Eric Gauthier (li.) und Egon Madsen kosten jede Sekunde des Abends aus. Foto: Holger Reuker

Geburtstagsgala im Theaterhaus mit Uraufführung: „Egon Madsen 75 – Ein Tanzabend für eine Legende“

Stuttgart - Altersbedingt von der Bühne verschwinden? Das ist keine Option für Tausendsassa Egon Madsen, dessen 75. Wiegenfest im vergangenen August nun im Theaterhaus nachgefeiert wurde. „Egon Madsen 75 – Ein Tanzabend für eine Legende“ hieß die Sause, die am Freitag und Samstag die große Halle füllte. Alle Abteilungen waren daran beteiligt, den Tänzer, ehemaligen Ballettdirektor und gewesenen künstlerischen Leiter des NDT III (der eingesparten Seniorkompanie aus Den Haag), den Ballettmeister und Coach in den Mittelpunkt zu rücken. Der Jubilar ließ sich nicht einfach hochleben, sondern wirkte in jedem Stück mit, einmal sogar als Solist.

Fast nebenbei war zu erfahren: Eric Gauthier, der mit Itzik Galilis „The Gift“ eigentlich seine aktive Tänzerkarriere hatte beschließen wollte, denkt nicht mehr ans Aufhören. Denn Ende November kehrt Christian Spucks „Don Q.“ in überarbeiteter Version auf die Bühne zurück. Elf Jahre nach der Uraufführung am Pragsattel befördert diese augenzwinkernd-charmante Hommage an Miguel de Cervantes’ skurrile Romanfigur das nimmermüde Freundespaar Madsen und Gauthier also wieder gemeinsam ins Rampenlicht. Man braucht keine seherischen Fähigkeiten, um zu wissen: Das Gespann wird jede Sekunde vor Publikum auskosten.

Das Thema Endlichkeit

Wer 75 ist, blickt feierlich zurück und stellt vergangene Erfolge heraus. Ganz anderes bot der Tanzabend für Egon Madsen, der mit einer Uraufführung aufwartete. Sie thematisierte, was einen reifen Menschen zunehmend beschäftigt: die eigene Endlichkeit. Keiner der vier Programmpunkte schaute auf Madsens internationale Tänzerkarriere unter John Cranko zurück, auf seine weltberühmten Rollen wie Lenski („Onegin“), Joker („Jeu de Cartes“), das E („Initialen R.B.M.E.“) oder Armand Duval aus John Neumeiers „Kameliendame“. Vielmehr war jede Darbietung mit Madsens jüngstem Wirkungsort verbunden, mit dem Theaterhaus – und in Gestalt des Choreografen Mauro Bigonzetti auch mit seinem italienischem Wohnort. Quasi unter Nachbarn entstand dort „Solo7557“, eine ebenso poetische wie melancholische Auseinandersetzung mit dem Alter von Protagonist (75) und Choreograf (57).

Bittersüße Wehmut schwebte schon über Mauro Bigonzettis „Cantata“, mit roher Energie vom Gauthier-Dance-Ensemble getanzt, live von der Gruppo Musicale Assurd begleitet und um Partien für den Jubilar ergänzt. Als bedachter Solitär in einer höchst vitalen Gemeinschaft bleibt Madsen zunächst auf Distanz zum Geschehen und landet am Ende doch mit einem Tamburin bekrönt in seiner Mitte.

Tänzer bleiben Tänzer

„Egons Füße stinken“ ruft eine Streithenne der anderen zu und lacht sich mit der Rivalin krumm. Als der weiß gelockte Fremde, der über solche Scherze auch nur lachen kann, sein Haupt auf den Bauch einer Schönen presst, um das pralle Leben zu schnuppern, scheint diese zupackende Geste in Zeiten von Metoo auch mit der Frage verknüpft, was auf eine Begierde folgt, die sich nicht zügeln lässt.

„Warum tanzen wir noch?“ Diese Frage stellte Egon Madsen in seiner Produktion „Greyhounds“ für älter gewordene Tänzer. Statt einer Antwort gab er mit Julia Krämer, Marianne Kruse und Thomas Lempertz einen charmant dargebotenen Auszug aus dem 2015 erstmals gezeigten Stück. Auch wenn die vier auf virtuose Kapriolen verzichten: Leichtfüßig und im musikalischen Miteinander beweist das Quartett, dass Tänzer Tänzer bleiben, egal, wie lange ihr letzter Auftritt zurückliegt. Bevor Egon Madsen die Bühne ganz für sich hatte, machten Szenen aus „Don Q.“ Lust auf die Rückkehr des aberwitzigen Duetts. Während Eric Gauthier mit geschmeidiger Nonchalance bestach, gewann Madsen beim Grimassen-Schneiden und stoischen Teebeutel-Weitwurf.

Noch ist nicht alles gewagt

Weiße Daunen auf silberweißen Locken: „Solo7557“ beginnt mit diesem sehr einprägsamen Bild, das eine ganze Reihe von Assoziationen lostritt – angefangen beim Schwanengesang bis hin zum abgestürzten Ikarus. Während Madsen zu den anfänglich jazzigen Klängen von Pianist Keith Jarrett und Bassist Charlie Haden sein Dasein mit kantigen Armbewegungen vermisst, dabei immer wieder innehält und in sich hineinhört, wirft er sich zur Arie „Le Spèctre de la Rose“ von Janet Baker in theatralische Posen, die zwischen Komik und Tragik changieren.

Bigonzetti und Madsen stellen mit dem minimalistischen „Solo7557“ den zahllosen jugendtrunkenen Tanzstücken übers Erwachsenwerden, Sich-Verlieben und Entdecken der Welt eine existenzialistisch anmutende Selbstreflexion über die Vergänglichkeit entgegen und weisen so darauf hin, dass im Tanz noch längst nicht alles gesagt und erzählt ist.