Geschätzt etwa 200 Demonstranten ziehen zum Marktplatz, wo sie von weiteren Gewerkschaftern empfangen werden. Foto: Martin Stollberg

Rund 200 Gewerkschafter ziehen bei der 1.-Mai-Demo durch Waiblingen. Bei Volksfeststimmung während der Kundgebung fordert der ehemalige IG-Metall Vorstand Horst Schmitthenner eine Umverteilung des Reichtums.

Waiblingen - Was für ein Tag der Arbeit! Anders als so oft am 1. Mai lacht diesmal die Sonne über Waiblingen. Und mit dem Himmelskörper strahlen geschätzt 200 junge und ältere Demonstranten um die Wette. Es ist halb elf, gleich wird vor dem Werk 6 der Firma Stihl ein lautstarker Demonstrationszug starten. Ziel ist der Marktplatz, wo der ehemalige IG-Metall Vorstand Horst Schmitthenner eine engagierte Rede halten wird. Zunächst indes ruft ein jungen Mann vor dem Stihl-Werk ins Mikrofon: „Verkürzung der Arbeitszeiten. Mehr Lohn. Kampf gegen das Ausbeutungssystem.“ Diese Forderungen hätten Gewerkschafter schon am 1. Mai anno 1890 aufgestellt, sie seien heute noch so aktuell wie vor fast 130 Jahren.

Er geißelt „Lohndrückereien“ und sagt, der Niedriglohnsektor sei „extrem gestiegen“. Die Gewerkschafter, die für die Demo am Tag der Arbeit gekommen sind, tragen Transparente, auf einem steht „Klassenkampf“ auf den weiteren „Rebellion ist Gerechtigkeit“, „Kapitalismus hat ausgedient“.

„Hoch mit den Löhnen, runter mit der Miete

10.40 Uhr, Abmarsch in Richtung Innenstadt. Die Menge ruft: „hoch die Internationale, Solidarität“. Der Demonstrationszug wird von Polizeifahrzeugen eskortiert und von einigen Zaungästen am Straßenrand beobachtet. Einige spenden Beifall, andere schütteln mit dem Kopf. Und manche fragen sich: am 1. Mai auf die Straße gehen – ist das noch zeitgemäß oder gerade jetzt notwendiger denn je?

Aus großen Boxen schallt ohrenbetäubend laute Musik, unter anderem vom AC/DC und Bob Marley. Die Menge ruft jetzt „hoch mit den Löhnen, runter mit der Miete“. Ein Mann mit einer Binde am Arm, auf der „Ordner" steht, ruft ein paar Zuschauern in der Bahnhofstraße zu: „Kommt mit oder schafft Ihr nix?“ Aber die Männer bleiben stehen, schweigen.

Schmitthenner war Vorstandsmitglied IG Metall

Ankunft auf dem Marktplatz, wo Plakate von SPD, MLPD, KPD und Linken hängen und längst Volksfeststimmung herrscht. Es gibt Rote von Grill, Bier, Apfelsaftschorle und ein paar Reden. Die engagierteste Rede hält die Gewerkschafterlegende Horst Schmitthenner. Er war von 1989 bis 2003 Vorstandsmitglied der Industriegewerkschaft Metall und sagt, in Deutschland sei längst nicht „alles in Butter“. In den vergangenen Jahren sei die Kaufkraft der unteren 40 Prozent der Bevölkerung gesunken. Ein Zehntel der Gesellschaft besitze die Hälfte des Netto-Geldvermögens im Land, während die untere Hälfte „so gut wie leer ausgeht“. Diese Reichtumsverteilung schreie nach einer Umverteilung. Applaus, Applaus.

Arbeit, sagt Schmitthenner, sei mal „die Quelle von Wohlstand für viele“ gewesen, „heute ist Arbeit Quelle von Armut für immer mehr Menschen“. Das Renteneintrittsalter müsse verändert werden, „aber nicht nach oben sondern nach unten“. Die Gewerkschaften kämpften gegen Lohndumping und für Europa. „Europa. Jetzt aber richtig“ – so lautet das Motto der 1.-Mai-Veranstaltungen bundesweit.

„Machtvolle Demonstration“am 29. Juni in Berlin

Der DGB kämpfe für ein Europa, „das nein sagt zu Populismus, Rassismus und Demokratieverachtung“. Schmitthenner fordert die Menschen auf dem Marktplatz auf, am 29. Juni zu einer „machtvollen Demonstration“ nach Berlin zu kommen. Kommt, sagt er, auch wenn der Weg von Waiblingen bis in die Hauptstadt weit ist.