Können Objekte wie diese Figur aus der Azteken-Ausstellung des Linden-Museums Gespräche über Zusammenleben und Menschenrechte anstoßen? Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Wie könnte ein neues Linden-Museum ausschauen? Bei einer anregenden Tagung haben die Kollegen aus Afrika die interessantesten Ansätze im Gepäck.

Stuttgart - Wenn ein Museum am Publikum vorbei arbeitet oder nur eine bestimmte Schicht erreicht, liegt das dann an der Borniertheit der Museumsleute? Am Geld? Volker Kirchberg ist überzeugt, die Bürokratie in Deutschland sei schuld. Der Professor für Kunstsoziologie in Lüneburg hat untersucht, wie visionär Museen und Theater sein können. Sein Fazit: Für Theater sei utopisches Denken essenziell. Falls man im Museen dagegen überhaupt eine Vision habe, scheitere sie an den bürokratischen Hindernissen. Um es mit den Worten von einem seiner Interviewpartner zu sagen: „Die Verwaltung bestraft nicht, sie lässt Gedanken nicht einmal zu.“

Das Linden-Museum Stuttgart versucht es trotzdem und hat sich vorgenommen, in einem angedachten Neubau ein ethnologisches Museum einzurichten, das es so noch nicht gab. Es soll auch ein Museum werden, in dem Rassismus und koloniales Denken keinen Platz mehr haben. Keine leichte Aufgabe, weshalb man nun zu einer spannenden Tagung in den Hospitalhof geladen hat, die eines in jedem Fall deutlich gemacht hat: „Die Veränderungen werden schmerzen“, wie eine Referentin formulierte. Denn nicht nur Politik und Verwaltung müssen sich bewegen, in einem Museum neuen Zuschnitts werden auch nicht mehr Wissenschaftler allein das Sagen haben. Das Personal wird nicht nur weiß sein. Und das Weltbild der Besucher könnte erschüttert werden.

In Dakar kommt ein Museumsbus zu den Menschen

Noch allerdings gibt es keine Konzepte, die man übernehmen könnte – und einige der Referenten hatten statt konstruktiver Vorschläge vor allem Kritik im Gepäck. „Drängende Fragen zum Kolonialismus prallen an den Institutionen ab“, monierte etwa Natalie Bayer, die in Berlin das Friedrichshain-Kreuzberg Museum leitet und findet, dass man den kritischen Umgang mit Kolonialismusnicht auf „schöne Projekte“ beschränken dürfe. Erschreckende Berichte auch aus London von der Kuratorin Sumaya Kassim, die von farbigen Frauen erzählte, die in Institutionen Gewalt ausgesetzt seien. „Ich rate ihnen, zu kündigen. Es kann nicht sein, dass man eine Therapie braucht, um in Institutionen arbeiten zu können.“

Doch es gab durchaus interessante Ideen: Museen müssten stärker nach draußen gehen zu jenen, die nicht kommen können, meint Mike Schattschneider, der am Linden-Museum die Museumspädagogik leitet. Tatsächlich besitzt das Museum der Schwarzen Zivilisationen in Dakar einen Museumsbus, um Objekte zu den Menschen zu bringen. Für den Direktor Aimé Kantoussan ist dabei aber entscheidend, dass es nicht um die Objekte allein geht, sondern immer darum, sie „mit der Sprache in Verbindung zu bringen.“

In Kapstadt standen am Anfang Geschichten – nicht Objekte

Wie das aussehen könnte, skizzierte Mandy Sanger vom District Six Museum in Kapstadt. Das Haus beschäftigt sich mit der Apartheid, ist dabei aber nicht von Objekten ausgegangen, sondern von einer „Kultur des Erzählens“, aus der sich dann allmählich eine Ausstellung entwickelt habe. Deshalb hält Sanger auch wenig von Digitalisierung. „Alle wollen immer, dass wir das Museum digitalisieren“, sagt sie, „aber keine Digitalisierung kann das Erzählen ersetzen.“

Mandy Sanger hat in ihrer Arbeit viel mit „Rassismus und toxischer Maskulinität“ zu tun – und zwar innerhalb der verschiedenen Opfergruppen. Genau hier will das Museum gegensteuern. Wichtig dabei sei, dass man die Communities nicht als Einheit sehe und durch eine „rassische Brille“ betrachte, so Sanger, sondern eine sozialgeschichtliche Perspektive einnehme. Anhand der Objekte könne man über das Zusammenleben oder über Menschenrechte nachdenken. Mandy Sanger geht sogar soweit zu sagen, dass solche Ansätze wichtiger seien als „über die Gewalt zu sprechen, mit der die Objekte ins Museum gekommen sind.“

Nicht aus das Trennende, sondern auf das Verbindende schauen

Ein neues Museum könnten also größere Fragen verhandeln, wie es letztlich auch das Museum in Dakar tut, das die „Existenz des Menschlichen feiert“ – also das Verbindende zwischen den Bewohnern der Erde herausstellen will, nicht das Trennende. Das war vielleicht sogar die wichtigste Botschaft dieser Konferenz, die extrem international war – nicht nur auf dem Podium, sondern auch im Publikum. Hier aus Namibia ein Vertreter der Nama und Herero, dort eine Mitarbeiterin des philippinischen Konsulats.

Aber auch die Hoffnung, dass die Bevölkerung mitdiskutiert, erfüllte sich. Ein Stuttgarter skizzierte seine Vision von einem Haus, das nicht mehr Museum heißen solle, auch Theater und Musik biete und rund um die Uhr geöffnet sei. Der Redner musste allerdings deutlich erfahren, dass hierzulande noch nicht immer miteinander, sondern gern gegeneinander gesprochen wird. Zumindest fuhr Natalie Bayer ihm sehr harsch in die Parade, weil er von Kulturen und nicht von Individuen gesprochen hatte. „Sprache“, erklärte sie machtvoll, „ist Macht.“