Vanessa Reif betreibt bei Backnang ein Tierhospiz. Die Gäste, die dort ihre letzte Lebenstage verbringen: gut zehn Katzen und zwei Pferde.
Lebensabend - Nastja thront auf einem Korbsessel. Schnurrend blinzelt die alte Katzendame den Besucher an. Ihr grau-weißes Fell ist glanzlos, ihr dürrer Körper vom Leben und ihrer Krankheit gezeichnet. „Sie wurde im Wald gefunden und hat einen Gesäugetumor“, stellt Vanessa Reif ihren Schützling vor, der geschätzt 16 bis 20 Jahre alt ist und nun seinen Lebensabend in der Villa Anima verbringen darf. Die Villa Anima ist ein Tierhospiz, getragen vom gleichnamigen, vor vier Jahren gegründeten Verein. 50 Mitglieder zählt dieser mittlerweile. Doch das Hospiz betreibt Reif weitgehend allein.
Tierschutzvereine schicken ihr hoffnungslosen Fälle
Zehn bis 13 Katzen beherbergt die 35-Jährige in ihrem Haus, das zu einem Aussiedlergehöft bei Backnang gehört. Es sind die hoffnungslosen Fälle von Tierschutzvereinen in der Umgebung, aber auch aus dem Raum Köln und Mannheim, die sie übernimmt. Sie pflegt die Tiere bis zu ihrem natürlichen Tod. Den Garten hat Reif zu einer Koppel umfunktioniert. Wo einst eine gepflegte Rasenfläche und Rosensträucher waren, stehen nun vier Pferde und knabbern an ihren Heuraufen. Eines sei ein Gnadenbrotpferd, das jemand bei ihr eingestellt habe, eines habe als Vereinspferd in der Villa Anima Obdach gefunden und zwei gehörten ihr selbst, erklärt Reif: „Das eine habe ich als Fohlen vor dem Schlachter gerettet, und das andere habe ich eigentlich als Seelengefährte zum Ausreiten gekauft. Doch es hat sich herausgestellt, dass es Arthrose im Hals hat.“ So sei aus ihren Reitplänen nichts geworden. „Ich habe eh keine Zeit dazu“, sagt Reif achselzuckend.
Dabei steht sie täglich bereits um 4.30 Uhr auf. Denn bevor Reif zu ihrer Arbeitsstelle nach Ludwigsburg fährt, einer Agentur für Projektmanagement, müssen erst einmal die tierischen Mitbewohner, zu denen neben den Hospiz-Tieren auch noch zwei eigene Katzen und zwei Hunde gehören, mit Futter und Medikamenten versorgt und ihre Hinterlassenschaften beseitigt werden. Drei Stunden braucht Reif hierfür, und weitere drei Stunden investiert sie nach Feierabend nochmals in die Pflege ihrer Schützlinge. In den Urlaub fahren kann sie nur, wenn ihre Mutter und Helferinnen des Vereins für sie einspringen.
Kater Leo mag Räucherlachs
Zurück im Haus streicht schon wieder Kater Leo um den Kühlschrank in der Küche und um Reifs Beine und fordert eine Extraportion Futter ein. Doch mit Dosenfutter braucht sein Pflegefrauchen dem rot getigerten Diabetiker mit Nierenproblemen nicht zu kommen. Ihm steht der Sinn eher nach Räucherlachs und Putenbrustfilet. Ob das eine ausgewogene und gesunde Ernährung für ihn ist, das ist für Reif Nebensache. Für sie zählt allein die Lebensqualität der alten Tiere. „Jedes hat seine bestimmten Bedürfnisse. Manche wollen mit am Esstisch sitzen.“ Und das dürfen sie bei Reif dann auch. Nur die Schlafzimmer der Familie seien Tabuzonen, sagt die Tierfreundin.
Ansonsten dürften sich die Hospizbewohner, soweit sie körperlich in der Lage seien, frei im gesamten Haus bewegen. So begegnet man bei einem Rundgang durch das Gebäude auf Schritt und Tritt einem der Schützlinge. Dabei stehen ihnen der Wintergarten und das Dachgeschoss des Hauses ganz zur Verfügung. Auf Sofas, Stockbetten und alter Kinderausstattung finden sie Schlafplätze.
Reif kennt die Krankengeschichte von jedem ihrer Schützlinge genau: von der dementen Freya, die rastlos Runde um Runde im Zimmer dreht, ebenso wie von der quasi tauben Erna, der wegen eines Tumors die Ohren abgenommen wurden und die nun selig sowie garantiert ruhig und ungestört in einem alten Kinderreisebett schlummert. „Die hier macht sich bald auf den Weg“, sagt Reif beim weiteren Rundgang durch das Haus und deutet auf ein dreifarbig geflecktes Kätzchen, das wie ein Häufchen Elend auf einer Decke liegt. Als Reif es zwischen den Ohren krault, hebt es schnurrend sein schwaches Köpfchen. Kommt einschläfern für sie gar nicht in Frage? „Nur in Ausnahmefällen“, antwortet Reif. Dann komme ein Tierarzt ins Haus. „Aber die meisten Katzen können alleine sterben.“