Gegenüber vom Einkaufszentrum auf dem Killesberg sind die Arbeiten im Verzug – von Mai an sollen dort 294 Flüchtlinge in Containern unterkommen. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Diskutieren Sie mit - Wer bisher die wachsende Flüchtlingszahl in Stuttgart nicht bemerkt hat, dürfte es bald tun. Überall entstehen jetzt Systembauten und Containerdörfer. Bis Jahresende sollen rund 20 große Unterkünfte fertig werden. Die Stadt steht dabei massiv unter Druck.

Stuttgart - Killesberg, Degerloch, Untertürkheim, Möhringen – eine Baustelle reiht sich an die andere. Was bisher eher in der Theorie diskutiert worden ist, wird jetzt greifbar. Im Laufe dieses Jahres wird die Stadt rund 20 große Flüchtlingsunterkünfte eröffnen. 4200 Menschen sollen dort unterkommen. Dabei sind die teilweise noch umstrittenen Standorte der sogenannten Tranche 6 noch gar nicht eingerechnet.

Der Zugang

In Stuttgart leben derzeit 8510 Flüchtlinge. Im Januar und Februar hat das Land der Stadt jeweils etwa 900 neue Asylbewerber zugewiesen. „Im März erwarten wir derzeit 620 Menschen“, sagt Stadtsprecher Sven Matis. Weil die Verwaltung in diesem Jahr mit durchschnittlich 600 Neuzugängen pro Monat rechnet, müssten die Zahlen weiter sinken, um die angesetzten Werte nicht zu überschreiten. Doch die Entwicklung kann niemand vorhersagen. In den vergangenen Tagen lag der Zugang nach Baden-Württemberg mit täglich 80 bis 200 Flüchtlingen recht niedrig – das kann sich aber je nach Situation auf der Balkanroute schlagartig ändern. Und nicht nur die Neuankömmlinge setzen die Stadt unter Druck: In den nächsten Wochen und Monaten fallen diverse Unterkünfte weg, die als Notquartiere nur vorübergehend genutzt werden können. Dazu gehören Waldheime, Schulen, das Bürgerhospital, ein großes Haus in Botnang und zwei ehemalige Bürogebäude. Die Verwaltung muss also nicht nur für Neuzugänge Platz schaffen, sondern zusätzlich für etwa 2300 Menschen, die bereits jetzt hier leben.

Die Container

Um die Anforderungen zu bewältigen, werden erstmals in der aktuellen Flüchtlingskrise Containerdörfer aufgebaut. Neben dem Gazistadion auf der Waldau, auf dem ehemaligen Parkplatz Rote Wand auf dem Killesberg und neben dem Geschwister-Scholl-Gymnasium in Heumaden laufen die Arbeiten. Zwischen 700 und 800 Menschen sollen dort unterkommen. Die Container stellen nur eine Übergangslösung dar und sollen nach spätestens eineinhalb Jahren wieder verschwinden. Das Dorf in Degerloch soll Ende des Monats fertig sein. Die Projekte auf dem Killesberg, wo 200 Container in fünf Reihen aufgestellt werden, und in Heumaden seien aber in Verzug, sagt Matis: „Wir stehen in Kontakt mit dem Vertragspartner und haben ihm die Dringlichkeit deutlich gemacht.“ Einzugstermin könnte an diesen beiden Standorten im Mai sein.

Die Systembauten

Schlag auf Schlag geht es bei den Systembauten weiter. Die Standorte umfassen zwischen 156 und 321 Plätze. Vor wenigen Tagen ist die Unterkunft Solitudestraße in Weilimdorf in Betrieb gegangen. Als nächste folgt die im Sturmvogelweg in Neugereut noch in diesem Monat, im April dann die in der Furtwänglerstraße in Botnang. Damit sind zumindest die Tranchen 2 und 3 komplett abgearbeitet. Zudem ist in der vergangenen Woche der Bau 10 im Bürgerhospital belegt worden.

Die Kosten

Für die Systembauten und Container der Tranchen 1 bis 6 sind bisher Kosten in Höhe von 156 Millionen Euro entstanden oder geplant. Dazu kommen die Anmietungen von Gebäuden, die Betreuung der Flüchtlinge und ihre Versorgung. Was und wie viel davon das Land übernimmt, steht noch nicht fest. Es bezahlt eine Pauschale pro Flüchtling und hat zugesagt, im Zuge einer nachträglichen Spitzabrechnung auch Kosten zu übernehmen, die über diese Pauschale hinausgehen. Wie das im Detail aussieht, lässt sich derzeit aber noch nicht sagen.

Die Turnhallen

Seit Herbst sind fünf Stuttgarter Turnhallen zu Notquartieren umfunktioniert – und daran wird sich vorläufig auch nichts ändern. „Aktuell ist nicht geplant, weitere Hallen zu belegen“, sagt Stadtsprecher Matis. Allerdings könne man auch nicht daran denken, eine der fünf derzeit genutzten wieder frei zu machen. Dazu ist der Druck zu groß.

Die Christen als Sonderfall

Die Assyrische Gemeinde in Stuttgart hat gefordert, christliche Flüchtlinge in der neuen Unterkunft in Neugereut unterzubringen. Grund dafür ist, dass manche sich von muslimischen Mitbewohnern diskriminiert fühlen. Die Stadt hat daraufhin angeboten, 30 Plätze in Neugereut für Christen freizuhalten. „Beim Sozialamt hat sich bisher niemand gemeldet, der unbedingt dorthin wollte“, sagt Matis. Ein Sprecher der Assyrer dagegen bemängelt, dass nicht allein die Gemeinde die Kontakte herstellen könne, weil die Flüchtlinge viel zu verstreut seien. Um dieses Problem müssten sich die Leiter der Unterkünfte kümmern. Laut einer Erhebung der Stadt waren von den Flüchtlingen, die zwischen August und Januar nach Stuttgart gekommen sind, 8,4 Prozent Christen.

Die Kritik

Die Einwände gegen so manche Unterkunft reißen nicht ab. Auf dem Killesberg gibt es die Sorge, der Wohnungsneubau könnte sich verschieben. Die Stadt verneint dies und beteuert, es bleibe bei einer Nutzung für eineinhalb Jahre. Das Wohnbauvorhaben beginne „im Laufe des nächsten Jahres“. Die Unterkunft in Untertürkheim wiederum liegt im Landschaftsschutzgebiet – eine Nutzung ist laut Stadt dennoch möglich.