Vanessa Müller und ihr Habicht in der Fellbacher Schmerstraße. Foto: Patricia Sigerist Foto:  

Weil die Anwohner in der Schmerstraße unter einer Vogelplage leiden, denkt die Stadt Fellbach jetzt über den Einsatz gefiederter Jäger nach.

Fellbach - Taubenkacke auf Dachziegeln, Kotreste auf Gartenstühlen, gelblich-weiße Flecken auf akkurat verlegten Holzdielen: Wenn Fatmir Tahiri auf der Dachterrasse steht, schüttelt er sich vor Ekel. „Es ist eine Katastrophe“, sagt der Mann aus der Fellbacher Schmerstraße über das Kotgewitter, das mindestens einmal täglich überm Oberdorf niedergeht.

Pünktlich zur Kaffeezeit versammeln sich Scharen von Tauben auf Dachfirsten und Balkongeländern des alten Fellbacher Ortskerns. In freudiger Erregung flattern sie mit ihren Flügeln, die putzigen Knopfaugen blitzen. Verzückt gurrend nicken die Vögel mit den Köpfen, in gespannter Vorfreude scharren sie mit dem Geläuf.

Ruckedigu, ruckedigu, Futter gibt’s im Nu!

Zurück bleiben nach der Vollversammlung mit Exkrementen bedeckte Dachlandschaften, verschissene Regenrinnen und mit frischer Taubenkacke gesprenkelte Motorhauben. Der Kotregen vergällt nicht nur Fatmir Tahiri seine kleine Oase unter freiem Himmel. Die Exkrement-Attacken aus luftiger Höhe treffen auch die parkende Kundschaft von Kaminofenbauer und Speiselokal. „Das ist eine richtige Plage geworden“, klagt Gastronom Volker Aldinger über den Tauben-Hotspot im Oberdorf. Etwa zwölf Kilogramm Mist, das haben findige Forscher ausgerechnet, produziert eine Taube so übers Jahr. Die Menschen in der Schmerstraße haben das Gefühl, dass alles direkt über ihren Köpfen abregnet.

Auslöser des Problems ist die vermeintliche Tierliebe eines Anwohners. Täglich um 16 Uhr öffnet sich sein Fenster im Dachgeschoss zur Fütterung, mitunter gibt es in den Vormittagsstunden noch eine Extra-Ration. Nun haben Tauben, oft ziemlich grob als „Ratten der Lüfte“ bezeichnet, ja nicht gerade den besten Leumund. Dass die Tiere aber nicht wüssten, wo es etwas zu holen gibt, lässt sich ihnen nun wahrlich nicht vorwerfen. Die gefiederten Freunde des guten Manns flattern so zuverlässig zu Tisch wie im Rathaus die Beschwerden über ihre Hinterlassenschaften eingehen.

Ruckedigu, ich sch... Dir jetzt das Auto zu!

„Für die Leute ist das echt ein Problem“, weiß Peter Bigalk, der Chef des Ordnungsamts. Denn gefüttert werden Tauben längst nicht nur in der Schmerstraße. Auch in anderen Bereichen der Kernstadt gibt es immer wieder Klagen der Nachbarschaft. Kurz vor dem Kleinfeldfriedhof an der Thomas-Mann-Straße beispielsweise gefällt sich eine ältere Dame in der Rolle der gutherzigen Futterspenderin, auch Wohnstraßen im Stadtteil Oeffingen werden ab und an als Tauben-Problemzone genannt.

Mit dem Nahrungsangebot auf einem reich gedeckten Tisch steigt schließlich auch die Fortpflanzungsrate der Vögel an. Etwa 22 Eier brütet eine Taube jährlich aus. Wenn sich genügend Futter findet, schlüpft längst nicht nur im Frühjahr neuer Nachwuchs.

Überlegt wird im Fellbacher Rathaus deshalb schon lange, wie sich die Taubenplage unter Kontrolle halten lässt. Das Problem für Bigalk und seine Mitarbeiter ist, dass gut gemeinten Futterspenden mit dem Ordnungsrecht nicht immer beizukommen ist. Zwar werden unterm Kappelberg satte Bußgelder für den Taubenschmaus fällig. 128,50 Euro werden notorischen Futtersündern samt Bearbeitungsgebühr abverlangt, im Wiederholungsfall verdoppelt sich die Strafe. Das ist deutlich mehr Geld als Taubenfüttern in Stuttgart kostet, die Landeshauptstadt stellt gerade mal 35 Euro in Rechnung.

Doch eine Strafe nützt nur etwas, wenn sie sich auch vollstrecken lässt. Der Taubenfreund aus der Schmer-straße etwa gilt als psychisch so angeknackst, dass ein Erziehungsversuch über den Geldbeutel bei ihm nicht funktioniert. Er füttert munter weiter. Dem Vernehmen nach locken von der Fensterbank fallende Essensreste nicht nur fliegende Gäste an.

Verhütungsmittel für Tauben hat wenig Erfolg

Nun ist es nicht so, dass die Stadt nicht schon längst etwas gegen die Taubenplage täte. Auf der Wichernschule etwa ist seit langem ein Taubenturm untergebracht, regelmäßig werden frisch gelegte Eier durch Attrappen aus Beton oder Gips ersetzt. Große Hoffnung setzten Kommunen auch in die „Pille für die Taube“, ein übers Futter verabreichtes Verhütungsmittel. Doch weil die Wirkung schwankt und auffallend viele verkrüppelte Jungvögel zur Welt kommen, scheidet diese Lösung ebenso aus wie der Einsatz von Kleber, auf dem die Tiere elend verenden. Zu den Akten gelegt wurde auch die Idee einer akustischen Vergrämung durch einen Falkenruf aus dem Lautsprecher. In den Weinbergen am Kappelberg wird diese Technik schließlich auch zur Abwehr von Starenschwärmen eingesetzt.

Doch in Stadtgebieten verbietet sich der Ton ebenso wie der Griff zur Waffe. Noch ohne Bilanz ist ein unkonventionelles Projekt, das Tierschützer in Ditzingen im Kreis Ludwigsburg erdacht haben: Um auf Rathausdach und Stadtmuseum sitzende Vögel umzusiedeln, sind an Laternenmasten und Wasserrohren insgesamt elf Salatsiebe angebracht, die von den Tierfreunden regelmäßig mit Futter bestückt werden – sie sollen die Tauben von der Stadtmitte weg in die Nähe eines eigens errichteten Taubenhauses locken.

In München hatte der Einsatz eines Habichts Erfolg

Neuester Schrei im Taubenkrieg ist der Einsatz von Greifvögeln. Wanderfalke und Co. sollen die Tauben so in Angst und Schrecken versetzen, dass sie irgendwann entnervt das Weite suchen. In Fellbach hat deshalb jetzt ein Taubenschreck namens „Merlin“ einen Testangriff geflogen. Der acht Jahre alte amerikanische Habicht hört auf Vanessa Müller, Falknerin aus Weil im Schönbuch. Von ihrem linken Arm aus hebt der Jäger in der Schmerstraße ab, um aufs Futter wartende Tauben das Fürchten zu lehren.

Dass in der engen Häuserschlucht der auch unter dem Namen „Wüsten-Bussard“ bekannte Greif zum Einsatz kommt, hat einen einfachen Grund: Ein Falke schlägt seine Beute erstens nur im Flug und braucht zweitens jede Menge Platz für waghalsige Sturzflugmanöver. Ein Habicht hingegen könnte eine Taube auch mal vom Dachfirst holen. „Merlin“ ist ein Ansitzjäger und kommt im Gewirr von Dachgärten, Stromkabeln, Wäscheleinen und Balkongeländern deutlich besser zurecht. In München flog ein Wüsten-Bussard auf Taubenjagd gar durchs Einkaufszentrum Stachus-Passagen – mit Erfolg.

Vom Erlegen der Tauben kann allerdings keine Rede sein. Allenfalls aufscheuchen soll der Habicht die potenzielle Beute. „Die Tauben müssen lernen, dass hier jetzt ein Greifvogel lebt“, erklärt Vanessa Müller. Dass es da mit einem Besuch nicht getan ist, liegt auf der Hand – zumal Tauben nicht nur als intelligente, sondern auch als ausgesprochen standorttreue Tiere gelten. Wer will, dass sich der Schwarm tatsächlich ein Ausweichquartier sucht, kommt mit Einmal-Aktionen kaum weiter.

Ruckedigu, ruckedigu, lass mich in Ruh!

Ob der Habicht regelmäßig durchs Oberdorf fliegt, ist freilich auch eine Preisfrage. Mit satten 650 Euro schlägt ein Termin mit Vanessa Müller und ihren gefiederten Schützlingen zu Buche. Es gibt auch Monatspauschalen. Die Falknerin kann sich ihre Tarife leisten, der Ruf des Erfolgs eilt der 33-Jährigen voraus. Vanessa Müller hat die Taubenplage im Waldenbucher Schloss bekämpft und ungebetene Gäste aus den Parkhäusern am Stuttgarter Flughafen vertrieben.

Seither kann sich die Frau, die ihr Biologiestudium abbrach, um ihre Leidenschaft zum Beruf zu machen, die Auftraggeber aussuchen. „Wir müssen schon noch mal überlegen, ob wir das mit dem Habicht dauerhaft machen“, sagt Ordnungsamtsleiter Peter Bigalk. „Man muss sich schon klar sein, dass es allenfalls einen Verdrängungseffekt gibt. In Luft lösen sich die Tauben ja nicht auf“, sagt die Falknerin.