Mit neuem Album zurück: Sufjan Stevens Foto: Denny Renshaw

Sufjan Stevens ist ein Indiepopgenie. Und während man sich über sein neues, unfassbar schönes Album „Carrie & Lowell“ freut, hofft man insgesamt, dass er bald wieder ein paar US-Bundesstaaten vertont.

Stuttgart - Sufjan Stevens wäre nicht Sufjan Stevens, wenn er täte, was man von ihm erwartet. Nach dem herrlich überkandidelten „The Age Of Adz“ (2010), auf dem er die Widersprüchlichkeit der Welt in schrill-schrulligen ADHS-Songs vertonte, gibt er sich auf „Carrie & Lowell“ zart, empfindlich und hoch konzentriert.

Carrie und Lowell – das sind Sufjan Stevens’ Mutter und Stiefvater. 2012 starb Stevens’ Mutter, zu der er kaum Kontakt hatte. Nun erinnert er sich an sie und an seine eigene Kindheit. Er denkt sich anhand von Momentaufnahmen eine Indie-Folk-Erzählung aus, die zwar nie den sanft-sentimentalen Tonfall wechselt, trotzdem aber Klang- und Bildwelten auftut, voller verblüffenden Ideen und wunderschönen Melodien ist. Ein seltsamer Zauber wohnt Liedern wie „Should Have Known Better“, „Death With Dignity“ oder „Fourth Of July“ inne, in denen Sufjan Stevens sich in Simon & Garfunkel verwandelt.

Auch wenn in den Songs von Sufjan Stevens stets gleich mehrere großartige Popmelodien schlummern, taugt einer, der in der Vergangenheit sein Repertoire mit lauter erzählerischen Verrenkungen, abstrusen Ideen, irren Exkursen inszenierte, nicht zum Superstar. Wohl aber zum Liebling der Kritiker, die Stevens mal als Spinner, mal als Eklektiker, mal als Genie bezeichnen, alle aber von den Popfantasien dieses Mannes schwärmen, dem kein Ausdrucksmittel fremd ist, der vom Lofi-Folk über den barocken Pop bis zum Alternative-Rock so ziemlich alle musikalischen Spielarten beherrscht, der in seine Songs Banjos und Oboen, Vibrafone und Hörner einbaut. Oder wie auf „Carrie & Lowell“ sich auch einmal ganz zurücknehmen, ein introvertiertes Meisterwerk, ein intimes Familienalbum erschaffen kann.

Damit verblüfft einen der Mann, dem ein Hang zum Größenwahn durchaus nachgesagt werden kann, dann doch. Einst kündigte er an, alle US-amerikanischen Bundesstaaten mit eigenen Alben beschreiben zu wollen. Zwar sind bisher nur die Platten „Michigan“ (2003) und „Illinois“ (2005) erschienen, und Stevens hat längst gestanden, dass es sich bei dem 50-Staaten-Projekt möglicherweise doch um einen Marketinggag gehandelt haben könnte. „Illinois“ erwies sich trotzdem mit seinen vielstimmigen Stadtporträts als eine der eindrücklichsten Platten des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts.

Sufjan Stevens, der aus Detroit stammt und inzwischen in Brooklyn lebt, hat aber nicht nur Bundesstaaten vertont, sondern sich auch schon warmherzig über Weihnachten ausgelassen, in einem elektronisch aufgeladenen Liederzyklus die chinesischen Tierkreiszeichen besungen und filmisch die Schnellstraße zwischen Brooklyn und Queens erkundet.

Auch wenn Sufjan Stevens sich auf „Carrie & Lowell“ weniger spleenig gibt, so ist das Album doch wieder ein Gesamtkunstwerk, das einmal mehr von Glaube, Liebe und Hoffnung erzählt. Und ein bisschen setzt er hier doch sein Bundesstaaten-Projekt fort, indem er von den Reisen erzählt, die er mit seiner Mutter Carrie und seinem Stiefvater Lowell unternahm, und dabei immerhin die Staaten Oregon, Oklahoma, Wisconsin und New York abdeckt.