Foto: Okapia

Von der Gletscherlandung bis zum Lachsfang: Eine Sommerreise durch den Süden Alaskas bietet ein nicht enden wollendes Naturspektakel.

Unser Kapitän warnt uns, Gott sei Dank. "Vorsicht, gleich rattert’s ein bisschen", sagt er über die Bordkopfhörer und drückt auf den roten Knopf im Cockpit. Rumms. Die kleine Cessna mit den vier Passagieren drin wackelt in der Luft, während sie sich den Weg zwischen den schneebedeckten Gipfeln bahnt. "So, jetzt sind die Skier ausgefahren – fertig machen zur Landung", sagt der braun gebrannte Sonnyboy vorne links und zeigt nach einer scharfen Linkskurve die Landebahn. Sie ist aus Schnee und liegt zwischen zwei kleineren Gipfeln, mitten in der nicht enden wollenden Bergwelt rund um den 6194 Meter hohen Mount McKinley im Süden Alaskas. Dann setzen wir auf. Ganz sanft, die Turbulenzen in der Luft waren heftiger. Auf der breiten Bahn kommen wir schnell zum Stillstand. Geschafft.

Wir öffnen die Tür, steigen aus. Schon der erste Atemzug ist ein Genuss. Nichts als klare, frische Luft. Wir atmen tief ein und schließen die Augen dabei, immer wieder.

Stille. Jeder Schritt mit unseren Moonboots ist einer zu viel, weil das Knarzen im harten Schnee so unverschämt laut ist. Hier oben darf man einfach keinen Krach machen. Wir bleiben stehen. Für die Ruhe, nach der die Sinne schon nach ein paar Minuten süchtig sind.

Unser Kapitän kommt zu uns und setzt ein breites Grinsen auf. Mehrmals täglich fliege er die Touristen hinauf, sagt er, und jedes Mal genieße er es aufs Neue. Ein Traumjob. "Der Süden Alaskas hat aber noch viel mehr zu bieten", meint er noch und bittet uns, wieder einzusteigen.

Ein letzter, tiefer Atemzug. Die Tür geht zu, wir setzen die Kopfhörer auf und fliegen wieder durch die Berge. Über grüne Wälder geht es zurück zum kleinen Flughafen. Schmale Bäche glitzern wie gefrorene Blitze, Wasserfontänen spritzen aus dem Boden wie Ölquellen. So weit der Blick reicht, nichts als Natur. Hinter uns Berge, vor uns Wälder, Seen und Flüsse. Alaska ist flächenmäßig fast fünfmal so groß wie Deutschland, hat aber nur 680 000 Einwohner. Es gibt drei Millionen Seen und 3000 Flüsse. In der Luft fühlt man diese Dimensionen, wird neugierig auf das, was da unten, auf der Reise durch die Natur, noch alles kommen wird. Grenzenlose Freiheit. Atemberaubend. Bei diesen Bildern ist es nicht zu fassen, was sich die Natur 1964 mit dem stärksten Erdbeben in der Geschichte Nordamerikas erlaubt hat. 9,2 war der Wert auf der Richterskala. Es gab 131 Tote. Noch heute ragen rund um Anchorage und Talkeetna skelettartige Bäume aus den Sumpfwiesen. "Das sind die Nachwirkungen", sagt der Kapitän und fliegt die nächste Kurve.

Hin und wieder wackelt die kleine Cessna ganz gewaltig, für empfindliche Mägen ist der kurvige Flug über Flüsse und an Berggipfeln vorbei sicher nichts. Mit weichen Knien und starkem Unwohlsein geht es am kleinen Flughafen in Talkeetna aus der Cessna raus. Meine Gesichtsfarbe kommt nach der Landung nah an das Schneeweiß in den Bergen heran. Ich wanke zur Flughafenbank, lege mich für ein paar Minuten drauf und ernte mitleidige Blicke einer südkoreanischen Touristin mit Stöckelschuhen. Angst zeichnet ihr Gesicht, die feine Dame fragt mich, ob sie wirklich in die kleine Cessna einsteigen solle. "Ja, es lohnt sich", sage ich. "Wirklich?" – "Ja!" Sie stöckelt in Richtung Flieger, wo der Sonnyboy bereits auf sie wartet. "Keine Angst, schöne Frau", sagt er. Ich drehe mich auf die andere Seite und muss kurz lachen. Es lohnt sich wirklich, sage ich mir und verfluche meinen Magen.

Weite Welt

Vorbei mit der Ruhe ist es dann an einem der zahllosen Angelplätze an den Flüssen. Mit dem Motorboot rasen wir über das klare Gewässer, auf ein paar Baumkronen thronen Adler und beäugen uns kritisch. Wir haben die Moonboots gegen schwarze Gummistiefel getauscht, die bis über die Knie gehen. An der Angelstelle am Flussrand riecht es nach frischem Fisch und Mückenspray gegen die im Sommer extrem plagenden Moskitos. Das Blut der gefangenen Lachse auf den Steinen am Ufer, es ebnet den Weg zu unserem Angelplatz. "Willkommen", sagt ein älterer Alasker mit Cowboyhut, der ein paar seiner tiefen Stirnfalten verdeckt. "Schauen wir mal, was ihr so drauf habt." Nicht so viel wie er und seine erfahrenen 20Mitstreiter an unserem Ufer, das scheint klar. Während wir noch damit beschäftigt sind, uns nicht selbst mit dem Haken zu fangen, rennen die Naturburschen in den hohen Gummistiefeln immer wieder über die glitschigen Steine, kurbeln an der Rute, helfen sich gegenseitig beim Einfangen. Einer kurbelt an der Angel, der andere hält das Netz am Ufer bereit. "Es hat einer angebissen", brüllen sie im 20-Minuten- Takt.

Es herrscht Volksfeststimmung, jeder Fang wird gefeiert, das Bier aus den Picknickkörben fließt in Strömen. "Wir sind nicht so arbeitswütig wie die meisten unserer Landsleute in den USA", sagt der Einheimische. "Wir achten mehr auf die Freizeit – schauen Sie sich um, schauen Sie auf das klare, rauschende Wasser, dann wissen Sie, warum." Ich schaue drauf und verzweifle. Mein Angelhaken will einfach nicht an den Fisch. Dabei wäre das so schön. Die silbrig glänzenden Lachse, die schon am Ufer liegen, es sind wahre Prachtexemplare. 20 Kilogramm aufwärts, saftig. Das Rekordgewicht liegt bei 44 Kilogramm, gefangen vor 25 Jahren. "Wenn einer angebissen hat, liegt deine Chance, dass du ihn rausziehst bei 50Prozent", sagt mir der Mann mit Cowboyhut. Und: "Im Schnitt dauert es hier bei jedem eine halbe Stunde, bis das erste Mal einer anbeißt, der Fluss ist voll mit den Viechern." Zweieinhalb Stunden sind da mittlerweile vergangen. Angelhaken rein und ohne Fisch raus, so geht das immer wieder.

Verzweifelt gehe ich an eine Stelle mit ruhigerer Strömung. Und siehe da, es klappt. Endlich. Der Kampf beginnt, ich renne über die Steine, wanke, kurble und ziehe an der Route im Staccato-Takt. Ein Wirrwarr aus Anweisungen prasselt auf mich herein: "Zieh, kurble, warte, renn." Ich kapiere gar nichts mehr. Egal, 50Meter weiter und gefühlte fünf Stunden später ziehe ich mit drei Mitstreitern das glitschige Prachtexemplar aus dem Fluss. 26,2 Kilogramm zeigt es auf der Waage an. Die Schulterklopfer sind nicht weit, ein Angler bietet mir ein Bier an. Ich bin jetzt einer von ihnen. Auch das ist Alaska: Wenn du die Natur beherrschst, bist du wer. "Wie hast du das gemacht?", fragt ein Neuankömmling, der nun ernsthaft erwartet, dass ich ihm die Kunst des Angelns beibringe. Mit den Profis neben mir breche ich in schallendes Gelächter aus.

Ein wenig ernster wird es bei der Lektüre der beiden Schilder vor der Nachtwanderung zum Exit-Gletscher. Wenn ein Braunbär kommt: Tot stellen, wenn er anfängt, dich zu essen: "Dann kämpfen", steht auf dem einen. Die Botschaft auf dem anderen ist einfacher: "Schwarzbär: Kämpfen." Durch den schmalen Wanderweg aus Kies geht es umgeben von unübersichtlichen Büschen und Sträuchern hinauf zum Gletscher. Abends um halb elf ist es immer noch hell, die Sommer hier am nördlichen Polarkreis kennen keine Nacht, höchstens ein paar Stunden Dämmerung von elf bis drei. Aber das alles interessiert uns jetzt nicht. Wir denken an die Bären.

Schon beim Fischen hatten wir einen im Busch sitzen sehen. Dem war es wohl zu laut. Aber hier, wenn jetzt einer aus den Sträuchern springt? "Tot stellen, wenn er anfängt, dich zu essen." Prost Mahlzeit! Wir sind in einer Zehnergruppe unterwegs, wir reden unentwegt. Fremde Geräusche schrecken die Bären ab, hat man uns im Hotel gesagt. Dann fangen wir an zu singen – spätestens da scheinen wir die letzten Bären in die Flucht getrieben haben. Es kommt keiner. Wir beherrschen die Natur – vorerst. Über kleine Bäche und deren Steine kommen wir zum Fuß der riesigen Gletscherzunge, die weißblau leuchtet und an eine überdimensionale Landebahn einer Skisprungschanze erinnert. Wir berühren das raue Eis, das sich wie Pergamentpapier anfühlt.

100 000 Gletscher gibt es in Alaska, deren Fläche ist größer als jene Irlands. Auch hier will man nicht mehr weg, will den Tropfen im Eisinneren zusehen, wie sie langsam in den Bach darunter fliegen, will das Gletscherleuchten aufsaugen, während die Gewässer unten sanft rauschen. Wir bleiben ein bisschen, richtig dunkel wird es ja sowieso nicht. Mitten in der Nacht, mitten in der Dämmerung geht es zurück durch den Busch. Was ein Bär von unseren Sangeseinlagen gehalten hat, sehen wir in der Mitte des Wegs. Ein Haufen frischer Bärenkot. "Um Himmels willen", sagt mein Nebenmann. Ich schweige. Dann singen wir noch lauter, laufen noch schneller, reden unentwegt. Panik. Nach 20 Minuten haben wir es geschafft. Kein Bär. Durchatmen. Ganz tief durchatmen.

Als Entspannung für den nächsten Tag dient eine Panoramafahrt mit der Alaska Railroad durch den Süden – von Anchorage nach Seward, der Hafenstadt weiter südlich – oder umgekehrt. Es ist eine knapp vierstündige Zugfahrt vorbei an Bergen, Wäldern, Wiesen, großen Bächen, kleinen Seen und Flüssen. Die Natur, auch hier will sie nicht enden – und die blau-gelben Waggons schlängeln sich einfach durch sie hindurch. Angler grüßen mit der Rute von einem der zahllosen Seen, ein Elch steht am Wegesrand, die Gletscher strecken uns ihre Zungen raus. Der Schnee der Berge schimmert im Sonnenlicht. Im oberen Abteil gibt es Bier und Cocktails, hinten kann man auf dem Balkon stehen und frische Luft einatmen. Wer den Kopf dabei zu weit heraushängt, wird von einem Ast geschlagen. "Schön vorsichtig", sagt der Kellner und lacht. Hier kann sich die Natur eben noch wehren. Einfach herrlich.

Info: Anreise: Condor fliegt noch bis zum 6. Oktober ab Frankfurt direkt nach Anchorage, die Flugzeit beträgt neuneinhalb Stunden. Preise von 600 bis 1000 Euro. Buchungen und Infos unter 018 05/76 77 57 oder http://www.condor.com.

Anchorage, größte Stadt Alaskas mit 280 000 Einwohnern, dient als Ausgangspunkt für Touren in die Natur. Informationen gibt es unter http://www.anchorage.net und http://www.GoAnchorage.net.

Informationen zu Angeltouren auf dem Talkeetna River auf http://www.mahaysriverboat.com. Gletscherflüge rund um den Mount McKinley gibt es ab 190 Dollar (135 Euro). Mehr unter http://www.talkeetnaair.com.

Die Alaska Railroad fährt von Seward über Anchorage bis ins Zentrum des Bundesstaats nach Fairbanks. Das Streckennetz ist 750 Kilometer lang. Preislisten und Zielorte auf http://www.alaskarailroad.com.