Damit der Arzt eine Diagnose stellen kann, ist nicht mehr überall ein Besuch der Praxis notwendig. Manches lässt sich auch per Telemedizin erledigen. Foto: dpa

Deutsche Ärzte dürfen künftig Patienten online behandeln. In Schweden wächst die Telemedizin explosionsartig.

Stockholm - Nachdem der Deutsche Ärztetag Ferndiagnosen und – behandlungen von Medizinern ohne vorherige Visite erlaubt hat, hoffen schwedische Telemedizin-Anbieter auch in Deutschland zu expandieren. „Wir werden Ende 2018 in Baden-Württemberg mit einem Pilotprojekt starten. Dazu werden wir deutsche Ärzte nutzen“, sagt Samuel Danofsky, Sprecher des Netzdoktor-Anbieters Kry.

In den hellen, großzügig geschnittenen Räumen von Kry in Stockholm erinnert nichts mehr an eine klassische Arztpraxis. Wartezimmer gibt es genauso wenig wie Arzthelferinnen. Das Personal sitzt in Großraumbüros. Die meisten Mitarbeiter beschäftigen sich nicht mehr mit den Patienten, sondern mit technischen und administrativen Aufgaben. Die Netzdoktoren von Kry befinden sich meist nicht einmal in der schwedischen Hauptstadt. Sie sitzen zuhause, in ihrem Sommerhäuschen oder arbeiten im Ausland. Einzige Regel: Sie müssen ihre Patienten an einem diskreten, ruhigen Ort am Computer behandeln.

Patienten können per Smartphone einen Arzt auswählen

Seit Ende 2016 sind Schwedens Telemedizin-Dienste explosionsartig gewachsen. Sie dürfen wie jede normale Arztpraxis über die schwedische Einheitskrankenversicherung abrechnen. Zudem fördert der Staat in dünn besiedelten Gebieten jede Behandlung mit 100 bis 180 Euro. Kry ist so von einer Handvoll Ärzten auf heute rund 300 Mediziner und mehr als 300 000 Patientenkontakten angewachsen. 2017 expandiert der 2015 gegründete Dienst um 1600 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Patienten können über das Smartphone zwischen Allgemeinmedizinern, Internisten, HNO-, Haut- und Kinderärzten und mittlerweile auch Psychologen auswählen.

Auch für die Konkurrenz läuft es gut. Kry und seine Konkurrenten MinDoktor.se, Doktor.se und Medicoo.se wetteifern mit aufwendigen Werbekampagnen im öffentlichen Nahverkehr und in den Medien um die Gunst der Kunden. Denn der Markt ist noch längst nicht erschlossen. Trotz enormen Wachstums werden bislang nur 1,5 Prozent der Arztbesuche in Schweden digital abgewickelt. „Unsere größte Herausforderung ist es, dass es sehr viele Menschen gibt, die noch nicht wissen, dass einen Arzt über ihr Smartphone oder iPad treffen können“, erklärt Kry-Gründer Johannes Schildt.

Großzügige Öffnungszeiten der Online-Praxen

Die bisherigen Erfahrungen mit den Netzdoktoren sind durchaus positiv. Oft dauert es nur zehn Minuten von der Internetanfrage bis zum digitalen Arztbesuch über einen Chatroom oder eine Videoverbindung. Die Öffnungszeiten sind großzügig, auch an Feiertagen und spät abends ist geöffnet. „Das ist schön für Kranke, wenn sie sich nicht extra zu einer Arztpraxis schleppen müssen, und auch für Ärzte ist es angenehm von Zuhause aus arbeiten zu können“, erläutert Schildt. Viele Patienten würden gar keine umfassende körperliche Untersuchung benötigen. „So entlasten wir das Krankenversorgungssystem.“

Vor allem ländliche Regionen in Schweden hoffen durch die Netzärzte Geld sparen zu können, weil sie gerade in Urlaubszeiten keine teuren Aushilfsmediziner anheuern müssen. Zudem können Patienten Ärzte in über 20 Sprachen wählen. „Anfangs war ich skeptisch, für mich ist die persönliche Begegnung mit meinen Patienten wichtig“, sagt Johan Flodin, einer der Netzärzte von „Kry“. „Aber als ich hier angefangen habe, merkte ich, dass der Unterschied nicht groß ist. Auch über den Bildschirm kann man Patienten nahe sein“,

Kritiker bemängeln steigende Kosten für das Gesundheitswesen

Kritiker warnen allerdings, dass die Digitalangebote die Gesundheitskosten erhöhen statt senken. Die Hemmschwelle für Arztbesuche würde sinken – selbst bei geringfügigen Leiden, sagt der Arzt Ove Andersson. Zudem gebe es bei den Netzärzten Qualitätsmängel. „Es ist fraglich, ob die dem System überhaupt nützten. Hier werden Steuergelder von den kommunalen Arztpraxen abgezogen, die sich auf ernsthaft kranke Patienten konzentrieren.“

Es sei nicht wahr, dass die Arztpraxen durch digitale Dienste entlastet würden, da sie vor allem von Patienten mit äußerst geringen Beschwerden genutzt werden. kritiisert der Mediziner Jonas Sjögren. „Dafür braucht es keinen Arzt.“