Eine Frau legt an einem Tatort in Straßburg Blumen nieder. Direkt nach dem Terror in Straßburg riegelte die Polizei die Grenze bei Kehl ab . . . Präsident Foto: AFP

Ein mutmaßlicher Islamist erschießt in Straßburg drei Menschen. Der Verdächtige Chérif C. ist nun der meistgesuchte Mann Frankreichs.

Straßburg - In Frankreich herrscht wieder „Notfall Anschlag“: Im Zuge des Antiterrorplans Vigipirate wurde die Warnstufe in der Nacht auf Mittwoch auf das höchste Niveau angehoben – wie schon beim Anschlag von 2015 im Pariser Konzerthaus Bataclan. 600 Polizisten fahnden fieberhaft nach Chérif C., einem radikalisierten Schwerkriminellen, der am Dienstag nach 20 Uhr im weihnachtlich geschmückten Straßburg drei Passanten erschossen hat. Zwölf Menschen wurden verletzt, sechs von ihnen sehr schwer.

Wie ist der Anschlag abgelaufen?

Der mutmaßliche Attentäter hatte laut Augenzeugen an drei Orten in der Altstadt von Straßburg mit einer Pistole das Feuer gezielt auf Fußgänger eröffnet. Ein Kellner erzählte, seine Kunden hätten sich im Inneren des Restaurants verschanzt und auf den Boden gelegt, während der Täter in der Gasse auf Passanten angelegt habe. Am dritten Schauplatz wurde der Angreifer von einer Militärpatrouille gestellt und offenbar verletzt. Das berichtete jedenfalls ein Taxifahrer, den der Schütze als Fluchthelfer benützte. Später verlor sich seine Spur. Die Bundespolizei kontrollierte mehrere Grenzübergänge nach Frankreich. Das Innenministerium in Paris schloss nicht aus, dass der Täter nach Deutschland geflüchtet sein könnte. Auch die bayerische Polizei fahndet intensiv nach dem Täter. „Wir haben unsere Schleierfahndungskontrollen verstärkt, vor allem in Richtung Baden-Württemberg“, sagte Innenminister Joachim Herrmann (CSU).

Welche Vorgeschichte hat Chérif C.?

Staatsanwalt Rémy Heitz erklärte am Mittwoch, gegen Chérif C. werde wegen Mordes „durch eine terroristische Unternehmung“ ermittelt, da der Täter „Allahu Akbar“ gerufen habe. Laut Pariser Medien hatte der Gesuchte im Gefängnis eine „radikale religiöse Praxis“ an den Tag gelegt. Auch steht er seit 2016 wegen islamistischer Kontakte in der sogenannten S-Kartei, deren erster Buchstabe für „sûreté“ (Staatssicherheit) steht. Der 29-jährige, im Elsass aufgewachsene Franzose mit nordafrikanischen Wurzeln hat schon mehrere Haftstrafen in Frankreich, Deutschland und der Schweiz abgesessen. Der mutmaßliche Attentäter hatte wegen schweren Diebstahls von Anfang 2016 bis Februar 2017 in Deutschland eine Haftstrafe verbüßt – zuerst in Konstanz. Nach Informationen unserer Zeitung wurde er später in die Justizvollzugsanstalt Freiburg verlegt. Im Februar 2017 wurde er nach Frankreich abgeschoben.

Schon vor dem Attentat wurde Chérif C. wegen eines versuchten Tötungsdelikts gesucht. Am Dienstagmorgen wollte ihn die Polizei deshalb an seiner Straßburger Wohnadresse festnehmen. Die Polizisten fanden in seiner Wohnung zwar Granaten und Handfeuerwaffen, nicht aber den Gesuchten. Wie der Staatssekretär im Innenministerium, Laurent Nuñez, erklärte, seien bei dieser Aktion fünf Menschen festgenommen worden, die aber nichts mit dem anschließenden Anschlag zu tun gehabt hätten.

Nach ersten Erkenntnissen handelte Chérif C. allein. Dass er nicht gleich gestellt werden konnte, veranlasste die Polizei allerdings, die Fahndung auf mögliche Komplizen auszudehnen. Der Staatssekretär für Inneres, Laurent Nuñez will nicht ausschließen, dass sich der Todesschütze über die Landesgrenze ins nahe Deutschland abgesetzt haben könnte – wo er im Laufe seiner kriminellen Laufbahn schon aktiv gewesen war. Vorwürfen, dass C. als in der S-Kartei geführter Islamist hätte des Landes verwiesen werden müssen, widersprach Nuñez, Ex-Chef des französischen Geheimdienstes DGSI: In dem Register seien nicht nur gefährliche Dschihadisten geführt, sondern auch unbescholtene Bekannte von ihnen. Diese aus Frankreich zu weisen sei nicht begründbar.

Wie geht Deutschland mit Gefährdern um?

Die Identifikation von Gefährdern ist äußerst schwierig. Im August dieses Jahres nannte das Bundesamt für Verfassungsschutz die Zahl von 2220 Personen mit Bezug nach Deutschland, die dem islamistisch-terroristischen Spektrum angehören. In Baden-Württemberg haben die Sicherheitsbehörden ihren Blick klar auf Islamisten gerichtet, die während der vergangenen Jahre in Richtung Syrien oder Irak ausgereist sind, um dort für dschihadistische Gruppierungen zu kämpfen oder diese anderweitig zu unterstützen. Rund 50 solcher ausgereister Kämpfer sind bekannt. Ein Teil sei mittlerweile wieder nach Baden-Württemberg zurückgekehrt, so das Landeskriminalamt. Und bei einigen wenigen gebe es Hinweise, dass sie an Kampfhandlungen teilgenommen oder sich in einem terroristischen Ausbildungslager aufgehalten haben. Wie viele Gefährder aktuell erkannt sind, wollen die Sicherheitsbehörden im Südwesten nicht sagen. Noch vor drei Jahren sprach das Innenministerium von zehn bis 15 bekannten Gefährdern im Südwesten. Die Zahl dürfte sich deutlich erhöht haben.

Das hat wiederum nicht nur mit den fanatisierten Kriegsrückkehrern zu tun, sondern auch mit verfeinerten Analysemethoden. Im Februar 2017 präsentierte das Bundeskriminalamt (BKA) eine neue Rastersoftware mit dem sperrigen Namen RADAR-iTE. Das Kürzel steht für „regelbasierte Analyse potenziell destruktiver Täter zur Einschätzung des akuten Risikos – islamistischer Terrorismus“. Mit welchen Personendaten genau das Analyseprogramm gefüttert wird, ist nicht öffentlich. Letztlich kommen bei solchen Untersuchungen Psychogramme heraus. Kein Zufall, dass die Arbeitsgruppe Forensische Psychologie der Universität Konstanz an der Entwicklung von „RADAR“ beteiligt war.

Wie lassen sich öffentliche Orte besser absichern?

Israel hat leidvolle Erfahrung mit Terroranschlägen und investiert sehr viel in die Prävention und in Überwachung zum Schutz seiner Bürger. „Wir kämpfen sehr darum, Terror zu stoppen, bevor er erfolgreich zuschlägt“, sagte der israelische Sicherheitsexperte Arye Sharuz Shalicar unserer Zeitung. Große Veranstaltungen wie Märkte würden auf mehreren Ebenen abgesichert. „In Israel ist es bei solchen Veranstaltungen nicht möglich, aus verschiedensten Richtungen oder Gassen auf das Gelände zu kommen, es gibt wenige Zugänge, und an diesen wird kontrolliert“, sagte der ehemalige Armeesprecher und heutige Abteilungsleiter im israelischen Nachrichtendienstministerium. „Neben offensichtlichen Patrouillen in Uniform sind zivile Sicherheitskräfte unterwegs um die Lage zu beurteilen und eventuell verdächtige Personen zu überprüfen“, so Shalicar. In Israel würden Kräfte hierzu in bestimmten Einheiten der Armee ausgebildet und dann etwa am Flughafen eingesetzt. Wichtig sei eine verdeckte Überwachung von Gefährdern. Wenn ein Täter nicht Teil einer terroristischen Zelle sei, werde es besonders schwierig, überhaupt an ihn heranzukommen und einzuschätzen, ob er einen Plan verfolgt.