Nadine Richter (li.) und Vanessa Buca halten Hund Nico, während Peter Himmelsbach seinen Bauch für eine Ultraschalluntersuchung rasiert. Foto: Caroline Holowiecki

Im Juli erst ist die Tierklinik Stuttgart aus dem Stadtbezirk Stuttgart-West nach Stuttgart-Plieningen umgezogen. Im neuen Gebäude ist alles größer und moderner. Eines hat sich jedoch nicht verändert.

Plieningen - Sammy ist ein Gute-Laune-Kerl. Es scheint, als grinse der Golden Retriever von Ohr zu Ohr, während er mit der Tierpflegerin Christin Kühne ein Tänzchen vollführt und busselt. Der fünfjährige Rüde ist top in Schuss. Lediglich etwas Zahnstein hat die Veterinärin Susanne Streit ausgemacht. Aber sein Frauchen Sonja Altenhof ist auch nicht von Neuhausen angereist, weil Sammy etwas fehlt. Er soll anderen Hunden helfen. Als Blutspender. „Menschen brauchen Blut, Tiere auch“, sagt sie, eine Tiertrainern und seit 30 Jahren in der Rettungshundestaffel, lapidar. Zwar müssen Sammys Impfungen noch aufgefrischt werden, aber dann kann der Therapiehund auch seinen Artgenossen dienen. Susanne Streit sagt: „Es gibt Wochen, in denen wir fünf bis sechs Spenden brauchen.“

Wir, das ist das Team der Stuttgarter Tierklinik. Im Juli haben die etwa 40 Mitarbeiter, darunter rund 20 Veterinäre, den Neubau im Plieninger Gewerbegebiet Entenäcker bezogen. Hatte man ehemals in Stuttgart-West knapp 1000 Quadratmeter zu Verfügung gehabt, werden nun auf 2500 Quadratmetern Kleintiere behandelt. Rund um die Uhr. Die Klinik hat einen 24-Stunden-Notfalldienst. Seit einiger Zeit ist auch ein Kollege an Bord, der sich auf Exoten spezialisiert hat.

Die hellen Holzböden riechen neu; an manchen Stellen wird noch gezimmert. Die Begriffe, die man liest, erinnern an ein Krankenhaus. Onkologie, Augenheilkunde, Dermatologie, Orthopädie, Intensivstation. Es gibt ein Zentrallabor, CT und MRT, einen vollautomatischen Apothekenroboter. Für manche Behandlungen – etwa die Steinzertrümmerung mittels Laser – kommen die Besucher sogar aus Nordrhein-Westfalen. „Der Standort an der Autobahn ist kein Zufall“, sagt der Tierarzt Peter Himmelsbach.

Viele haben ein sehr emotionales Verhältnis zum Tier

Der quirlige Sammy tut Susanne Streit gut. Minuten zuvor war sie durch die Flure gerannt. Ein Notfall. Der Dackel einer alten Dame war kollabiert. Während die Seniorin im Wartezimmer saß, die rote Flexileine in der Hand, versuchte Susanne Streit vergeblich, den elf Jahre alten Hund zu reanimieren. Wasser in der Lunge, wohl eine Herzerkrankung. Mit Einverständnis der Halterin ließ die 40-Jährige den Dackel schließlich gehen. Die Tierärztin wirkt betrübt. Die alte Frau habe ihr unter Tränen gesagt, dass der Hund ihr einziger Gefährte gewesen sei. „Ich habe früher gedacht, man stumpft irgendwann ab“, sagt sie. „Aber diese Frau werde ich lange nicht vergessen.“

Was immer gleich bleibt: Freud und Leid liegen in der Tierklinik nah beieinander. Viele Menschen haben ein emotionales Verhältnis zum Haustier, „vor allem bei Hunden und Katzen ist das sehr ausgeprägt“, sagt Susanne Streit, und die machen mehr als 90 Prozent der Patienten an der Hermann-Fein-Straße 15 aus. Getrennte Wartebereiche sollen Hund und Katz den Aufenthalt erleichtern; die Katzen haben zudem einen Freilaufbereich; hier akklimatisieren sie sich leichter. So individuell wie die Besitzer seien auch die Tiere. Sehr unruhige Menschen etwa seien im Wartezimmer besser aufgehoben, „wenn der Mensch sehr aufgeregt ist, wirkt das auf den Hund ansteckend“, sagt Peter Himmelsbach.

Circa zehn Operationen finden täglich statt

Der Flat-Coated Retriever Nero indes scheint die Ruhe selbst zu sein, obwohl die Tierpflegerinnen Nadine Richter und Vanessa Buca ihn mit einem beherzten Griff aufs Kreuz gelegt haben. Der zwölf Jahre alte Hund hat Probleme beim Laufen, ein Blutbild hat deutlich erhöhte Leberwerte erbracht. Nach einer kurzen Rasur untersucht Peter Himmelsbach (46) im abgedunkelten Raum per Ultraschall die Organe. Der Doktor ist zufrieden. „Bis jetzt sieht alles so aus, wie es aussehen soll“, sagt er, bevor es für den Hund weiter in die Neurologie geht.

80 bis 100 Tiere pro Tag waren am alten Standort im Westen behandelt worden. Wie viele es jetzt in der wesentlich größeren Klinik werden, ist unklar. Um die zehn Operationen finden momentan täglich in den vier spezialisierten OPs statt, schätzt Peter Himmelsbach.

Gerade entfernt die Chirurgin Luisa Leonhardt bei einer Hündin an der Gesäugeleiste einen Tumor. Die Katze ohne Namen, die sich in einem Käfig ein paar Türen weiter erholt, hat ihren Eingriff schon hinter sich. Ein Fundtier mit Beckenfraktur, das die Tierrettung gebracht hatte. Vermutlich ein Autounfall. Peter Himmelsbach zeigt, wie die Schmuserin von einer Pfote auf die andere tritt. Sie fühle sich wohl. Das kann man von der Französischen Bulldogge, die wegen Verdauungsproblemen am Tropf hängt, nicht behaupten. Sie lässt den Kopf hängen. Maximal etwa 60 Tiere können stationär aufgenommen werden.

Sammy, der gut gelaunte Retriever, wird sicher gern wiederkommen. Bei Susanne Streit gibt es Leckerlis und Streicheleinheiten. Und auch Rocky, der zutrauliche Perser-Mix-Kater, der mit Frauchen Silke Posselt und deren Schwester Lena gerade den Katzenauslauf erkundet, scheint es nicht zu widerstreben, hier zu sein. Rocky soll ebenfalls Blut spenden. „Ich habe das im Internet gelesen, ich unterstütze das gern“, sagt Silke Posselt. Susanne Streit, die seit einigen Monaten dran ist, eine eigene Blutbank aufzubauen und von einem Herzensprojekt spricht, hört es gern. Sie lächelt augenzwinkernd. „Vier Kilo, reine Hauskatze. Das passt in mein Beuteschema.“