Kritisiert das Steuerrecht: Volkswirtin Nicola Fuchs-Schündeln Foto: picture alliance / Kay Nietfeld

Fast die Hälfte der erwerbstätigen Frauen in Deutschland arbeitet Teilzeit. Das liegt vor allem am Steuersystem, sagt die Volkswirtin Nicola Fuchs-Schündeln. Die Rechnung bezahlen sie später.

Stuttgart - Das deutsche Steuerrecht hält viele verheiratete Frauen davon ab, mehr zu arbeiten. Das gelte nicht nur für Mütter, sondern auch für Frauen ohne Kinder, sagt die Frankfurter Wirtschaftswissenschaftlerin Nicola Fuchs-Schündeln. In den vergangenen 30 Jahren ist der Anteil der berufstätigen verheirateten Frauen in Deutschland von 50 auf über 75 Prozent gestiegen, die Zahl der durchschnittlichen Arbeitsstunden pro Frau dagegen ist um 300 Stunden pro Jahr gesunken. „Damit liegen die Frauen in Deutschland im internationalen Vergleich weit hinten.“ Im Schnitt sind sie rund 1000 Stunden pro Jahr berufstätig, das ist ein Drittel weniger als verheiratete Schwedinnen oder Amerikanerinnen.

Männer profitieren

Verantwortlich macht die Volkswirtin für diese Situation vor allem das 1958 eingeführte Ehegattensplitting. „Die gemeinsame Besteuerung hat große Auswirkungen“. Je größer die Unterschiede zwischen den beiden Einkommen sind, desto höher ist in Deutschland die Steuerersparnis. Für den Partner mit dem höheren Einkommen – in der Regel der Mann – fällt ein geringerer Steuersatz an als bei der Einzelbesteuerung. Die Partnerin hingegen bezahlt auch bei einem geringen Einkommen so hohe Steuern, als verdiente sie die Hälfte des Einkommens. „Das ist ein negativer Anreiz, sodass es sich für sie nicht lohnt, länger zu arbeiten“, sagt Fuchs-Schündeln.

Ungleiche Arbeitsteilung

Die ungleiche Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen in Familie und Beruf hat weitreichende Folgen: „Sie mindert zum einen die Karrierechancen von Frauen, weil viele Vorgesetzte noch immer davon ausgehen, dass sie bei Frauen mit Ausfallzeiten rechnen müssen.“ Nach einer Scheidung sind Mütter häufig von Armut bedroht, weil sie dann wieder weitgehend für sich selbst sorgen müssen – und nach längerer Pause teilweise schwer wieder in der Arbeitswelt Fuß fassen. Auch sind die Renten von Frauen im Durchschnitt deutlich geringer und deutlich mehr Rentnerinnen sind arm.

Um das zu ändern, sind aus Sicht der Professorin Änderungen auf verschiedenen Ebenen nötig. „Viele familienpolitischen Maßnahmen wie etwa Teilzeitarbeit oder Elternzeit werden bisher hauptsächlich von Frauen genutzt. Nötig wäre, dass die Väter stärker einbezogen werden“, sagt Fuchs-Schündeln. Zwar nehmen mittlerweile mehr als ein Drittel der Väter nach der Geburt eines Kindes Elternzeit, die meisten allerdings nur für zwei Monate. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes arbeiten 94 Prozent der Väter Vollzeit.

Fachkräftemangel

Die Steueranreize für die Teilzeitarbeit von Frauen sind aus Sicht der Ökonomin auch mit verantwortlich für den viel beklagten Fachkräftemangel. „Ohne sie kämen viel mehr Talente auf den Arbeitsmarkt“, sagt sie. Würden sie abgeschafft, stiege das Arbeitsangebot von verheirateten Frauen um 280 Stunden pro Jahr. Studien zufolge hat kein europäisches Land außer Belgien ein Steuersystem, dass so starke negative Arbeitsanreize für Frauen setzt.

Allerdings arbeiten nicht alle Frauen freiwillig Teilzeit. Nach einer Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg würden 17 Prozent der Frauen in Teilzeit gern länger arbeiten, bei den Männern sind es nur zehn Prozent. Auch sind Frauen häufiger in Minijobs tätig.