Eine Mitarbeiterin kontrolliert die Produktion. Die Tarifparteien der Chemie- und Pharmaindustrie haben sich auf einen Abschluss geeinigt. Foto: dpa

Die Mitarbeiter der Chemie- und Pharmabranche können sich über deutlich mehr Einkommen freuen – 3,6 Prozent mehr Gehalt und ein fast doppelt so hohes Urlaubsgeld. Doch nicht alle Wünsche der Gewerkschaft wurden erfüllt. Bei der Arbeitszeit blieb der große Durchbruch aus.

Wiesbaden - Im gewohnt einträglichen Miteinander haben sich die Tarifparteien der Chemie- und Pharmaindustrie am Donnerstagnachmittag auf einen Abschluss geeinigt. Demnach werden die Entgelte der 580 000 Beschäftigten in 1900 Betrieben um 3,6 Prozent angehoben. Der große Wurf gelang dem Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC) und der Gewerkschaft Bergbau-Chemie-Energie (IG BCE) bei den zweitägigen Verhandlungen in Wiesbaden aber nicht: Zu einem Abkommen über mehr Arbeitszeitflexibilität waren sie noch nicht in der Lage – dazu wurde lediglich eine Perspektive bis zur nächsten Tarifrunde aufgezeigt. Ein Überblick.

So viel Geld bringt der Tarifabschluss

Die Gehälter werden über eine Laufzeit von 15 Monaten um 3,6 Prozent angehoben. Die ersten beiden Monate der Laufzeit werden mit einem Pauschalbetrag von 280 Euro vergütet. Unternehmen mit Verlusten im abgelaufenen und laufenden Geschäftsjahr oder mit Nettoumsatzrenditen unter drei Prozent können die Pauschale wegfallen lassen. Das tarifliche Urlaubsgeld wird für Vollzeitbeschäftigte von 614 Euro auf 1200 Euro jährlich angehoben – für Schichtarbeiter auf 1320 Euro. Somit hätte sich die Gewerkschaft mit ihrer Forderung nach einer Verdopplung des Urlaubsgelds voll durchgesetzt. Davon profitieren vor allem die unteren Lohngruppen, das zusätzliche Lohnplus entspricht für sie bis zu 1,8 Prozent. Das Urlaubsgeld wird in der Chemieindustrie zusätzlich zur Jahresleistung, die 95 Prozent des monatlichen Tarifentgelts beträgt, gezahlt. Es sei ein Herzenswunsch der Arbeitnehmer gewesen, das Urlaubsgeld zu verdoppeln, argumentierte IG-BCE-Verhandlungsführer Ralf Sikorski. „Deshalb gab es in dieser Frage für uns keinen Verhandlungsspielraum.“ Das Gesamtvolumen der Einkommensverbesserungen liegt damit im Durchschnitt bei rund 4,6 Prozent, hat seine Gewerkschaft errechnet. Eine Vollzeitkraft in der Chemieindustrie verdient im Schnitt bereits mehr als 59 000 Euro im Jahr – dies ist ein Spitzenwert in Deutschland.

Das passiert bei der Arbeitszeit

Bei der Forderung nach einer zukunftsorientierten Weiterentwicklung von Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen kamen sich die Tarifparteien nur bedingt näher. Statt konkreter Regelungen konnten sie sich lediglich auf eine sogenannte „Roadmap Arbeit 4.0“ verständigen – also auf verbindliche Absprachen zur kommenden Tarifrunde. Entwickelt werden Instrumente, die Arbeitnehmern mehr Arbeitszeitsouveränität und variablere Zeiten ermöglichen. „Dazu gehört auch die Wahloption Zeit statt Geld“, sagte Sikorski – ein Hinweis auf Tarifmodelle, wie sie etwa in der Metallindustrie im Februar dieses Jahres oder bei der Deutschen Bahn Mitte vorigen Jahres schon vereinbart wurden.

Festgelegt wurde, dass die Umsetzung der „Roadmap“ durch Betriebsvereinbarungen erfolgen soll, wobei die Betriebsparteien aufgrund einer Personalbedarfsplanung sicherstellen, dass das erforderliche Arbeitsvolumen erreicht wird. Zudem sollen die Qualifizierungschancen im Zuge der Digitalisierung verbessert werden. Dazu wird der Unterstützungsverein der chemischen Industrie, eine Einrichtung beider Seiten, ein Förderprogramm auflegen.

So wird der Abschluss bewertet

„Wir haben für die Beschäftigten ein gutes Tarifpaket geschnürt, das ihnen eine faire Teilhabe am Erfolg ihrer Branche sichert“, sagte IG-BCE-Chef Michael Vassiliadis. „Seit Jahren brummt das Geschäft.“ Die Beschäftigten hätten einen Abschluss verdient, „der ihnen sowohl spürbar mehr Cash bietet als auch die Aussicht auf Entlastung und mehr Freiraum bei der Gestaltung ihrer Arbeitszeit“. BAVC-Chefunterhändler Georg Müller ergänzte, der Tarifabschluss sei alles andere als billig, „aber er passt zur wirtschaftlichen Lage der Branche“. Die Branche rechnet für 2018 zwar mit einem Produktionsplus von 3,5 Prozent, doch verringere sich das Wachstum. Angesichts von 15 Monaten Laufzeit und betrieblicher Differenzierung sei die dauerhafte Belastung für die Unternehmen „unter die Schmerzgrenze“ gebracht worden, so Müller. „Zugleich stellen wir sicher, dass den Betrieben bei der Arbeitszeit keine Kapazität verloren geht.“ Für das gemeinsame Ziel von mehr Flexibilität für Unternehmen und Beschäftigte „nehmen wir uns die Zeit, die wir brauchen“.