Die Arbeitnehmervertreter spielen bei der Auseinandersetzung um die Jobs in der Autobranche eine bedeutende Rolle. Foto: dpa

Der Streit bei Daimler zeigt, welche sozialen Fragen der Wandel der Technologie aufwirft, meint StN-Autor Klaus Köster.

Stuttgart - Geht es nach Daimler, ist die im nächsten Jahr anstehende Tarifrunde bereits beendet, noch bevor sie begonnen hat. Schließlich fordert der Stuttgarter Konzern von seiner Belegschaft nicht weniger als den Verzicht auf die noch gar nicht vereinbarten Tariferhöhungen des kommenden Jahres. Wozu soll man überhaupt noch verhandeln, wenn das Ergebnis schon feststeht? „Wir können einfach keine Kompromisse eingehen“, sagte Personalchef Wilfried Porth mit Blick auf die Kosten des E-Autos. Schon weil viele Firmen sich an Daimler orientieren, hat er damit den Ton gesetzt.

Mehr als nur Tarifgeplänkel

Man kann darin natürlich das übliche Geplänkel im Vorfeld von Tarifverhandlungen sehen. Vieles aber spricht dafür, dass dies eine drastische Fehleinschätzung wäre. Schon um die immer akuter drohenden Abgasstrafen der EU zu vermeiden, werfen der Konzern und seine Zulieferer derzeit alles in die Waagschale, um Benzin- und Dieselautos durch möglichst viele E-Autos zu ergänzen und auch zu ersetzen. Mit allen Folgen für die Beschäftigung. „Wenn wir bei einem Dieseleinspritzsystem zehn Mitarbeiter beschäftigen, sind es bei einem Benzinsystem drei und bei einem Elektrofahrzeug nur noch einer“, sagte Bosch-Chef Volkmar Denner, der bisher eher als Mut- denn als Panikmacher aufgefallen ist.

Lohnzurückhaltung als Leimspur?

„Auf die Leimspur einer Lohnzurückhaltung lassen wir uns nicht locken“, erklärt IG-Metall-Chef Jörg Hofmann. Doch wie aussichtsreich sind solche Ansagen noch in einer Zeit, da Unternehmen den Gewerkschaften womöglich nur noch den Rücken als Angriffsfläche bieten? Schließlich zwingt China die Autoindustrie geradezu, Wertschöpfung zu verlagern, und auch die USA machen massiv Druck auf Deutschland. Verstärkt man mit kämpferischer Tarifrhetorik nicht die Abwanderungsgedanken von Firmen, bei denen sich nach langen Jahren satter Tariferhöhungen ohnehin reichlich Frust angestaut hat? Eine „Erpressbarkeit“ der Betriebe sei wahrscheinlich nicht gegeben, erklärt Südwestmetall-Chef Peer-Michael Dick. Das ist keine Feststellung, sondern eine Kampfansage an die Gewerkschaft.

Dabei haben die Gewerkschaften für den Wohlstand in den vergangenen Jahren eine wichtige Rolle gespielt. Zugeständnisse der Arbeitnehmer gegen die Zusicherung von Jobs und Investitionen – diese Vorgehensweise hat entscheidend dazu beigetragen, den Welterfolg der Unternehmen und die Beteiligung der Belegschaften daran sicherzustellen. Doch die globale Jobkonkurrenz ist hart wie nie, das Exportmodell bröckelt. Und der heute weitgehend saubere Jobmotor Diesel scheint ebenso in Vergessenheit geraten zu sein wie die job- und umweltfreundliche Brennstoffzelle, deren Treibstoff aus Wasser gewonnen wird.

Gefährliches Kalkül mit der Rente

So aufgeregt die Zeiten auch sind – die größte Ruhe herrscht zuweilen im Auge des Hurrikans. In den gealterten Belegschaften können viele damit rechnen, noch ein paar Jahre ihre Bahnen zu ziehen und dann unbeschadet das rettende Ufer zur Rente zu erreichen. Das setzt die Gewerkschaften der brandgefährlichen Versuchung aus, ihre heutige, gut abgesicherte Klientel weiter mit satten Lohnforderungen zu bedienen und im Gegenzug einen schleichenden Jobabbau durch massenhafte Verrentung in Kauf zu nehmen. In ihren Aussagen lehnt die IG Metall das perfide Kalkül mit der Rente ab, das „der nächsten Generation ihre Perspektiven nehmen“ würde, wie es Landeschef Roman Zitzelsberger ausdrückt. Doch wie die Akteure diese Perspektiven tatsächlich schaffen wollen, ist bisher kaum erkennbar. An ihrer Antwort auf diese entscheidende Frage werden sich nicht nur die Tarifparteien messen lassen müssen.

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