Auch im Stuttgarter Zentrum sind viele Tauben zuhause. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Der Austausch der Eier in Brutkästen ist aus Sicht der Tierschützer der einzige humane Weg zur Kontrolle der Population in der Landeshauptstadt. Mehr als 32 500 Eier hat man seit 2008 durch Attrappen ersetzt.

Stuttgart - Eine Taube landet vor der Kelter in Wangen, nähert sich heruntergefallenen Essensresten und pickt hektisch daran. Aus gutem Grund: Lange genießen kann sie die Mahlzeit nicht. Ein Familienvater stürmt bereits mit einem Kinderwagen auf sie zu und scheucht den Vogel – gemeinsam mit der Tochter – durch die Ulmer Straße.

Kein Einzelfall, so Julia Bischoff, Teamleiterin und Koordinatorin des Stadttaubenprojekts Stuttgart. Die Abneigung gegen die Tiere, die abfällig auch als „Ratten der Lüfte“ bezeichnet werden, sei groß. Sie habe schon Projektile, die mit einem Luftgewehr abgefeuert wurden, in Flügeln entdeckt. Immer wieder würden Fußgänger die Vögel treten und ihnen dadurch schwere innere Verletzungen zufügen. „Sie sterben dann oftmals qualvoll.“ Ebenso sei das Auslegen von Giftködern nicht zu empfehlen. „Sie sind auch für andere Tiere eine Gefahr. Außerdem sterben die Tauben nicht an Ort und Stelle. Kadaver finden sich dann auch auf Grünflächen oder Spielplätzen.“

Man könne zu Tauben stehen, wie man wolle, so etwas müsse in der heutigen, als zivilisiert geltenden Gesellschaft aber nicht sein. „Wir haben alle das gleiche Ziel, weniger Tauben in Stuttgart. Die einzige humane und gesetzeskonforme Art, die Population zu kontrollieren, ist, die Eier auszutauschen.“ Mehr als 32 500 Stück habe man seit dem Projektbeginn im Jahr 2008 durch Attrappen ersetzt. Zunächst wurde nur mit wenigen Taubenschlägen gearbeitet, mittlerweile habe man elf im Stadtgebiet aufgestellt. Hier kommt Daniel Gunzenhäußer ins Spiel. Er ist Schreiner, engagiert sich seit Jahrzehnten im Tierschutzverein Stuttgart und baut für das Projekt die Taubenhäuser auf. „Es ist kein Hexenwerk. Sie ähneln grundsätzlich Gartenhäusern“, sagt er. „Beim Innenausbau orientieren wir uns an den Richtlinien von Taubenzüchtern.“ Beispielsweise bei der Größe der Brutschränke. Darüber hinaus setze man auf wasserfestes Material und versiegelte Flächen. Alles müsse möglichst pflegeleicht sein, um bis zu fünf Mal in der Woche gut durchputzen zu können. Zudem benötige man einen Sozialbereich, in dem Wasser und Futter stehen, und eine Voliere, in der kranke oder verletzte Tiere ihre Ruhe haben.

„Wir machen das alles nicht nur aus Liebe zu den Tauben“, stellt Bischoff klar. Ihre Ausbreitung sei ein von Menschen gemachtes Problem, dementsprechend müsse man sich auch darum kümmern. Schließlich handele es sich um ein verwildertes Haustier, dem „eine wahnsinnige Brutaktivität“ angezüchtet wurde.

Um diese „Lawine“ zu stoppen, unterstützt die Stadt das Projekt. Sie trägt unter anderem die Kosten für den Bau der Taubenhäuser. Derzeit wird eines am Bahnhof in Zuffenhausen errichtet. Dort leben rund 200 Tauben, brüten wild und vermehren sich in der Haltestellen-Überdachung prächtig. „Hoffentlich finden sich möglichst viele der Zuffenhäuser Bahnhofstauben im Schlag ein“, sagt Bischoff, die sich insgesamt für deutlich mehr Taubenschläge im Stadtgebiet ausspricht. Unter anderem in der Wangener Ulmer Straße. Dort hat es bereits erste Gespräche gegeben. Denkbar ist ein Schlag im Dachstock der Kelter. In der Landhausstraße und am Marienplatz habe man in vergleichbaren Räumen sehr gute Erfahrungen gemacht. „Der Ausbau ist allerdings komplexer als in einem Taubenhaus“, sagt Gunzenhäußer. „Zumal wir das ganze Material hochschleppen müssen.“

Aus Sicht von Julia Bischoff wird auch in Bad Cannstatt ein Taubenhaus dringend benötigt. „Der Taubenturm am Seilerwasen, der im Sommer 2018 eingeweiht wurde, ist viel zu wenig für den Stadtbezirk.“ Der Schlag auf dem Parkhaus Mühlgrün wurde im vergangenen März abgebaut, viele Tauben sind jedoch nicht mit umgezogen. „Die Tiere sind sehr standorttreu und Bad Cannstatt beheimatet um ein Vielfaches mehr Tauben als in den Turm passen.“ Grundsätzlich werde ein Schlag immer dort benötigt, wo viele Tauben sind: am Rotebühlplatz, Schlossplatz, Hauptbahnhof, am Cannstatter Bahnhof oder am Carré. „Natürlich merkt man die positiven Auswirkungen eines Taubenhauses nur dort, wo auch eines ist. An den genannten Orten sind keine, sie wären aber nötig.“