Das Haareschneiden soll nicht mehr zu Mindestlohnbedingungen stattfinden dürfen. Foto: dpa

Am Ende waren sich das baden-württembergische Wirtschaftsministerium, die Arbeitgeber und Verdi einig: Der Tarifvertrag im Friseurgewerbe des Landes wird für allgemeinverbindlich erklärt. Zuvor mussten jedoch rechtliche Hürden beseitigt werden, was nun für Konfliktstoff sorgt.

Stuttgart - Der Tarifausschuss des baden-württembergischen Wirtschaftsministeriums hat am Donnerstag auf Betreiben der Gewerkschaft Verdi und des Arbeitgeberverbandes hin entschieden, den Tarifvertrag des Friseurhandwerks im Land für allgemeinverbindlich erklären zu lassen. Dies sei eine gute Nachricht für viele Friseure, lobte Verdi-Landeschef Martin Gross. „Damit wird der dramatischen Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse in dieser Branche ein Riegel vorgeschoben.“

Mindestens 10,50 Euro pro Stunde

Sobald das Ministerium – rückwirkend zum 1. August 2018 – die Allgemeinverbindlichkeit verkündet hat, wird für die Beschäftigten wie schon für die Auszubildenden die tarifliche Mindestbezahlung gelten. Ausgelernte Gesellen verdienen nach einem Jahr Tätigkeit vom 1. August 2019 an mindestens 10,50 Euro pro Stunde – wenn sie alle im Salon verlangten Friseurleistungen beherrschen und Beratung nach neuesten Erkenntnissen ausführen, sind es 11,50 Euro. Dies ist freilich noch immer nicht so weit vom gesetzlichen Mindestlohn entfernt, der derzeit 9,19 Euro beträgt – ein Umstand, der zu den riesigen Nachwuchsproblemen der Branche beiträgt.

Im Tarifausschuss war schon am 6. September über eine Allgemeinverbindlichkeit verhandelt worden. Beschlossen wurde dies aber nur für den Ausbildungsvergütungs-Tarifvertrag. Ansonsten hatte die Arbeitnehmerseite noch die Mehrheit des Gremiums – das Wirtschaftsministerium inklusive – gegen sich. Der Vertreter des Handwerks sei kurz davor gewesen umzuschwenken, doch hätten die Arbeitgeber Baden-Württemberg hinter den Kulissen sein positives Votum verhindert, heißt es im Arbeitnehmerlager.

Arbeitgeber Baden-Württemberg widersprechen

Diese Darstellung sei „völlig falsch und entspricht nicht den Tatsachen“, kontert ein Sprecher der Arbeitgeber Baden-Württemberg. „Weder waren wir oder das Ministerium gegen die Allgemeinverbindlichkeitserklärung – noch war der Handwerksvertreter am ,Umfallen’“.“ Richtig sei: Die Arbeitgeber hätten „im gesamten Prozess deutlich gemacht, dass wir in dieser Branche die AVE unterstützen werden“, auch wenn sie dieses Instrument generell eher skeptisch sähen. Die Tarifvertragsparteien hätten ihren Antrag bis zu der Sitzung am 6. September jedoch nicht ausreichend sauber begründet. Nur deshalb seien sie bis zum vorigen Donnerstag in eine zweite Runde geschickt worden mit der Bitte, ergänzende Informationen zu beschaffen, um die Allgemeinverbindlichkeit rechtssicher erklären zu können.

Nach dem Tarifautonomiestärkungsgesetz muss „der Tarifvertrag in seinem Geltungsbereich für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen überwiegende Bedeutung erlangt haben“. Dies könnten, so der Sprecher der Arbeitgeber, neben der echten Tarifbindung im Zweifelsfall auch Bindungen an den Tarifvertrag durch Bezugnahmeklauseln in den Arbeitsverträgen oder Anerkennungstarifverträge sein.

Fachverband macht Weg frei mit Umfrage

Zweifelsfrei setzte sich der Fachverband Friseur und Kosmetik Baden-Württemberg intensiv für die Allgemeinverbindlichkeit ein, weil er gleichwertige Lohnbedingungen herstellen und Dumpingkonkurrenz in die Schranken weisen will. Aufgrund der rechtlichen Bedenken startete der Verband eine Umfrage mit dem Resultat, dass 51 Prozent der Beschäftigten der Branche unter Tarifvertrag stehen. Damit konnten auch das Ministerium und die Arbeitgeber Baden-Württemberg der AVE zustimmen.

Im vorigen April hatte Verdi im Friseurhandwerk Baden-Württemberg nach mehr als zehn Jahren Stillstand für die Gehälter und Ausbildungsvergütungen erhebliche Steigerungen von bis zu 37 Prozent durchgesetzt. Die Löhne stiegen zum 1. Mai 2018 zwischen 9,4 und 16,5 Prozent – zum 1. August 2019 folgen weitere Zuwächse.