Normalerweise kann man den Großteil der Defekte am Kinderherzen schon während der Schwangerschaft im Ultraschall erkennen. Nach der Geburt werden die Kinder dann recht schnell operiert. Foto: AP

Etwa jedes hundertste Baby wird mit einem defekten Herzen geboren. Meist erfolgt die Operation gleich nach der Geburt, was später ein normales Leben ermöglichen soll. Dies erfordert nicht selten eine intensive medizinische Betreuung.

Stuttgart - Iman schläft hinter Glas. Ruhig hebt und senkt sich der Brustkorb des Mädchens. Um sie herum stehen Maschinen, die alles aufzeichnen, was in dem Körper der Zehnjährigen gerade vor sich geht. Das sieht nicht gut aus: Da ist beispielsweise eine zackige Linie auf dem Monitor, die verrät, dass der Blutdruck für ein Kind ihres Alters viel zu hoch ist. Als sich ein Computerarm um die Liege gedreht hat, zeigt sich das ganze Ausmaß: Auf einem Bildschirm werden die Lungen- und Herzgefäße als Scherenschnitt-Landschaft in Schwarz auf Hellgrau abgebildet – und selbst dem Laien wird deutlich, was hier nicht stimmt: Die Hauptschlagader ist merkwürdig abgeknickt. So, als hätte man sie mit einem Bindfaden abgeschnürt.

Aortenisthmusstenose – kurz ISTA – lautet der medizinische Fachbegriff für diese Fehlbildung. Die Verengung der Hauptschlagader führt dazu, dass die linke Herzkammer mehr arbeiten muss, um Blut durch das Gefäß zu pumpen. Der Herzfehler muss beseitigt werden – entweder mit Hilfe eines Katheters oder mit einer Operation.

Noch vor wenigen Jahrzehnten starben viele Kinder kurz nach der Geburt

Jedes Jahr kommen in Deutschland rund 6000 Säuglinge mit einem Herzfehler zur Welt. Somit ist jedes hundertste Baby herzkrank, weil sich das Organ während oder kurz nach der Zeit im Mutterleib nicht richtig entwickelt hat. Noch vor einem halben Jahrhundert kam dies einem Todesurteil gleich. Viele Kinder starben gleich nach der Geburt oder in den ersten drei Lebensjahren. Heute können 80 Prozent der Menschen mit Herzfehler das Rentenalter erreichen.

Einer, der die fehlerhaften Kinderherzen besonders gut zu behandeln weiß, ist Frank Uhlemann. Der Ärztliche Direktor der Kinderkardiologie am Olgahospital des Klinikums Stuttgart hat schon viele kleine Patienten bei sich gehabt – sei es, weil sie nur mit einer Herzkammer geboren wurden oder weil sich zwischen den Herzkammern und Vorhöfen ein Defekt gezeigt hat. Oder aber weil die Blutgefäße nicht dort mündeten, wo sie sollten. Teils waren sie zu eng, teils fehlten ganze Arterien, Venen oder Klappen.

Dann müssen Uhlemann und sein Team zusammen mit spezialisierten Chirurgen diese Fehler beheben – mit Kathetern, Ballons, winzigen Schirmchen aus Metall und zartem Kunststoffgewebe, die das Blut dort, wo nötig, am Durchfließen hindern. Das sind komplizierte Eingriffe, weshalb man im Stuttgarter Klinikum mit Experten der Sana Herzchirurgie zusammenarbeitet, einem Hochleistungszentrum für Herzmedizin mit Sitz in Stuttgart. „Gemeinsam erarbeiten wir für jeden Patienten individuelle Betreuungskonzepte“, so Uhlemann.

Das Team hat auch die Aufgabe, der kleinen Iman wieder zu einem normalen Herzschlag zu verhelfen. „Dass ein Kind so lange mit diesem Herzfehler leben muss, ist ungewöhnlich“, sagt Uhlemann. Es ist nur dadurch zu erklären, dass die Zehnjährige ein Flüchtlingskind aus dem Nahen Osten ist. Der Herzfehler wurde bei einer Routinekontrolle nach Ankunft der Familie in Deutschland entdeckt. „Normalerweise kann man den Großteil der Defekte am Kinderherzen schon während der Schwangerschaft im Ultraschall erkennen“, sagt Uhlemann. Die Monate nach der Diagnose nutzen die Ärzte, die werdenden Eltern auf die Eingriffe bei den Kindern und die daraus folgenden Therapien einzustellen. Wenn das Kind auf die Welt kommt, stehen die Ärzte bereit, um das kleine, mandarinengroße Herz in Augenschein zu nehmen und wenn nötig zu stabilisieren und operieren.

In Deutschland gibt es rund 300 000 Jemahs – Junge Erwachsene mit Herzfehler

Das Risiko, dass dabei ein Kind zu Schaden kommt, ist erstaunlich nieder: Es liegt deutlich unter fünf Prozent. Die Chance dagegen, dass die Kinder mit Herzfehler später ein relativ normales Leben führen können, ist mehr als 15 Mal so groß. Allerdings: Hundertprozentig gesund werden nicht alle. Viele bleiben chronisch krank und benötigen eine lebenslange kardiologische Betreuung. „Man kann schon sagen, dass wir eine neue Patientengruppe schaffen“, sagt Uhlemann. Die der sogenannten Jemahs – die Abkürzung für „Jugendliche und Erwachsene mit angeborenem Herzfehler“.

In Deutschland gibt es davon rund 300 000. Betreut werden sie in einem der 15 überregionalen zertifizierten Zentren, zu denen auch das Klinikum Stuttgart gehört. „Dafür braucht es eine interdisziplinäre Therapie“, sagt Uhlemann. Denn wenn sich mit den Jahren kindliche Herzfehler zu Gesundheitsproblemen beim Erwachsenen wandeln, müssen die Kardiologen beider Abteilungen und Chirurgen eng zusammenarbeiten. Oft braucht es auch die Unterstützung anderer Abteilungen des Klinikums.

Therapie der Kinder wird oft zu eine Kraftprobe der Eltern

Trotz schonender Therapie bleibt es für die Familie eine Kraftprobe. „Viele Eltern empfinden die Therapie ihres Kindes als sehr belastend“, sagt Uhlemann. Nicht selten beschleicht sie das Gefühl, versagt zu haben, weil sie ihr Kind vor den medizinischen Strapazen nicht bewahren konnten. „Viele haben auch den Drang, ihre Kinder nicht mehr aus den Augen lassen zu dürfen.“ Es bedarf vieler Gespräche, um ihnen diese Ängste und Selbstvorwürfe zu nehmen.

Der kleinen Iman steht noch ein langer Weg bevor. Die Ärzte werden die verengte Aorta des Mädchens mit Hilfe eines Ballons weiten. Dazu wird ein dünner Hightech-Schlauch von der Einstichstelle in der Leiste bis zum Herzen geführt. Ein Eingriff, der bis zu drei oder vier Stunden dauern wird. Bestenfalls sind die Kopfschmerzen bei Iman wieder verschwunden, der Blutdruck ist wieder normal. Was bleibt, ist eine winzige Punktionsstelle an der Leiste.

So stellt man Herzfehler bei Ungeborenen und Säuglingen fest

Vorgeburtliche Diagnose: Mit Hilfe von Fruchtwasseruntersuchungen und Gentests werden einige Schäden schon vor der Geburt erkannt.Stethoskop: Zusätzliche Herzgeräusche können auf Herzfehler hinweisen, aber nicht jeder Fehler verursacht Geräusche.

EKG (Elektrokardiogramm): Die Untersuchung misst die elektrische Aktivität des Herzens. Mit ihr lassen sich Herzrhythmusstörungen und die Mehrbelastung einzelner Herzabschnitte erkennen.

Ultraschall: Dabei wird ein Schallkopf auf den Brustkorb aufgesetzt, um die einzelnen Herzabschnitte sichtbar zu machen. Auch Richtung und Geschwindigkeit des Blutstroms lassen sich darstellen.

Hilfen für betroffene Familien gibt es bei der Kinderherzstiftung, beim Bundesverband Herzkranke Kinder, bei der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und bei Selbsthilfegruppen wie der Elterninitiative Herzkranker Kinder Tübingen – ELHKE