Ratten leben in Gruppen. Wer Männchen und Weibchen als Paar halten will, sollte das Männchen kastrieren lassen. Pro Wurf bekommt ein Weibchen bis zu zehn Jungtiere. Foto: Tierheim Stuttgart

110 Ratten haben Tierschützer bereits aus dem Haus eines Animal-Hoarders in Stuttgart geholt. Die Tiere sind bis auf Bisswunden von Rangkämpfen gesund. Wie viele Tiere verstecken sich noch in dem Haus?

Stuttgart - Ratten, überall Ratten, das ganze Haus ist voll: Dieses Bild hat sich den Mitarbeitern einer Entrümpelungsfirma geboten, die im Auftrag eines Vermieters ein kleines Häuschen irgendwo in Stuttgart ausräumen sollten. Beim Anblick der Tiere stoppten sie und riefen den Tierschutzverein an. Es sei ihnen gleich klar gewesen, dass es sich um zahme Zuchttiere handelte.

„Auf zwei, die man sieht, kommen noch schätzungsweise zehn, die versteckt sind“, sagt die Leiterin des Stuttgarter Tierheims in Botnang, Marion Wünn. So habe man nicht gleich sagen können, wie viele Tiere sich in dem kleinen Mietshaus versteckten, ob 30 oder eher 300. Inzwischen sehe man da etwas klarer: „110 Tiere haben wir schon, etwa 40 bis 50 vermuten wir noch in dem Haus“, sagt Wünn. „Das ist wieder einmal ein Fall von Animal-Hoarding. Damit bezeichnet man das massenhafte Halten – auf Englisch Hoarding – von Haustieren, entweder aus falsch verstandener Tierliebe oder aus Überforderung.

Die Versorgung kostet viel Geld

Die Geschichte der Rattenrettung begann im vorliegenden Fall mit der Räumungsklage eines Hauseigentümers, bei dem der Rattenhalter zu Miete wohnte. Der Vermieter erwirkte einen Räumungstitel bei Gericht. Die Räumung sollte in der vergangenen Woche sein. Und da stießen die von ihm beauftragen Arbeiter auf das Rattenproblem.

„Wir sind dann hin, haben uns ein Bild von der Lage gemacht und schnell andere Tierheime angeschrieben, damit wir Plätze für die Tiere finden“, sagt die Tierheimleiterin Marion Wünn. 88 Heime helfen nun. Bis nach München bringen Mitarbeiter und ehrenamtliche Helfer die geretteten Ratten nun.

Bald stellte sich heraus, dass es mehr Plätzen bedurfte, als Ratten aus dem Haus geholt wurden: „Die Weibchen sind alle trächtig, und in einem Wurf können bis zu zehn Tiere sein“, sagt Wünn. Schnell mussten die Tierschützer, der ehemalige Mieter und Tierbesitzer und der Hauseigentümer sich einig werden: Wem gehören die Tiere und wer kommt für die entstehenden Tierarzt- und Futterkosten auf? „Der Mieter hat seinen Besitzverzicht erklärt“, sagt Wünn. Damit war klar. dass sie ins Tierheim gebracht und später vermittelt werden können. Die Kosten übernahm der Vermieter. Etwa 2000 bis 3000 Euro könnten da schnell zusammenkommen. Auch ein Amtsveterinär wurde hinzugezogen. Hätte er die Tiere behandelt, wären noch Gebühren hinzugekommen. Nun übernimmt die Versorgung ein vom Tierheim hinzugezogener Arzt.

Den Tieren gehe es recht gut. „Sie waren auch alle zahm – wenn man Futter ausstreut, kommen sie“, berichtet die Tierheimleiterin. Dann hätten die Helfer sie einfach einsammeln und nach Botnang ins Tierheim bringen können. „Natürlich haben sie Beißwunden, Rangkämpfe bleiben in so einer großen Gruppe nicht aus“, fügt Wünn hinzu. Im Tierheim seien als allererste Maßnahme Weibchen und Böcke – also Männchen – getrennt worden, um eine weitere Vermehrung zu verhindern. Alle männlichen Tiere würden nun kastriert werden, bevor das Stuttgarter Tierheim beziehungsweise andere Tierheime sie vermitteln würde – was erst in zwei bis drei Wochen geschehen werde.

Animal-Hoarding: Im Schnitt ein Fall pro Jahr in Stuttgart

Das Phänomen des Animal-Hoardings begegne den Stuttgarter Tierschützern im Tierheim im Schnitt einmal im Jahr. Meist seien es Kleintiere wie Kaninchen oder Meerschweinchen, aber auch Wohnungen voller Katzen seien keine Seltenheit. Es gebe dafür zwei Erklärungen: Manche würden sich für Tierretter halten und – gerade im Falle von Katzen – alle Streuner in der Umgebung mit Futter anlocken. Häufiger sei jedoch das Szenario, wie es nun auch in dem Fall des Mannes im kleinen Mietshaus gewesen sei: „Es fängt mit einem Pärchen an, dann kommt plötzlich Nachwuchs und so geht es weiter, bis man den Überblick verliert und einem die Sache über den Kopf wächst“, erläutert die Tierheimleiterin. In den meisten Fällen seien die Hoarder „alleinstehende ältere Frauen“, ein älterer Mann wie im Fall der aktuellen Rattenrettung sei hingegen eher die Ausnahme.

Die Aufnahme einer großen Anzahl Tiere auf einen Schlag ist für das Tierheim immer auch eine anstrengende Situation: vor knapp zwei Jahren kamen auf einen Schlag etwa 100 Katzen- und Hundebabys an, welche die Polizei in einem illegalen Transport auf der Autobahn gefunden hatte. Die meisten waren viel zu jung von den Muttertieren weggenommen worden. Mit der Hilfe vieler Spender konnte das Tierheim die Situation bewältigen.