Gabriele Munk und Andreas G. Winter mit der braven Bruna Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Das Tierheim in Stuttgart ist übervoll. Doch nun könnten mehr Hunde ein neues Zuhause finden, eben weil die Stadt auf Steuereinnahmen verzichtet. Doch wie kam es dazu?

Stuttgart - Lennox ist eine kompakte Portion geballte Kraft. Martin Pechmann vom Tierschutzverein Stuttgart hält den bildschönen Staffordshire Terrier stramm an der kurzen Leine: „Er hat die Verhaltensprüfung bestanden“, sagt Pechmann, setzt aber hinzu: „Er ist sicher kein Hund für jedermann.“ Der richtige neue Besitzer für Lennox ist noch nicht gefunden.

Erst recht nicht für Bruna, eine Kangal-Mix-Seniorin, die schon seit neun Monaten hier im Tierheim lebt und nach offenbar sehr schlechten Erfahrungen nur dank vieler Zuwendung und Streicheleinheiten wieder ein bisschen zutraulicher wurde. Aber das absolute Sorgenkind ist Niki, ein Labrador-Riesenschnauzer-Mix, elf Jahre alt, erst seit Kurzem da und ein einziger Jammer: „Er weint nächtelang und leidet extrem unter der Trennung von seiner Familie, es geht mir ans Herz“, gibt Petra Veiel vom Tierheim zu.

150 Hunde können jährlich an neue Besitzer

Ob Lulu, der Pinschermix, Elfi, der Border Collie, oder Elli, der Walker-Coonhound: Namen, Rassen und Schicksale der verlassenen, verwaisten und verstoßenen Hunde lassen sich schier endlos fortsetzen und sind auf der Webseite des Tierheims stets aktualisiert nachzulesen. Etwa 150 Hunde können jährlich an neue Besitzer vermittelt werden. Damit diese Quote höher wird, hat die Grünen-Fraktion im Stuttgarter Gemeinderat schon einmal einen Vorstoß in Sachen Hundesteuer unternommen: Ob ein Asylhund ein Jahr steuerfrei bleiben könne? „Damals scheiterte unser Vorschlag an gebührentechnischen Umständen“, berichten Fraktionsvorsitzender Andreas Winter und seine Fraktionskollegin Gabriele Munk.

Der zweite Anlauf war deshalb etwas modifiziert: „Wir möchten das Tierheim speziell in Bezug auf Hundevermittlung tatkräftig unterstützen und stellen uns die Halbierung der Hundesteuer für das gesamte Hundeleben vor“, heißt es in dem Antrag vom Oktober des Vorjahres zu den Haushaltsberatungen. Schließlich seien niedliche Welpen vom Züchter für viele Tierfreunde verlockender als Asylhunde, noch dazu mit Problembiografie. Umso mehr müsse die wertvolle Arbeit des Tierschutzvereins und des Tierheims gewürdigt werden. Andreas Winter weiß, wovon er spricht: Er hat bereits den dritten Hund aus dem Tierheim und ist mit Nuevo, einem elfjährigen Golden Retriever – „unser Haus- und Hofhund“ –, glücklich.

Stadt verzichtet auf Steuereinnahmen

Etwa 15 000 Hunde aller Rassen und Größen vom Mini-Chihuahua bis zur kalbgroßen Dogge sind in Stuttgart die besten Freunde von Herrchen und Frauchen. Regulär beträgt die Hundesteuer in der Landeshauptstadt pro Jahr 108 Euro. Für jeden weiteren Hund sind jeweils 216 Euro fällig. Happig wird der Betrag für ein als gefährlich geltendes und üblicherweise Kampfhund genanntes Tier: Das muss dem Besitzer 612 Euro wert sein.

Am 20. Dezember hat der Gemeinderat, gewissermaßen als Weihnachtsgeschenk, in den Haushaltsberatungen aber beschlossen, dass für alle Hunde, die seit dem 1. Januar 2020 – die Neuregelung gilt also auch rückwirkend – aus dem Tierheim geholt werden, nur noch die halbe Hundesteuer fällig ist, ein ganzes Hundeleben lang. Die brave Bruna würde 54 Euro an Steuern kosten, der kampfbereite Lennox 306 Euro. Für diesen Rabatt verzichtet die Stadt auf eine jährliche Steuereinnahme von 108 000 Euro.

Petra Veiel weiß, dass die Steuer auch immer wieder ein Grund ist, warum Hunde im Tierheim landen: Weil die Besitzer sich den Hund, der ja auch medizinisch versorgt, ernährt und obendrein haftpflichtversichert werden muss, nicht mehr leisten können. Diese Kosten gehen in die Tausende und sind der Grund, warum ein Hund aus dem Tierheim nicht zum Nulltarif zu haben ist: „Wir verlangen 300 Euro und decken damit kaum die Kosten“, versichert Frau Veiel. Denn die Hunde seien kastriert, gechippt und geimpft, folglich in einem tadellosen Zustand.

Hund zwei Wochen auf Probe

Hohen Anforderungen muss natürlich auch der Bewerber genügen: Einfach nur auf die Liebe auf den ersten Blick zwischen Mensch und Tier zu bauen reicht nicht. Am Anfang, schildert Petra Veiel das Prozedere, steht eine Beratung mit dem Tierpfleger: Welcher Hund passt zu diesem Menschen, seiner Familie und seinen Lebensumständen? Dann muss der Bewerber eine Selbstauskunft ausfüllen. Nach mehreren Begegnungen bekommt er den Hund zwei Wochen lang auf Probe. Wenn dann alles gut geht und die Mitarbeiter des Tierheims bei Kontrollbesuchen nichts auszusetzen haben, ist der Adoptionsvertrag perfekt – und das Glück auf allen Seiten komplett.