Harald Barth (Mitte) spielt im Theaterstück „heimfinden“ einen Pietisten, den es in die Brüdergemeinde zieht. Foto: factum/Weise

Die Darsteller des Theaters unter der Dauseck proben derzeit das Theaterstück zur Geschichte von Korntal. Gar nicht so einfach, denn die Szenen finden an unterschiedlichen Orten im Zentrum statt.

Korntal - Wir wünschen, unser Leben in völliger Glaubensfreiheit zu gestalten“, ruft Harald Barth von einer Seitentreppe des Korntaler Rathauses herab. Die Ernsthaftigkeit seiner Worte wird von einem Windzug konterkariert, der ihm seinen Dreispitz vom Kopf weht. Zum Vorschein kommt eine Zipfelmütze, deren Ende mit einer Schraubenmutter verziert ist – einem dezenten Hinweis, dass dieses Theaterstück zwar einen historischen Stoff behandelt, aber nicht zu hundert Prozent vor 200 Jahren spielt.

Damals setzten die Pietisten rund um Gottlob Wilhelm Hoffmann ihre Forderung nach einer eigenständigen religiösen Gemeinde beim württembergischen König durch. Die Unterschrift unter die Fundationsurkunde 1819 war die Geburtsstunde der Brüdergemeinde Korntal. Im Auftrag der Stadt inszeniert das Theater unter der Dauseck aus Oberriexingen einen Theaterspaziergang, der sich mit der Gründung der Gemeinde befasst. Jede Szene spielt an einem anderen Ort im Zentrum Korntals – gruppiert um den Betsaal der Brüdergemeinde.

Das dunkle und stickige Parkhaus soll an die Zeit nach dem Vulkanausbruch erinnern

Das Stück beginnt im Parkhaus des Rathauses. Die dunkle, stickige Atmosphäre soll einen Eindruck von der schweren Zeit im Jahre 1815 geben, als in Indonesien ein Vulkan ausbrach, dessen Aschewolke die Ernten in Europa zerstörte. Hunger und Armut grassierten, viele Menschen dachten ans Auswandern nach Amerika oder Russland. „Wir haben Übung damit, bewusst mit den Räumlichkeiten vor Ort zu spielen und eben nicht neue zu bauen“, sagt Bernd Schlegel, der Leiter des Theaters. Den Wilhelm Tell, zum Beispiel, gab er schon mal auf einem Block des Marbacher Kraftwerks.

Eine Inszenierung, die vom Kollektiv lebt

Dieses Mal wird es allerdings etwas anders: „heimfinden“, so der Titel des Stücks über die ersten Jahre Korntals, ist eine Inszenierung, die vom Kollektiv lebt. Es gibt keine Hauptdarsteller, aber auch keine Statisten, die gar nichts sagen. Jeder kommt mal zu Wort. „Es geht um das Schaffen einer Gemeinde und das sind selten nur drei Personen“, sagt die Regisseurin Eva Mann. Sie hat gemeinsam mit ihrer Kollegin Dagmar Brade die Rollen verteilt.

30 Personen spielen mit, viele aus Korntal, viele ganz ohne Schauspielerfahrung, manche sind schon Jahre beim Theater unter der Dauseck dabei. Die zwölfjährige Charlotte Gann macht zum ersten Mal mit. Ihr macht das Schauspielern Spaß, „aber die Sprache ist ein bisschen altmodisch, da ist es schwer, den Text zu lernen.“ Ihre Mutter Beate Gann spielt auch mit.

Der Missbrauchsskandal wird nicht thematisiert

Außer Bernd Schlegel sind alle Amateure in dem Sinne, dass sie keine Berufsschauspieler sind. Mit Herzblut bei der Sache dabei seien sie trotzdem, sagt Eva Mann. „Professionalität ist eine Haltung zur Arbeit, keine Ausbildung“, sagt sie. Als sie begonnen habe, sich mit Korntal auseinanderzusetzen, habe sie die „Überfülle des Materials“ zur Historie überrascht. Die Brüdergemeinde hatte dem Leitungsteam aus Autoren und Regisseuren – die Verantwortlichen nennen es kurz „A-Team“ – zur Recherche Zugang zu ihrem Archiv gewährt. Den Missbrauchsskandal thematisieren sie im Stück nicht – er stehe ja auch nicht am Beginn der Brüdergemeinde.

Für die Regisseurinnen Mann und Brade wird die Herausforderung der kommenden Wochen sein, die einzeln in der Stadthalle geprobten Szenen nun live vor Ort zusammenzufügen. So genannte Moderationsfiguren sollen die Zuschauer – bis zu 130 pro Vorstellung – dann von Geschehen zu Geschehen geleiten.

Am Samstagnachmittag klappt das Zusammenfügen schon ganz gut, von kleineren Zwischenfällen – siehe Windstoß – einmal abgesehen.

Theater als Spaziergang

Theater
Das Theater unter der Dauseck führt das Stück „heimfinden“ insgesamt 17 mal in Korntal auf. Die Premiere ist am 21. Juni um 20 Uhr, die letzte Vorstellung am 4. August um 19 Uhr. Ein Ticket für eine Vorstellung (außer der Premiere) kostet im Normalpreis 20 Euro, ermäßigt neun Euro.

Spaziergang
Pro Vorstellung gibt es 120 Plätze. Gespielt wird etwa 90 Minuten ohne Pause. Alle Lokalitäten sind barrierefrei erreichbar, Sitzmöglichkeiten bestehen überall.