Der Historiker Peter Brandt hat zum Tag der Deutschen Einheit auf dem Backnanger Marktplatz gesprochen. Foto: Edgar Layher

Zum Tag der Deutschen Einheit hat der älteste Sohn Willy Brandts, der Historiker Peter Brandt, in Backnang über den Weg zur Wiedervereinigung, Patriotismus und Europa gesprochen.

Backnang - Am 20. September 1969 sprach der damalige SPD-Vorsitzende und Bundesaußenminister Willy Brandt in Backnang – kurz vor der Bundestagswahl, durch die er Kanzler wurde. Doch nicht nur aufgrund dieser „Familientradition“ sei Peter Brandt, der älteste Sohn des ehemaligen Bundeskanzlers, als Festredner zum Tag der Deutschen Einheit bestens geeignet, sagte Oberbürgermeister Frank Nopper in seiner Begrüßung zur Feierstunde am Donnerstagvormittag. Vielmehr beschäftige sich der emeritierte Professor für Neuere Deutsche und Europäische Geschichte unter anderem mit der Deutschen Frage.

Die Rolle Russlands

Tatsächlich, so Peter Brandt in seiner Rede vor rund 300 Menschen auf dem Backnanger Marktplatz, habe er „als alter Berliner“ die Teilung seiner Heimatstadt und des Landes durch die Mauer als Jugendlicher und Erwachsener direkt miterlebt, daher „war es für mich ein großes Glück, dieses monströse Bauwerk, Symbol des Kalten Krieges und des Kalten Bürgerkrieges in Deutschland, fallen zu sehen, und zwar nicht in Schutt und Asche“. Der Historiker skizzierte die außen- und innenpolitischen sowie die gesellschaftlichen Entwicklungen, die zur Wiedervereinigung geführt hatten. Er verwies in diesem Zusammenhang auch auf die Rolle Russlands und Michail Gorbatschows und mahnte in Bezug auf die Gegenwart an, es sei ein Gebot der Glaubwürdigkeit, „wenn man die Aktionen der Großmächte unserer Zeit, etwa in Hinblick auf Verletzungen des Völkerrechts, nicht mit zweierlei Maß misst.“ So sollten „wir Deutschen jedenfalls nicht vergessen, was wir der russischen Führung von 1989/90 und namentlich Michail Gorbatschow verdanken“, sagte Brandt.

Unterschiede zwischen Ost und West

Die Einheit des einstmals geteilten Landes werde heutzutage von 95 Prozent der Deutschen bejaht – „zugleich fühlt sich die Mehrzahl der Ostdeutschen bis heute nicht als gleichrangige deutsche Staatsbürger“, gab der Historiker zu bedenken. Das sei kein Hirngespinst, betrachte man etwa die faktischen Unterschiede bei den Vermögen oder der Besetzung von Führungspositionen. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Einigungsprozess sei keine „Miesmacherei“.

„Patriotismus bedeutet die Wertschätzung des eigenen Landes und Volkes, nicht die Hinnahme der gesellschaftlichen Zustände, wie sie sind, oder gar deren Verherrlichung“, betonte Peter Brandt. Auch Oberbürgermeister Frank Nopper hatte zuvor gemahnt, man dürfe den Patriotismus nicht nur einer politischen Richtung überlassen: „Patriotismus unterscheidet sich nämlich fundamental vom Nationalismus. Er ist völkerverbindend und grenzt nie aus.“ Vielmehr beziehe er alle ein, die sich unabhängig von ihrer Herkunft zum Land bekennen.

Deutsche, Europäer, Weltbürger

Historiker Brandt sagte, es sei gut, dass Deutschland heute Teil der Europäischen Union ist. Denn für sich allein könnten die Nationalstaaten das europäische Zivilisationsmodell, zu dem auch die Sozialstaatlichkeit gehöre, nicht verteidigen und weiterentwickeln. Auch die existenziellen globalen Aufgaben könne kein Staat alleine lösen. „Ohne krampfhaft nach einer Balance zu suchen, können wir sehr bewusst Deutsche, Europäer und Weltbürger gleichzeitig sein“, resümierte Brandt.

Nach seiner Rede auf den Zustand des Landes angesprochen, beschrieb er die gestiegene Polarisierung der Gesellschaft als problematisch. Nicht nur das politische, auch das zunehmende soziale Auseinanderdriften – insbesondere die Ungleichverteilung von Vermögen – sei ein Problem für die Demokratie, so Brandt.