Tanja Ariane Baumgartner als temperamentvoll und farbreich gestaltende Preziosilla. Christopher Maltman als Don Carlo und Hovhannes Ayvazyan als Alvaro sind gut besetzt, kommen aber nicht ohne Mühen durch ihre Partien. Glänzend präsentiert sich der Frankfurter Opernchor, und das Frankfurter Opern- und Museumsorchester gelangt unter der Leitung von Jader Bignamini zu einem enorm breiten und ausdifferenzierten Ausdrucksspektrum: Es setzt den Gesangsstimmen nicht nur eine starke eigene Stimme entgegen, sondern formt auch jene weiten, beweglich gefassten, gesanglich gedachten Bögen, die Verdis Oper braucht, um nicht wie ein bloßer Kessel Buntes zwischen Schicksalsmotiv und „Rataplan!“-Hit zu wirken.

Was bleibt? Drei Leichen und mindestens vier Ohrwürmer. Starke Bilder, starke Musik, nur eine mitunter schwächelnde Dramaturgie. Tobias Kratzer hat immerhin vermittelt, dass Verdis ferne Oper uns in manchem nahe sein kann. Mehr kann man für „Die Macht des Schicksals“ wahrscheinlich nicht tun, wenn man das Stück für die Bühne retten will.

Termine 31. Januar, 3., 7., 9., 15., 17., 23. und 28. Februar.