Das Interimstheater ist nach dem Brand des Hoftheaters 1902 auf dem Gelände des heutigen Landtags bezogen worden.. Foto: S/ungen Wolfgang Müller/Michaela Klapka

Für zehn Jahre soll das Stuttgarter Opernhaus auf eine Ersatzbühne ausweichen. Nächste Woche entscheidet der Gemeinderat darüber. Einst galt der Littmann-Bau als einmalig in Europa. Erinnerungen an die Anfänge, ans alte Interimstheater und an eine erschossene Diva.

Stuttgart - Die Kammersängerin ermordet, das Hoftheater abgebrannt, das Dach teils vom Unwetter weggerissen – in der Geschichte der Stuttgarter Oper waren die Dramen nicht nur inszeniert. Jetzt steht eine wichtige Entscheidung für die Theater-Welt bevor. Am 28. Juli soll der Gemeinderat einen Grundsatzbeschluss zur Sanierung eines Bauwerks fassen, das bei der Eröffnung im Jahr 1912 als einmalig in Europa galt.

Der Gemeinderat wird zunächst über 13, 5 Millionen Euro entscheiden, die für die Planung des Umbaus und der Beseitigung der zahlreichen Schäden vorgesehen sind. Die 13,5 Millionen sind die Hälfte des Landesanteils – beide Träger teilen sich die Kosten zu 50 Prozent. Für die eigentliche Sanierung sind bisher bis zu eine Milliarde Euro veranschlagt. Für zehn Jahre soll Stuttgart ein Interimstheater bei den Wagenhallen erhalten. Exakt zehn Jahre waren es auch, als nach dem Brand des Hoftheaters von 1902 bis 1912 auf einer provisorischen Bühne gespielt worden ist – damals auf dem noch unverbauten Platz des heutigen Landtags.

Ursache für den Theaterbrand soll ein Kurzschluss gewesen sein

In der Nacht zum 20. Januar 1902 war das Alte Hoftheater, das an jener Stelle begeisterte, auf dem heute der goldene Hirsch über dem Kunstgebäude thront, nach einer Aufführung von „Die Meistersinger von Nürnberg“ in Brand geraten. Ursache soll ein elektrischer Kurzschluss gewesen sein. Zu dieser Zeit saßen noch etliche Journalisten im nahen Café Königsbau zusammen, die gemeinsam sofort zur Unglücksstelle eilten. Der Stolz von König Wilhelm II. war nur noch eine Ruine. Die kann man heute noch besichtigien – nicht am Originalschauplatz, sondern am Rande der Schlossgartenanlagen zur B 14 hin. Ein zusammengefügter zweistöckiger Arkadengang mit Treppen erinnert dort an höfische Pracht. Bei dem Brand wurden die Überreste des Lusthauses von 1593 freigelegt, auf dessen Kern das Hoftheater zurückging.

Die Ausweichbühne ist im Jugendstil gebaut worden

Der Theaterfreund vom nahen Schloss handelte rasch. In nur neun Monaten ließ König Wilhelm II. ein Interimstheater bauen – es wurde am 12. Oktober 1902 eröffnet, im Jahr des Brandes. Zehn Jahre lang war es die Heimat der Bühnenwelt. Dank des liberalen Regenten konnten in Stuttgart Stücke aufgeführt werden, die in Berlin wegen der restriktiven Zensur nicht erlaubt waren. Der Architekt Ludwig Eisenlohr hat die Ausweichbühne mit Zügen des Jugendstils für die damalige Zeit sehr modern gebaut. Als sie nicht mehr gebraucht wurde, schlugen die Bemühungen fehl, das Haus nach Ulm zu verkaufen.

Die Diva wurde von ihrem Liebhaber aus Eifersucht erschossen

Der Star des Hof- und des Interimstheaters war eine deutsch-schweizerische Diva: Die Sopranistin Anna Sutter verdankte ihren Ruf als Femme fatale nicht nur ihren Opernrollen. In der Zeitschrift „Bühne und Welt“ rühmte Rudolf Krauß ihre „frische, glockenreine Stimme, ihr sprudelndes Temperament, ihre mutwillige und von seiner Anmut umschriebenen Laune“. Sie sang nicht nur großartig, sondern hat auch etlichen Männern den Kopf verdreht. Ein ehemaliger Liebhaber, der Hofkapellmeister Aloys Obrist, hat sie am 29. Juni 1910 aus Eifersucht mit zwei Pistolenschüssen in ihrer Wohnung getötet, bevor er sich das Leben nahm.

Fast schien es bei diesem Mordfall, als habe man eine Opernszene ins wahre Leben übertragen. Zum Gedenken an den Publikumsliebling ist im Jahr 1914 der Schicksalsbrunnen im Oberen Schlossgarten gebaut worden. Beerdigt wurde Anna Sutter auf dem Pragfriedhof. Noch Bis Ende der 1960er hat der Legende nach ihr letzter Liebhaber, der Opernsänger Albin Swoboda, täglich ihr Grab mit frischen Blumen geschmückt. Von 1909 bis 1912 entstand nach den Plänen von Max Littmann ein Doppeltheater mit Großem Haus (heute: Opernhaus) und Kleinem Haus (heute: Schauspielhaus). Der botanische Garten, vom König bereitgestellt, diente als Baugrund. Nach der Eröffnung wurde die Interimsstätte abgerissen. Der Theatersee, der heute Eckensee heißt, war oval. Nach dem Ende der Monarchie 1918 ist das Königliche Hoftheater in Württembergisches Landestheater umbenannt worden. Euphorisch schrieb der Journalist Paul Wittko zur allerersten Premiere des Opernhauses vor knapp 100 Jahren: „Maschinell ist dieses Riesengebäude so eminent praktisch ausgestattet, dass fortan der Ausfall einer Opernvorstellung durch plötzliche Erkrankung oder dergleichen nahezu ausgeschlossen ist.“ Jahrzehnte später das hochgelobte Bauwerk zu einer ewigen Baustelle. Doch nun sind die Weichen gestellt für die Sanierung.

Euphorie über die Technik des Opernhauses nach der Eröffnung

Jetzt steht eine „Jahrhundertentscheidung“ an

Das Kleine Haus, das über Säulen verfügte, ist im Zweiten Weltkrieg zerstört worden. Nach heftigen Debatten wurde 1962 die neue Theaterstätte nach Plänen von Hans Volkart eröffnet. Er gliedert an die erhaltene Außenmauer ein rechtwinkliges Bühnenhaus an. Jetzt steht eine neue Zäsur an. OB Frank Nopper spricht von einer „Jahrhundertentscheidung“. In welchem Jahr die Sanierung des denkmalgeschützten Littmann-Baus fertig ist, weiß niemand so genau. Eines aber ist klar: Stuttgarts starke Theaterliebe wird nicht heimatlos.

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