Im öffentlichen Dienst ist sozusagen in letzter Minute – noch vor dem großen Streik – die Einigung geglückt. Foto: dpa/Christoph Soeder

Bund, Kommunen und die Gewerkschaften haben sich am späten Samstagabend auf einen Tarifabschluss für 2,5 Millionen Beschäftigte des öffentlichen Dienstes mit hohen Lohnsteigerungen geeinigt. Er folgt im Wesentlichen der Schlichterempfehlung.

Der unbefristete Arbeitskampf im öffentlichen Dienst ist abgewendet: Bund, Kommunen und die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes sind sich am Samstagabend in Potsdam einig geworden. „Das ist die größte Tarifsteigerung in der Nachkriegsgeschichte des öffentlichen Dienstes“, lobte Verdi-Chef Frank Werneke. Grundlage des Kompromisses ist die Schlichterempfehlung. Die Laufzeit des Vertrags beträgt 24 Monate von Januar 2023 bis zum 31. Dezember 2024.

Mindestens acht Prozent höhere Einkommen

Das Abkommen sieht Lohnzuwächse von im Schnitt mehr als elf Prozent ab 2024 vor – zwischen acht Prozent für die oberste Gehaltsgruppe und mehr als 16 Prozent für die unterste Gruppe. Konkret werden die Tabellenentgelte zum 1. März 2024 um 200 Euro erhöht, den sogenannten Sockelbetrag – darauf folgt eine weitere Anhebung von 5,5 Prozent. Mindestens 340 Euro soll die Anhebung betragen.

2023 soll es Einmalzahlungen als steuerfreie Inflationsprämie geben – insgesamt 3000 Euro. Davon sollen 1240 Euro im Juni fließen, weitere 220 Euro von Juli bis Februar 2024. Dies wirke wie eine vorgezogene Anhebung der Gehälter in diesem Jahr, so Verdi.

Angesichts der Finanzschwäche vieler Kommunen sei das Resultat eine „echte Hausnummer“, sagte der Beamtenbund-Vorsitzende Ulrich Silberbach. Zwar hätten die Gewerkschaften vor allem bei der langen Laufzeit und dem Inflationsausgleich für Teilzeitbeschäftigte andere Vorstellungen gehabt. „Mehr war aber bei den Kommunen nicht durchzusetzen.“

Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat zugesagt, das Volumen der Tarifeinigung quasi identisch auf die Beamten des Bundes zu übertragen. „Wir sind den Gewerkschaften so weit entgegengekommen, wie wir es in schwieriger Haushaltslage noch verantworten können“, versicherte die SPD-Politikerin.

„Teuerster Tarifabschluss aller Zeiten für die Kommunen“

Karin Welge, die Verhandlungsführerin und Präsidentin der kommunalen Arbeitgebervereinigung VKA, stellte fest, dass es sich für die kommunalen Arbeitgeber mit rund 17 Milliarden Euro „um den teuersten Tarifabschluss aller Zeiten handelt“. Auf die Kommunen kämen mit der Tarifeinigung dauerhafte Kosten von rund 13 Milliarden Euro zu. „Mit der für uns so wichtigen langen Laufzeit von 24 Monaten haben wir aber unser wichtiges Ziel der Planungssicherheit erreicht“, so die Gelsenkirchener Oberbürgermeisterin. „Die Entgelte unserer Beschäftigten erhöhen sich letztlich um bis zu 17 Prozent, was wiederum die Attraktivität der Arbeitsplätze im kommunalen öffentlichen Dienst wesentlich erhöht.“ Alles in allem sei es „ein teurer, aber letztlich vertretbarer Kompromiss“.

Aufwertung speziell für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen

Den kommunalen Arbeitgebern sei es zudem gelungen, im Bereich der Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen „wesentliche Verbesserungen“ durchzusetzen, so Welge. Zuzüglich zum regulären Gehalt könne ein um bis zu zwei Stufen höheres Entgelt ganz oder teilweise gewährt werden – unabhängig von der Stufenlaufzeit der Beschäftigten.

Baden-Württembergs Verdi-Landeschef Martin Gross urteilte: „Selbst die höchsten Entgeltsteigerungen im öffentlichen Dienst seit 49 Jahren reichen nicht aus, um alle Wunden zu heilen, die die Inflation geschlagen hat.“ Dank einer beispiellosen Tarifbewegung sei es aber gelungen, ein Ergebnis zu erzwingen, das jetzt den Mitgliedern zur Beratung vorgelegt werde. Diese Befragung soll vom 4. bis 14. Mai dauern.

Beide Seiten betonen die soziale Komponente

Das Ergebnis enthalte eine sehr starke soziale Komponente, weil im ersten Jahr alle die gleichen Einmalzahlungen bekämen, von der Müllabfuhr bis zur Amtsspitze – und weil in der Tabelle unten prozentual mit gut 16 Prozent doppelt so viel draufgelegt werde wie ganz oben mit knapp acht Prozent. Der faktische Mindestbetrag von 340 Euro sei, so Gross, „die dickste Kröte, die wir schlucken mussten, weil ein echter und höherer Mindestbetrag besser und gerechter gewesen wäre“. 500 Euro hatten die Gewerkschaften zuvor als Mindesterhöhung gefordert.

Eine Erzieherin bekommt gut 400 Euro mehr im Monat

Verdi nennt konkrete Beispiele für künftige Lohnsteigerungen: etwa den Müllwerker in der Entgeltgruppe 3, Stufe 3, der ein monatliches Plus von 357,34 Euro (13,4 Prozent) erhält. Bei einem Verwaltungsangestellten in der EG 6, Stufe 5, sind es 398,79 Euro mehr (rund 12 Prozent), bei einer Erzieherin in der S8a, Stufe 6, pro Monat 429,87 Euro (10,8 Prozent) oder bei einer Pflegefachkraft in der P8, Stufe 4, monatlich 400,66 Euro oben drauf (11,6 Prozent). Die Azubivergütungen werden um 150 Euro erhöht.

Hanna Binder, Landesvize im Südwesten, kritisierte dennoch: „Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst haben einmal mehr erlebt, wie wenig sich die Arbeitgeber in der Verhandlungsspitze für die Nöte vor Ort interessieren.“ Dass es ihnen egal sei, in der Tabelle weiterhin mit dem gesetzlichen Mindestlohn zu beginnen und unter dem allgemein verbindlichen Mindestlohn in der Reinigungsbranche zu liegen und dass sie kein eigenes Interesse hätten, den Beschäftigten weiterhin Altersteilzeit zu ermöglichen, „macht mich wütend“, sagte Binder. Angesichts dieses Umstands sei das Volumen „wirklich respektabel“ und bewahre die Mitglieder vor weiteren Reallohnverlusten.