Schon bei der Einweihung war das Interesse an Hawk groß Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Am Höchstleistungsrechenzentrum am Unicampus steht einer der schnellsten Rechner der Welt. Seine Fähigkeiten könnten jetzt sogar in der Pandemie weiterhelfen.

Vaihingen - Der Anruf kommt an einem Freitagabend im März. Wer genau am anderen Ende der Leitung um die Hilfe seines Instituts am Unicampus Vaihingen bittet, möchte Michael Resch auch Wochen nach dem Telefonat nicht verraten. Nur so viel: Eine „politiknahe Organisation“ sei es gewesen – seitdem ist das Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart (HLRS) jedenfalls ganz vorne mit dabei im Kampf gegen Sars-CoV-19.

Mit was das Rechenzentrum in der Pandemie punkten kann? Die Antwort auf diese Frage verbirgt sich hinter einer schweren Stahltür, hermetisch abgeriegelt durch zwei Sicherheitsschleusen. Erst wer die letzte Hürde genommen hat, kann dem Wummern auf den Grund gehen, das schon von Weitem ans Ohr dringt. Meterlange Schränke füllen den Raum, Luftgebläse dröhnen, an jeder Ecke blinkt und leuchtet es. So sieht er also aus, der Raum mit dem leistungsstärksten Rechner Europas, der Wissenschaftlern wichtige Antworten auf die Corona-Pandemie liefern soll – eine Aufgabe, die wie gemacht zu sein scheint für Hawk, den Neuzugang unter den Supercomputern.

Der Hauptspeicher fasst 250 000-mal so viel wie ein handelsüblicher PC

Erst Anfang Februar ist das Schmuckstück für 38 Millionen Euro an den Neckar geliefert worden, um dort die Nachfolge in einer langen Linie von Supercomputern anzutreten. „Ab dem Moment, wo sie hier stehen, altern die Anlagen. Alle paar Jahre braucht es daher eine Neuinvestition“, so Resch. Nur so könne die wissenschaftliche Arbeit weitergehen und in Notsituationen wie einer Pandemie geholfen werden. Gut gewappnet war das HLRS für das Corona-Projekt allemal, schließlich kennt sich das Team um Institutsleiter Michael Resch mit großen Datenmengen aus: 1,4 Petabyte, etwa 250 000-mal so viel wie ein handelsüblicher Computer, kann allein schon der Hauptspeicher Hawks fassen. Doch auf den allein kommt es nicht an: „Von großer Bedeutung ist auch die Rechenleistung eines Supercomputers, also wie schnell die gespeicherten Daten verarbeitet werden“, sagt Michael Resch. Auch in dieser Kategorie kann Hawk mit Rekordzahlen protzen: 26 Petaflops stecken hinter dem unscheinbaren Sichtschutz, die gleiche Leistung ließe sich erst mit den Prozessoren von 20 000 PCs erreichen.

Die volle Kapazität wird am HLRS aber nicht erreicht – dafür sind die Hauptspeicher dann doch zu leistungsschwach. „Man kann sich das vorstellen wie das Verhältnis zwischen Hilfsarbeiter und Maurer“, erklärt Michael Resch das Problem vieler Supercomputer. „Ohne den Hilfsarbeiter, der Material heranschafft, kann der Maurer nicht arbeiten. Wenn der Speicher also nicht schnell genug Datenmaterial nachliefert, läuft die Rechenleistung ins Leere.“

Die Berechnung von Pandemien zählt schon länger zu den Forschungsthemen

Eigentlich müssen die Daten nur wenige Zentimeter weit flitzen, um vom Speicher in den Prozessor zu gelangen – allein diese Verzögerung könne in der Informatik aber Welten ausmachen, sagt Resch. „Für Hawk hoffen wir, 30 Prozent seines Potenzials ausschöpfen zu können.“ Bei voller Auslastung wohlgemerkt: Freie Speicherplätze sind der Millioneninvestition von Bund und Land nicht vergönnt, bis zu 800 User sollen auf die Fähigkeiten des Supercomputers zurückgreifen können. „Unser Schwerpunkt liegt dabei auf Ingenieurwissenschaften und Global Systems Science“, sagt Resch. Schon seit Längerem zählt am HLRS auch die Berechnung von Pandemien zu den Forschungsthemen, doch erst in der Krise gewann das Randgebiet an Bedeutung. Was genau in Vaihingen im Auftrag der „politiknahen Organisation“ passiert, darf Michael Resch nicht verraten. Einen Einblick in die Arbeit seines Instituts kann der promovierte Maschinenbauer dann aber doch gewähren: Für den besonderen Corona-Kunden habe man die Möglichkeit geschaffen, den Pandemieverlauf in verschiedenen Spielvarianten rechnerisch zu simulieren. Ein handelsüblicher Computer würde angesichts der Flut an Variablen vermutlich zusammenbrechen, für Hawk hingegen ist es eine Frage von wenigen Minuten, ehe ein Ergebnis vorliegt.

Kam es in europäischen Rechenzentren zu Hackerangriffen?

Und noch einen entscheidenden Vorteil birgt der Stuttgarter Brutkasten für Hochleistungsrechner. „Schlussfolgerungen aus den reinen Zahlenkolonnen zu schließen, ist sehr umständlich. Deswegen können wir bei uns Datenmengen auch direkt vor Ort visualisieren“, sagt Michael Resch. Einen kleinen Einblick in diese Kunst erhält, wer den Rechnerraum wieder verlässt und zurück ins Eingangsgebäude läuft. Diesmal ist es keine Stahltür mit Sicherheitsschleusen, die den Weg versperrt – spektakulär ist das kleine Studio trotzdem. Eine eigene 3D-Box und jede Menge Computer helfen, die von Hawk ausgespuckten Zahlen ins rechte Licht zu rücken. Wie genau es aussieht, wenn das HLRS Corona-Infektionen auf die Leinwand bannt, ist dann aber wieder Geheimsache.

Ähnlich verschwiegen ist Michael Resch bei einer Angelegenheit, die erst im Laufe der vergangenen Woche Schlagzeilen gemacht hatte. Dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ zufolge war es zuletzt bei mehreren europäischen Rechenzentren zu Unstimmigkeiten gekommen, ein Hackerangriff wird nicht ausgeschlossen. Um Schlimmeres zu verhindern, hatten mehrere Institute entschieden, ihre Systeme vom weltweiten Netz zu nehmen. Auch am Campus Vaihingen müsse ein System deshalb auf seinen Einstand warten, erklärt Michael Resch: „Das Landeskriminalamt ermittelt.“ International konnte ein Angriff mit Verbindung zur Corona-Pandemie bislang nicht ausgeschlossen werden – ob das auch auf Stuttgart zutrifft, durfte Michael Resch unserer Zeitung nicht verraten.