In der Tierhaltung werden deutlich mehr Medikamente verfüttert als angenommen. Foto: dpa

In der Tierhaltung werden deutlich mehr Medikamente verfüttert als angenommen: Tierärzte verdienen mit dem Verkauf von Medikamenten Geld. Auch deswegen ist der Antibiotika-Einsatz so hoch.

Ingolstadt - Medikamente gegen Parasiten, Schmerzmittel, Hormone zur Sterilitätsbehandlung und Antibiotika: Rupert Ebner fährt in seinem VW-Bus eine kleine Apotheke spazieren. Normal für einen Tierarzt, der Nutztiere behandelt. Damit die Mediziner auch auf abgelegenen Höfen auf dem Land alle notwendigen Medikamente parat haben, kaufen sie diese selbst bei den Pharmafirmen ein – und verkaufen sie an die Bauern weiter.

Auf seiner Vormittagstour rund um die bayerische Stadt Ingolstadt hat Ebner, 58, zehn Höfe besucht, bei fünf ging es um Sterilitätsbehandlungen, bei den anderen fünf hat er Antibiotika verabreicht. „Rinder, mit denen ich es am häufigsten zu tun habe, brauchen das meist wegen bakterieller Erkrankungen der Atemwege und des Verdauungstrakts oder wegen Euter- und Durchfallkrankheiten“, erzählt er am Handy, während er zum nächsten Bauern fährt.

1734 Tonnen Antibiotika wurden 2011 von der Pharmaindustrie an Tierärzte abgegeben, das ist siebenmal mehr, als die Humanmedizin einsetzt hat. Diese Zahl, die in der vergangenen Woche vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit veröffentlicht wurde, stammt aus der ersten flächendeckenden Auswertung von Tierarzt-Praxen. Bislang gab es nur Schätzungen – und die lagen deutlich darunter. Und das, obwohl Vorwürfe über missbräuchlichen Einsatz zur Vorbeugung oder Mast seit Jahren geäußert werden. In der Kritik stehen jetzt vor allem die Tierärzte. Denn sie verordnen die Medikamente.

Rupert Ebner, früherer Vizepräsident der Bayerischen Landestierärztekammer, ist beim nächsten Hof angekommen. Eine Kuh hat entzündete Klauen und braucht ein Schmerzmittel. Der Arzt besucht und untersucht jedes Tier, bevor er ihm ein Medikament gibt. Das klingt selbstverständlich, stößt bei vielen Bauern aber auf Unverständnis. „Die rufen an und wollen das Medikament einfach abholen, damit sie das Geld für die Untersuchung durch den Tierarzt sparen.“ Ebner poltert jetzt in lautem Bayerisch. Denn er weiß: „Es gibt genug Kollegen, bei denen ein solcher Anruf genügt.“ Zu schnell und gut verdient ist das Geld, das Tierärzte über den Verkauf von Medikamenten machen.

95 Prozent des Umsatzes kommt bei manchen Tierärzten vom Medikamenten-Verkauf

„Bei solchen Tierärzten ist der Beruf zum reinen Medikamentenlieferanten verkommen“, schimpft Ebner weiter. Er ist überzeugt davon, dass es Praxen gibt, bei denen der Umsatz zu 95 Prozent über den Verkauf von Medikamenten getragen wird – und nur zu fünf Prozent aus den Honoraren für die tierärztliche Tätigkeit.

Seine eigene Praxis lebt laut seinen Angaben zu 30 Prozent von den Medikamentenverkäufen. Ein Anteil, den der Tierarzt für normal und seriös hält – und von dem es sich seiner Meinung nach gut leben lässt. Denn Tierärzte dürfen die Medikamente ganz legal nach der sogenannten Tierarzneimittelpreisverordnung teurer an die Bauern weiterverkaufen, als sie von den Pharmafirmen eingekauft wurden. „In meiner Praxis lagern Medikamente im Wert von etwa 200.000 Euro. Die müssen bestellt und ausgepackt werden, und bei manchen läuft das Verfallsdatum ab, weil wir sie nicht brauchen. Solche Kosten müssen gedeckt werden“, sagt Ebner.

Vielen Tierärzten reiche eine solche Kostendeckung jedoch nicht, sie setzten auf die attraktiven Rabatte, die von der Pharmaindustrie für große Bestellmengen gewährt würden. „Dann hat der Tierarzt eine riesige Menge davon vorrätig, und es kann mir keiner erzählen, dass die dann nicht auch eingesetzt wird – auch dann, wenn die Untersuchung vielleicht ein anderes Medikament nahelegen würde“, sagt Ebner. Deswegen hat er bei der Bayerischen Landestierärztekammer einen Antrag eingereicht, um solche Rabattsysteme verbieten zu lassen.

Industrielle Großbetriebe funktionieren nur mit Antibiotika

Beliebter machen ihn solche Vorstöße bei Kollegen nicht gerade, aber das ist dem Tierarzt egal. „Ich habe Medizin studiert, um meinen Kopf zu gebrauchen und meine Hände einzusetzen, nicht um mit Medikamenten zu handeln.“ Ebner weiß aber auch, dass auf den Höfen, die er rund um Ingolstadt betreut, noch idyllische Zustände herrschen. Zustände, die ohne den übermäßigen Einsatz von Antibiotika auskommen.

In vielen industriellen Großbetrieben hingegen funktioniert das nicht mehr. Sie sind durchgerechnet bis auf den letzten Cent. Dass mehr Tiere sterben als geplant oder nicht so schnell wachsen wie einkalkuliert, ist in solchen Rechnungen nicht vorgesehen. „Antibiotika sind hier als Betriebsmittel von vorneherein eingeplant, so wie Wasser, Futter oder die Heizung“, sagt Ebner. Erst durch die Medikamente wird es möglich, dass so viele Tiere auf enger Fläche leben und trotzdem nicht an Stress, mangelnder Hygiene oder gegenseitiger Ansteckung sterben.

Nur den Einsatz von Antibiotika zu verringern, bringe deswegen gar nichts, das würden diese Tiere nicht überleben. Umgestellt werden müsste das ganze System: mit anderen Haltungsformen, mehr Platz, anderem Futter und längeren Mastzeiten. „Es ist klar, dass dadurch das Fleisch teurer wird, und das muss man wollen.“

Auffällige Höfe müssen häufiger kontrolliert werden

Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) will in ihrem neuen Gesetzentwurf, den sie an diesem Mittwoch im Kabinett vorlegt, zunächst vor allem eins: weniger Antibiotika in der Tierhaltung. Um das zu erreichen, sollen die Bauern die Antibiotika-Einsätze künftig in einer zentralen Datenbank dokumentieren.

Tierarzt Ebner verspricht sich davon nicht viel. „Abgabemengen werden bei Tierärzten und Bauern schon erfasst, es muss sich nur mal jemand die Mühe machen, sie auszuwerten, und auffällige Höfe dann häufiger kontrollieren.“ Ähnlich äußerten sich der deutsche Tierschutzbund und der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). Beiden fehlen zudem Änderungen im System der Massentierhaltung. Der Deutsche Bauernverband hingegen wertete die aktuelle Zahl über die Antibiotika-Vergabemenge „als Beleg für einen verantwortungsvollen Umgang der Landwirte und Tierärzte“.