Tänzer in Kung-Fu-Kämpfen: „Der Eindringling“ Foto: Christopher Schmidt

Kampfkunst, Ballett, Hip-Hop, Slapstick und Pantomime: Helena Waldmanns neues Tanzstück „Der Eindringling“ in Ludwigshafen hat einiges zu bieten.

Ludwigshafen - In Sachen sozial und politisch engagiertes Tanztheater spielt die Tanzregisseurin Helena Waldmann seit über fünfzehn Jahren in einer eigenen Liga. Die studierte Theaterwissenschaftlerin bezeichnet sich selbst nicht als Choreografin. Sie hat im dramatischen Fach angefangen und das Genre gewechselt, fasziniert von Offenheit und Aktualität der Tanzsparte. Seitdem hat sie mit den verschiedenartigsten Körpertechniken und Tanzstilen gearbeitet, immer angepasst an ihre persönlichen, sozialen und politischen Fragestellungen. In ihrem letzten Erfolgsstück „Made in Bangladesh“ stampften zwölf Kathaktänzer den Bühnenboden im Takt der ratternden Nähmaschinen ausgebeuteter Näherinnen.

Teheran und Stuttgart

Bei der Themenauswahl für ihre Stücke hat sich Helena Waldmann weder von Widerständen noch von gesellschaftlichen Tabus aufhalten lassen. Frauen in Teheran dürfen nicht auf der Bühne tanzen? Dann werden sie eben in Einmannzelte gesteckt („Letters of Tentland“) Beschränkung auf klägliche 15 Minuten für Eric Gauthier in Stuttgart? Dann müssen eben peitschende Dominas für den gewünschten Aufmerksamkeitswert sorgen („We love Horses“).

„Letters of Tentland“ sicherte ihr den internationalen Durchbruch. Seitdem produziert Helena Waldmann unter internationaler Beobachtung und Anteilnahme, immer mit einem neuen Team für ein neues Thema. Seit einigen Jahren hat sich der Ludwigshafener Pfalzbau als verlässlicher Kooperationspartner etabliert. Für beide Seiten eine Win-Win-Situation: Das Haus ohne festes Ensemble kann der Künstlerin luxuriöse Bedingungen für die Endproben bieten und im Gegenzug Uraufführungen mit hohem überregionalem Aufmerksamkeitswert zeigen.

Möglichst schonungslos

Helena Waldmann ist immer auf der Suche nach sozialer Referenz für ihre höchst persönlichen Erfahrungen. Die reale Erfahrung einer Autopsie hat sich im Untertitel ihres neuen Stück „Der Eindringling“ niedergeschlagen.

Thematisch geht es erst einmal um die Abwehr von Fremden. Da wird nicht gefackelt, sondern ein Feuerwerk angezündet: Ihr vierköpfiges Tanzteam ist in Martial Arts ausgebildet. Eigentlich sollten es nur drei Tänzer sein. Aber weil Helena Waldmann die Kämpfe möglichst schonungslos wollte, verletzte sich einer der Mitwirkenden so, dass er auf die Zuschauerbank musste. Aber doch nicht ganz - als Sänger und lautsprachlicher Begleiter der Kampfhandlungen akzentuiert Telmo Branco das Sounddesign des Berliner Künstlers Jayrope.

Der Inhalt des knapp einstündigen Stücks besteht zum überwiegenden Teil aus Kung-Fu, mit abrupten Wechseln zu Ballett, Hip-Hop, Slapstick und Pantomime. Helena Waldmann ist sichtlich fasziniert von der Abwehrmethode, bei der man sich die Kraft des Gegners zu eigen macht, mit der Schwerkraft als Komplizin. Judith Adam hat die Protagonisten in zweiteilige, kastige Kampfsportanzüge in Beige bis Grau gesteckt: Tillmann Becker, einen Tänzer mit indonesischen Wurzeln, den Italiener Mattia Branco und den Japaner Ichiro Sugae. Mit seiner fast femininen Ausstrahlung verkörpert er nicht nur einen Fremden, sondern alles Fremde, das abgewehrt werden muss.

Besuch aus der Spielzeugkiste

Schaumstoffpolster und Pratzen dienen mal zum Schutz, mal zur Intensivierung, mal zur Behinderung der Kämpfe. Außerdem spielt ein Handventilator mit, als Scanner, Waffe oder Videoprojektionsfläche. Hier schließt sich der kühne Bogen zum Thema „Autopsie“: Die Videobilder (Anna Saup) tauchen ins Körperinnere, auch das ein gewaltsames Eindringen. Die Choreografie beendet ein anderer Eindringling, eher aus der Spielzeugkiste: eine Riesenkrake.

Kein Zweifel, das Stück beeindruckt – vor allem durch die Risikobereitschaft der Tänzer, die plötzlich ausbrechende Gewalt nicht nur vorspielen. Aber was genau Helena Waldmann mit all dem sagen will, bleibt eher dem Programmheft und ihren eigenen wortgewandten Erklärungen vorbehalten. Das Premierenpublikum in Ludwigshafen spendete reichlich Beifall und strömte in hoher Zahl zum fälligen Nachgespräch.